Ein Mann mit Anzug steht im Deutschen Bundestag und hält eine Rede: Es ist der Bundeskanzler Olaf Scholz.
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Neuwahlen
Die Vertrauensfrage und was sich die Wissenschaft wünscht

Bundeskanzler Scholz hat die Vertrauensfrage verloren. HRK, DHV und DAAD äußern konkrete Ideen für die zukünftige Wissenschaftspolitik.

16.12.2024

Verschiedene Wissenschaftsorganisationen äußern die Hoffnung, dass mit Neuwahlen positive Perspektiven und Fortschritte in der Wissenschaftspolitik möglich werden. Sie formulieren klare Vorstellungen über wissenschaftspolitische Prioritäten. 

"Nach anfänglicher Aufbruchstimmung, für die exemplarisch die Dynamisierung des 'Zukunftsvertrags Studium und Lehre stärken' stand, herrschte am Ende überwiegend Stillstand", konstatiert der Präsident des Deutschen Hochschulverbands (DHV), Professor Lambert T. Koch, in einer Pressemitteilung vom 16. Dezember. Zu einer maßgeblichen Verbesserung der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses sei es nicht gekommen, beim Forschungsdatengesetz sei es nicht vorangegangen und der Austausch mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sei infolge der Fördermittel-Affäre ins Stocken geraten. "Ein inhaltlicher und personeller Neustart auf Basis eines schlüssigen Gesamtkonzepts ist daher dringend geboten", fordert Koch. 

"Ein inhaltlicher und personeller Neustart auf Basis eines schlüssigen Gesamtkonzepts ist daher dringend geboten."
Professor Lambert T. Koch, DHV-Präsident

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Professor Walter Rosenthal, betont auf Anfrage von "Forschung & Lehre", dass die entschlossene Fortführung des "Zukunftsvertrags Studium und Lehre stärken" (ZSL) in seiner dynamisierten Fassung und der flankierende Ausbau sozialer Infrastrukturen für Lehre und Studium zu priorisieren seien. "Um der weiter steigenden Nachfrage nach einem Hochschulstudium auch nach 2027, dem Zieljahr der aktuellen ZSL-Vereinbarungsperiode, gerecht zu werden, bedürfen die Hochschulen einer den qualitativen Anforderungen entsprechenden, auskömmlichen Finanzierung", sagt Rosenthal. Für größere Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit sei zudem eine umfassende Strukturreform des Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung (Bafög) samt einer Stärkung der Fördermöglichkeiten für studentisches Wohnen unumgänglich. 

Wohlstand sichern durch Investitionen in die Wissenschaft 

Koch hob hervor, dass es angesichts einer zu erwartenden schwierigen Haushaltslage noch mehr darauf ankommen werde, in der künftigen Legislaturperiode Prioritäten zu setzen. "Wer den Wohlstand und die Innovationskraft sichern will, muss weiterhin in Bildung und Wissenschaft investieren", betont der DHV-Präsident. Dies setze in nahezu allen Fragen ein wieder konstruktiveres Miteinander zwischen Bund und Ländern voraus. Erforderlich für einen erfolgreichen Wissenschaftsstandort Deutschland seien vor allem attraktive Karriereperspektiven in der Wissenschaft auch neben der Professur. Dringenden Handlungsbedarf sieht Koch zudem beim Hochschulbau. Bund und Länder dürften es nicht achselzuckend hinnehmen, dass Hochschulen in ihrer Bausubstanz verrotteten und der Sanierungsstau immer unbeherrschbarer werde. 

"Finanzzusagen, die nicht gedeckt und später einkassiert werden, schaden am Ende allen", warnt der DHV-Präsident mit Blick auf den Wahlkampf. Abgesehen davon gebe es auch erhebliche Reformbedarfe, die nichts kosten würden und sogar Belastungen reduzieren könnten. "Wie die Wirtschaft ächzt die Wissenschaft, etwa im Vergabe- oder Arbeitsrecht, unter einer kaum noch überblickbaren Regelungsdichte, die Kräfte bindet, Vertrauen vermissen lässt und Motivation untergräbt“, führt Koch aus. Mit einem Bürokratieabbau-Programm ließen sich in Wirtschaft und Wissenschaft Blockaden lösen sowie Energie und Kreativität freisetzen. 

Die HRK hebt den Beitrag der Hochschulen zum wirtschaftlichen Wohlstand hervor: "Als Organisationszentren des Wissenschafts- und Innovationssystems tragen die Hochschulen mit Forschung, Lehre und Transfer wesentlich zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit und zur Sicherung des Fach- und Führungskräftebedarfs Deutschlands bei", erläutert Rosenthal. 

"Der Hochschulbau bleibt Ländersache, jedoch kann und muss der Bund die Anstrengungen der Länder zielgerichtet unterstützen."
Professor Walter Rosenthal, HRK-Präsident

Die Hochschulen würden laut HRK entsprechend erwarten, dass der Bund in der kommenden Legislaturperiode den mindestens 74 Milliarden Euro umfassenden Sanierungsstau im Hochschulbau durch substanzielle Bundesprogramme zur energetischen Sanierung auflöst. "Der Hochschulbau bleibt Ländersache, jedoch kann und muss der Bund die Anstrengungen der Länder zielgerichtet unterstützen, um den Hochschulbau als wichtige Infrastruktur für Deutschlands Zukunft langfristig zu sichern", erklärt Rosenthal die Forderung der HRK. 

