Forscherin schaut jungem Forscher über die Schulter
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Großbritannien
"Einige Labore könnten wohl das Licht ausknipsen"

Professor Jörg Vogel hat einen Preis für den deutsch-britischen Austausch erhalten. Im Interview spricht er über die laufenden Brexit-Verhandlungen.

Von Friederike Invernizzi 13.09.2019

Forschung & Lehre: Herr Professor Vogel, seit Juli 2019 steht Boris Johnson an der Spitze der britischen Politik. Was erwarten Sie unter seiner Führung für die Wissenschaft in Großbritannien?

Jörg Vogel: Hat Boris Johnson bisher wirklich etwas Belastbares dazu gesagt? Klar, es gibt alle möglichen Versprechungen: der Verlust von EU-Geldern soll komplett kompensiert werden, es soll auch sonst mehr Geld für die Forschung und die Universitäten geben, dazu eine einfachere und schnellere Visavergabe für ausländische Wissenschaftler, alles prima. Aber ganz ehrlich, ich glaube, dass momentan niemand einen klaren Plan hat. In der britischen Politik scheint mir zurzeit das Chaos zu regieren. Und wer immer jetzt etwas sagt oder verspricht, muss nicht zwangsläufig nach dem Brexit noch da sein: Die Fluktuation unter den politischen Akteuren ist beeindruckend.

F&L: Trotz aller Widrigkeiten will Johnson Großbritannien bis Ende Oktober aus der EU führen – notfalls ohne Abkommen. Welchen Unterschied macht ein geregelter gegenüber einem ungeregelten Brexit für die Wissenschaft?

Jörg Vogel: Ein ungeregelter Brexit ist meiner Meinung nach vor allem eine ziemliche Verschwendung von Zeit und Ressourcen. Vieles müsste neu ausgehandelt werden, Großbritannien profitiert überdurchschnittlich von EU-Programmen. Auch bei den attraktiven ERC grants steht das Land ausgezeichnet da. Obendrein müssten schnell Regelungen gefunden werden, um die vielen aus EU-Ländern stammenden Forscher zu halten. Diese machen einen erheblichen Teil aller in Großbritannien beschäftigten Wissenschaftler aus. Ohne sie könnten wohl einige Labore das Licht ausknipsen.

Professor Jörg Vogel
Jörg Vogel ist Professor am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) und am Institut für Molekulare Infektionsbiologie (IMIB). In diesem Jahr hat er den Feldberg-Preis für deutsch-britischen Austausch erhalten. privat

F&L: Nationale Isolierungsbestrebungen zeigen sich nicht nur in Großbritannien. Die Wissenschaft lebt vom internationalen Austausch. Wie düster ist die Lage?

Jörg Vogel: Für mich ist das eine komplexe Angelegenheit. Dem Wissenschaftler in mir sind solche Isolierungebestrebungen völlig fremd. Ich habe selber längere Zeit außerhalb Deutschlands, also in den UK, in Israel und in Schweden, studiert, gearbeitet und gelebt. Auch jetzt haben wir etliche aktive Forschungsprojekte mit dem Ausland. Für mich ist Internationalität gelebte Realität. Das gilt auch für die Institute, die ich leite. Wir beschäftigen Studierende und Mitarbeitende aus zig verschiedenen Ländern. Und ich bin stolz darauf, wie bei uns immer wieder junge Leute zusammentreffen und sich miteinander anfreunden, deren Herkunftsländer im Clinch liegen oder zumindest eine sehr schwierige gemeinsame Geschichte haben. Wissenschaft kann Brücken bauen, und wir Wissenschaftler reden auch dann noch miteinander, wenn politisch gar nichts mehr geht. Privat sehe ich nationale Isolierungsbestrebungen als politisch interessierter Mensch auch als etwas, das man nicht einfach reflexhaft ablehnen darf, sondern das man zu verstehen versuchen muss. Ganz offensichtlich nehmen viele die zunehmende Internationalisierung nicht nur als Vorteil wahr. Das haben große Teile aus Politik und Gesellschaft wohl nicht ernst genug genommen. Wissenschaftler mögen von der Internationalisierung überdurchschnittlich profitieren, aber sie sind eben nur ein Teil der Gesellschaft.

F&L: Wie setzen Sie sich dafür ein, dass das Internationale der Wissenschaft erhalten bleibt?    

Jörg Vogel: Ich wünsche mir sehr, dass es auch nach einem Brexit eine sehr enge, intensiv gelebte Beziehung zwischen Großbritannien und der EU geben wird. Insbesondere für die Anfangszeit bräuchten wir spezielle Austauschprogramme für Studierende und Stipendien für Postdocs, um einem Wegdriften entgegenzuwirken. Die EU kann von Großbritanien und von der britischen Art in so vieler Hinsicht profitieren. Ich selbst habe eine Gastprofessur in London am Imperial College, das für mich eine der besten Universitäten der Welt ist. Ich denke, ich werde eher noch häufiger dort sein als bisher und dort für das Gemeinsame mit den anderen europäischen Ländern werben.