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Brexitfolgen
"Brexit wird wie ein Katalysator wirken"

Kontinentaleuropäer scheuen zunehmend den britischen akademischen Arbeitsmarkt. Die pragmatischen britischen Spitzenunis orientieren sich nun global.

Von Andreas Goldthau 09.07.2019

Hohe Studiengebühren, Wettbewerbsanreize wie der Research Excellence Framework und die Abschaffung jährlicher Zulassungsquoten haben die britische Universitätslandschaft im letzten Jahrzehnt massiv umgekrempelt. Englands Hochschulen internationalisierten, expandierten und setzten sich global in vielen Bereichen an die Spitze in Forschung und Lehre. Der Brexit wird dies nicht umkehren. Im Gegenteil, er wird wie ein Katalysator wirken.

Zum einen wird sich die Hochschullandschaft Großbritanniens weiter ausdifferenzieren. Viele britische Universitäten haben ihre Expansion auf Pump finanziert und viele Millionen an Schulden aufgehäuft. Hinzu kommt die absehbar reduzierte, wenn nicht sogar gänzlich wegfallende EU-Forschungsförderung. Traditionell profitieren britische Universitäten hier überproportional. Diese Mittel werden ersetzt werden müssen, da selbst mit neu aufgelegten Fördertöpfen Londons die Finanzierungslücke beträchtlich sein wird.

Die forschungsstarken Universitäten werden Wege finden, weiter mit den global Besten zu konkurrieren. Dagegen werden sich Einrichtungen am unteren Ende der Skala noch stärker auf die Lehre als Geschäftsfeld ausrichten. Wieder andere werden sich aufgrund des Wettbewerbdrucks zusammenschließen oder von den finanzstärkeren Institutionen im Feld übernommen werden – ein bestehender Trend, der sich weiter verschärfen wird.

"Ob der Brexit hart oder soft ausfällt – die Entwicklung ist bereits in vollem Gange."

Zum anderen wird die britische Akademia ihren Charakter nachhaltig verändern: sie wird noch globaler werden und zugleich weniger europäisch. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Kontinentaleuropäer zunehmend den britischen akademischen Arbeitsmarkt scheuen. Nicht nur haben prominente Forscher das Land verlassen, wie jüngst in den Medien berichtet. Auch ziehen vielversprechende Nachwuchsforscher nicht mehr nach. Stellen werden nun nicht unbedingt von heimischen Akademikern besetzt. Vielmehr kommt es zu einer verstärkten Rekrutierung von nicht-Europäern. Der "Trump-Effekt" lässt beispielsweise US-Amerikaner mit zunehmendem Interesse auf die britische Insel blicken. Auch Hongkong, Singapur oder Australien bilden mittlerweile den globalen Forschernachwuchs für den britschen Arbeitsmarkt aus.

Mit ihrem sprichwörtlichen Pragmatismus werden also vor allem die britischen Spitzenunis den Brexit nutzen, um ihre Institutionen neu auszurichten, neue Geldquellen zu erschließen und neue Talente anzuziehen. "Global Britain", die Vision der Regierung für das Land in der nach-Brexit-Zeit, wird zumindest hier Wirklichkeit werden – wenn auch nur für einen Teil der Hochschulen. Dies gilt im Übrigen unbenommen der Frage, ob der Brexit letztendlich hart oder soft ausfällt – die Entwicklung ist bereits in vollem Gange.

Die absehbare De-Europäisierung der britischen Forschung und Lehre, sowohl beim Personal als auch in den Finanzstrukturen, wird bestehende Kooperationen und Netzwerke in Frage stellen, ebenso den gegenwärtig noch gut funktionierenden Wissenschaftsaustausch über den Kanal hinweg. Für die Europäer bedeutet dies, dass sie sich nicht zurücklehnen dürfen. Selbstgefälligkeit aufgrund des britischen Brexit-Dilemmas ist unangebracht. Im Gegenteil, nun heißt es erst recht "dran bleiben" und die Bande nicht abreißen lassen. Im Interesse eines wettbewerbsfähigen europäischen Wissenschaftsraumes und der Forschergeneration und der Studierenden von morgen.