Abendlicher Blick von der Freiheitsbrücke über die Donau in Richtung Corvinus Universität in Budapest.
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Umfrage in Ungarn
EU-Finanzierungs-Stopp schadet ungarischen Nachwuchs-Forschenden

Ungarische Forschende leiden unter dem Ausschluss ihrer Universitäten von "Horizon Europe". Dies hat eine Umfrage ergeben.

04.09.2024

Eine Erhebung in Zusammenarbeit mit der "Ungarischen Jungen Akademie" zeigt die Auswirkungen der Suspendierung von über 30 ungarischen Forschungseinrichtungen und Universitäten aus EU-Förderprogrammen im Jahr 2022 bis heute auf. Der wissenschaftliche Nachwuchs in der Altersgruppe von 31-45 Jahren habe zum Ausdruck gebracht, dass die Verantwortlichen internationaler Forschungsprojekte seit dem Verbot davor zurückschreckten, überhaupt noch mit ungarischen Institutionen zusammenzuarbeiten. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass die Konsequenzen für die Forschenden weit über die Grenzen der ausgeschlossenen Forschungseinrichtungen hinausreichen könnten. 

Im Jahr 2022 setzte der Rat der Europäischen Union (EU) die Forschungsgelder im Rahmen von "Horizon Europe" und die europäischen Austauschprogramme "Erasmus+" für ungarische Universitäten vorübergehend aus, die von seitens der Regierung neu geschaffenen "öffentlichen Treuhandstiftungen" verwaltet und betrieben werden. Grund dafür waren Bedenken bezüglich der ungarischen Rechtsstaatlichkeit insbesondere in Bezug auf Wissenschaftsfreiheit, Korruption und Transparenz in Vergabeverfahren. 

Unsicherheit in der Zusammenarbeit mit ungarischen Forschenden 

Unter den Universitäten, die vom Förderausschluss betroffen gewesen seien, befänden sich beispielsweise die "Budapest University of Economics", die "Moholy-Nagy University of Arts", die "University of Sopron", die "University of Miskolc" sowie die "University of Pécs". Die Autorinnen und Autoren der Erhebung konstatieren, dass "aufgrund mangelnder angemessener Kommunikation viele Forschende auch von europäischen Projekten ausgeschlossen" wurden. 

Die Umfrage, welche Anfang des Jahres durchgeführt worden sei, habe sich auf 524 Forschende mit Doktortitel konzentriert, die rund 15 Prozent der Zielgruppe repräsentierten. Das Forschungsteam rund um den außerordentlichen Professor Lengyel Balázs von der "Corvinus University of Budapest" habe festgestellt, dass rund 40 Prozent der befragten ungarischen Nachwuchsforschenden die negativen Folgen der Aussetzung der EU-Mittel zu spüren bekommen hätten. Dabei sei der Unterschied zwischen denjenigen, die nur an suspendierten Universitäten tätig seien, und denjenigen, die zumindest eine Teilzeitanstellung an anderen Universitäten hätten, kleiner als erwartet. Dies lege nahe, dass das Verbot neben den direkten Auswirkungen auf suspendierte Universitäten auch indirekte Auswirkungen auf Universitäten und Forschungsinstitute hatte, die nicht offiziell ausgeschlossen worden seien. 

Etwa neun Prozent der Befragen, die im Rahmen ihrer Arbeit mit EU-Förderprojekten befasst seien, hätten angegeben, dass internationale Partner sie von bereits laufenden Konsortien ausschließen wollten, obwohl ihre Einrichtung nicht von der Suspendierung betroffen gewesen war. 20 Prozent der Befragten hätten zudem angegeben, dass die Kommunikation mit internationalen Partnern schwieriger geworden sei. 

Laut eines Berichts der Zeitung "Hungary today" fand im Frühjahr eine Konferenz in Den Haag statt, welche unter anderem von der ungarischen Botschaft und dem "Mathias Corvinus Collegium" (MCC) zum Thema "Ausschluss aus EU-Förderprogrammen" organisiert worden war. Ziel dieser Veranstaltung sei es gewesen, insbesondere die Hochschulen in den Benelux-Staaten darauf aufmerksam zu machen, dass ungarische Universitäten weiterhin für eine Zusammenarbeit offen seien. Der ungarische Botschafter in Den Haag, Daniel Landeck, habe kritisiert, dass rund 180.000 ungarische Studierende aus politischen Gründen nicht an Erasmus-Austauschprogrammen in Europa teilnehmen könnten. 

Getrübter Ausblick für die Forschungs-Community Ungarns 

Die langfristigen Auswirkungen auf das ungarische akademische Leben durch die Suspendierung der Universitäten von den Erasmus- und Horizon-Programmen sind den Autorinnen und Autoren der Erhebung zufolge schwer vorherzusagen. Die ungarische Regierung habe nationale Programme aufgelegt, um den Verlust der EU-Zuschüsse auszugleichen. Der internationale Ruf der ungarischen Wissenschaft habe durch die Aussetzung allerdings einen schweren Schlag erlitten. 

Die erhobenen Daten zeigten deutlich, dass Nachwuchsforschende erkannt hätten, dass die von der EU-Kommission beschlossenen Einschränkungen nicht nur einen erschwerten Zugang zu Fördermitteln bedeuten würden, sondern auch die Schwächung ihrer Forschungsnetzwerke, die Isolation der ungarischen Wissenschaftsgemeinschaft und verringerte Ausbildungsmöglichkeiten. 

In der Folge hätten 16 Prozent der Befragten schon erwogen, ihre Zugehörigkeit zu ihrer jeweiligen Forschungseinrichtung zu ändern. 25 Prozent von ihnen hätten bereits mit der Jobsuche im Ausland begonnen oder würden diese planen. Folglich könnte das Land jene Forschende verlieren, die sich aktiv für die Integration der ungarischen Wissenschaft in europäische Netzwerke eingesetzt hätten. Im April 2024 haben laut den Autorinnen und Autoren der Erhebung Anhörungen in den Berufungsverfahren von sechs Universitäten vor dem Europäischen Gerichtshof begonnen.

Das Forschungsteam setze Hoffnung in die Erfahrungen nach dem Brexit und der anschließenden erfolgreiche Wiedereingliederung britischer Universitäten in das Horizon-Europe-Programm sowie die Chance, durch Dialog zwischen den beteiligten Parteien zur Lösung der Situation finden zu können.

cva