Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen steht vor dem europäischen Sternenkranz im EU-Parlament und hält eine Rede.
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Blick nach Brüssel
Forschung soll EU wettbewerbsfähig machen

Von der Leyen plant einen "Kompass für Wettbewerbsfähigkeit". Die HRK kritisiert die vorgesehene Änderung bei der Forschungsförderung. Eine Analyse.

Von Christine Vallbracht 04.12.2024

Bei der Auftakt-Tagung des Rats für Wettbewerbsfähigkeit Ende November waren sich die EU-Ministerinnen und Minister für Forschung einig, dass sie Hindernisse beseitigen möchten. Man wolle die grenzüberschreitende Mobilität von Forschenden sowie freien Austausch von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Technologien und Daten, heißt es im abschließenden Positionspapier vom 29. November. Der Europäische Forschungsraum (EFR), der bereits seit dem Jahr 2000 geplant ist und angestrebt wird, solle insbesondere als Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit endlich Wirklichkeit werden. 

Bei den Umsetzungsdetails blieb der Rat in seinem Abschlusspapier eher vage. Es werden Beschlüsse des Europäischen Rats aus 2023 und 2024 erneut bekräftigt, wonach die Mitgliedsländer drei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung (FuE) investieren sollten. Ein spezielles EFR-Gesetz und die Agenda für 2025-2027 sind in Arbeit, werden jedoch vom Rat für Wettbewerbsfähigkeit nicht im Detail erwähnt. 

Zusätzlich begrüßt der Rat für Wettbewerbsfähigkeit eine gestärkte bis autonome Rolle des Ausschusses für den Europäischen Forschungsraum und Innovation (ERAC). Interessensgruppen aus der Wirtschaft sollten daran beteiligt werden. Der sogenannte Draghi-Report zur Forschungs-Förderung wird im Abschlusspapier explizit befürwortet bezüglich seiner Vision, dass Forschung und Entwicklung zur Verbesserung der Produktivität und der Wettbewerbsfähigkeit beitragen könnten. Der Rat für Wettbewerbsfähigkeit unterstreicht, dass "die internationale Position und Führungsrolle der Union durch bahnbrechende Grundlagenforschung und angewandte Forschung, bahnbrechende Innovationen und wissenschaftliche Spitzenleistungen" zu verbessern ist. 

Auf "LinkedIN" äußerte sich Kurt Deketelaere, Generalsekretär der League of European Research Universities (LERU) mit dem Vorschlag, das geplante Gesetz zum Europäischen Forschungsraum solle sich darauf konzentrieren, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, welche die Länder dazu verpflichte, Regelungen abzuschaffen, die grenzüberschreitende Mobilität und Zusammenarbeit blockierten. Er warnte im Zuge dessen davor, neue Regeln zu Sozialversicherungen, Renten oder Steuern festzulegen. Diese würden auf geringe Akzeptanz stoßen. 

Erkenntnisse und Innovationen in die Wirtschaft einbringen 

Als die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor wenigen Tagen ihre nominierten Kommissionsmitglieder vom Parlament bestätigen ließ, hat sie in ihrer Eröffnungsrede die erste Kommissarin für "Start-ups, Forschung und Innovation" Ekaterina Sachariewa aufgefordert, "bahnbrechende Technologien aus dem Labor auf den Markt zu bringen." Bei den weltweiten Patentanmeldungen sei Europa auf Augenhöhe mit den USA und China. Doch nur ein Drittel dieser Patente werde gewerblich genutzt. Kleine Unternehmen, Start-ups und Scale-ups sollen zukünftig gemäß von der Leyen europaweit "florieren können". 

Der Rat für Wettbewerbsfähigkeit hebt in seinem Abschlusspapier diesbezüglich hervor, wie wichtig "die Überwindung der Innovationskluft zwischen den Mitgliedstaaten" ist. Mittel der Wahl seien hier kontinuierliche Anstrengungen durch nationale Reformen und Investitionen sowie einschlägige EU-Programme zur Förderung von Forschung und Innovation. 

Bereits in ihren "political guidelines" für die Wissenschaft hat von der Leyen im Rahmen ihrer Wiederwahl eine verstärkte Zusammenarbeit von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen eingefordert. In ihrer Rede vor dem Parlament betonte sie nun, dass die öffentlichen Haushalte nicht alles alleine leisten könnten und man dringend mehr private Investitionen brauche. "Die Unternehmensausgaben für Forschung und Entwicklung in Europa machen etwa 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. China kommt auf 1,9 Prozent und die USA kommen auf 2,4 Prozent." Diese private Kapitallücke sei der Hauptgrund dafür, dass Europa bei den gesamten Ausgaben für Forschung und Entwicklung und damit bei der Innovation hinterherhinke. Auch der Rat für Wettbewerbsfähigkeit betont, "wie wichtig es ist, private Risikokapitalinvestitionen in die Innovationsfinanzierung einzubeziehen und europaweite private Investitionen zu fördern". 