International attraktiv und wettbewerbsfähig bleiben 

Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) plädiert gegenüber "Forschung & Lehre" dafür, politisch prioritär die Potenziale internationaler Studierender als zukünftige Fachkräfte zu nutzen und auszubauen. Ansatzpunkte seien die Anwerbung, die Willkommenskultur, der Spracherwerb, die Senkung der Abbruchquoten sowie schließlich der Übergang in den Arbeitsmarkt. HRK-Präsident Rosenthal konstatiert zum Thema Internationalisierung: "Zur Wettbewerbsfähigkeit gehört auch die Sicherung der grenzüberschreitenden Mobilität von Studierenden, Lehrenden und Forschenden." 

Die Wissenschaftsbeziehungen zu etablierten Partnern wie den USA und aufsteigenden Wissenschaftsnationen wie Indien weiterzuentwickeln, sollte in der kommenden Legislaturperiode dringend auf der politischen Agenda stehen, sagt der DAAD-Pressesprecher Michael Flacke. "Aus unserer Sicht muss auch die Beratung deutscher Hochschulen zu internationaler Zusammenarbeit in geopolitisch turbulenten Zeiten intensiviert werden, insbesondere mit Blick auf die China-Kompetenz", führt Flacke weiter aus. Um den globalen Herausforderungen zu begegnen – insbesondere zu den Themen Klima, Energie und sozial gerechter Transformation –, müsse man die internationale Hochschulzusammenarbeit stärken. 

"Aus unserer Sicht muss auch die Beratung deutscher Hochschulen zu internationaler Zusammenarbeit in geopolitisch turbulenten Zeiten intensiviert werden."
Michael Flacke, DAAD-Pressesprecher  

Indem die Bundesregierung eine konkurrenzfähige Förderung für Forschung und Wissenstransfer gewährleiste, könne die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gestärkt werden, sagt HRK-Präsident Rosenthal. Das müsse für das gesamte Spektrum von der Grundlagenforschung bis zur anwendungsorientierten Forschung in allen wissenschaftlichen Bereichen der Fall sein. 

Ausblick auf kommende Wochen 

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den Zeitplan der Fraktionen von Koalition und Union für die Neuwahl des Bundestags bereits gebilligt und den Wahltermin auf den 23. Februar festgelegt. Die Parteien arbeiten an ihren Wahlprogrammen. Doch auch bis dahin braucht die Wissenschaft Planungssicherheit. Der Bundesbildungsminister Cem Özdemir hat im Anschluss an seine Amtsübernahme den Willen bekundet, "neben dem Vorantreiben der Vorhaben des Hauses im engen Austausch mit den Wissenschaftseinrichtungen darauf zu achten, dass durch die aktuelle Lage ohne Haushaltssicherheit keine Brüche auftreten." Eine Sprecherin des BMBF weist auf Nachfrage von "Forschung & Lehre" darauf hin, dass ab 1. Januar voraussichtlich eine vorläufige Haushaltsführung erfolgen werde, auf welche "sich das BMBF bestmöglich vorbereitet". 

"Sobald die Ausgestaltung der vorläufigen Haushaltsführung bekannt ist, wird das BMBF auch mögliche Neubewilligungen prüfen."
Sprecherin des BMBF

Die wesentlichen Grundsätze sind im Grundgesetz Artikel 111 geregelt und sehen vor, dass alles, was nötig und bereits beschlossen ist, auch weiterhin finanziert werden kann. Bereits begonnene Maßnahmen können laut BMBF-Sprecherin grundsätzlich fortgeführt werden. Der konkrete Rahmen für die Umsetzung der vorläufigen Haushaltsführung werde durch das Bundesministerium der Finanzen zeitnah festgelegt und den Ressorts per Rundschreiben mitgeteilt. "Konkrete Aussagen zu einzelnen Vorhaben sind entsprechend zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Sobald die Ausgestaltung der vorläufigen Haushaltsführung bekannt ist, wird das BMBF sowohl die Fortsetzung laufender Vorhaben als auch mögliche Neubewilligungen prüfen, um – im Einklang mit dem Haushaltsrecht – eine angemessene Kontinuität des Förderhandelns sicherzustellen", teilt das Bildungsministerium mit.

Aktualisiert nach Abschluss der Vertrauensfrage. 207 Abgeordnete votierten für Bundeskanzler Olaf Scholz, 394 gegen ihn. 

Online-Umfrage 

1994 erschien die erste Ausgabe der hochschulpolitischen Zeitschrift "Forschung & Lehre". Sie informiert in Hintergrundberichten, Interviews und Essays über Entwicklungen in Hochschulen und Wissenschaft. Die Website ergänzt dies um tagesaktuelle Nachrichten, weiterführende Beiträge und Analysen. An einer Hochschule oder in der Wissenschaft tätig zu sein, ist heute nicht mehr dasselbe wie vor drei Jahrzehnten. Zeitschrift und Website haben sich ebenfalls weiterentwickelt und sollen stetig besser werden. 

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cva