EU-Forschungsförderung ab 2028: alles neu geordnet? 

Der europäische Rat für Wettbewerbsfähigkeit bestätigt in seinem Abschlusspapier, "wie wichtig es ist, die Synergien zwischen den einschlägigen Fonds und Programmen der Union und der Mitgliedstaaten zu verstärken, um die Entwicklung des EFR zu unterstützen." Man solle durch ein gestrafftes Bündel von Maßnahmen auf transparente und effiziente Weise greifbare Ergebnisse im Sinne des Europäischen Forschungsraums erzielen. Dies entspricht den Erwägungen der EU-Kommission, die Innovations- und Forschungsförderung ab 2028 grundlegend neu zu ordnen und die zentralen Instrumente stattdessen als Teil eines breiter gefassten Wettbewerbsfonds anzulegen. 

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) begrüßt diesbezüglich Pläne, die Mittel für den Europäischen Forschungsrat (ERC) zu verdoppeln. Sie kritisiert zugleich die Idee, das bewährte Forschungsrahmenprogramm aufzugeben. Die Forschungsförderung der EU müsse substanziell und planbar ausfallen sowie thematisch offen, breit zugänglich und auf Basis wissenschaftlicher Exzellenz wettbewerblich ausgerichtet bleiben. 

Professor Georg Krausch, HRK-Vizepräsident für Forschung und wissenschaftliche Karrierewege, erklärt: "Eine solche Reform mag auf administrative und ökonomische Effizienzgewinne abzielen, darf am Ende aber nicht dazu führen, dass für Forschung, die primär auf wissenschaftlicher Neugier und Relevanz beruht, daher meist noch keine konkrete Verwertbarkeit in den Blick nehmen kann, weniger Fördermöglichkeiten als heute bestehen." Die Hochschulen seien für die erfolgreiche Generierung und die Weitergabe neuen Wissens auf verlässliche Förderbedingungen angewiesen. Das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation habe sich hierbei bewährt und sei unverändert notwendig. 

"Eine solche Reform darf am Ende nicht dazu führen, dass für Forschung weniger Fördermöglichkeiten als heute bestehen." 
Professor Georg Krausch, HRK-Vizepräsident

HRK-Präsident Professor Walter Rosenthal unterstreicht: "Die EU bedarf einer differenzierten Förderstruktur, die von der ergebnisoffenen Grundlagenforschung bis hin zur Entwicklung ökonomisch rasch verwertbarer Anwendungen unterschiedliche Unterstützungsbedarfe angemessen berücksichtigen kann." Die beabsichtigte Stärkung des ERC für Projekte der Spitzenforschung sei folgerichtig und für die europäische Innovationskraft global von zentraler Bedeutung. Auch die Idee, Forschungsprojekte zu Schlüsseltechnologien und gesellschaftlichen Herausforderungen künftig über eigene Räte analog zum ERC und zum Europäischen Innovationsrat auszuschreiben, gehe in die richtige Richtung. "Nachdenklich stimmt hingegen, dass sich in der dieser Tage neu formierten EU-Kommission die Zuständigkeiten für Bildung, Kultur, Forschung und Innovation weiterhin auf unterschiedliche Ressorts verteilen. Um nachhaltig Erfolg zu haben und die Wettbewerbsfähigkeit umfassend zu steigern, sollten diese Politikfelder auch auf europäischer Ebene stärker zusammen gedacht werden." 

Weltoffen: Japan im Assoziations-Gespräch für "Horizon Europe" 

Die EU-Kommission hat vergangene Woche außerdem mitgeteilt, dass sie erste formelle Gespräche mit Japan über eine Assoziierung des Landes mit dem EU-Forschungsförderprogramm "Horizon Europe" geführt hat. Iliana Iwanowa, EU-Kommissarin für Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend, erklärte: "Sowohl für die EU als auch für Japan sind Forschung und Innovation von entscheidender Bedeutung für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und die Verwirklichung des ökologischen und digitalen Wandels." Gemeinsam werde man in der Lage sein, dies schneller zu erreichen und Lösungen für die drängendsten Herausforderungen der Welt zu finden. 

Die Verhandlungen betreffen laut Meldung der EU-Kommission die Assoziierung mit der zweiten Säule von "Horizon Europe", die gesellschaftliche Herausforderungen durch multinationale Kooperationsprojekte angeht. Im Erfolgsfall wären japanische Forschende in der Lage, ihre eigenen Forschungs- und Innovationsprojekte im Rahmen des Programms zu leiten und zu koordinieren, eine engere Zusammenarbeit mit Partnern in der EU und aus den anderen assoziierten Ländern anzustreben und Finanzmittel zu erhalten. Die Verhandlungen zwischen der Kommission und der japanischen Regierung werden in den nächsten Monaten fortgesetzt.