Zwei illuminierte Sprechblasen deuten eine Chat-Kommunikation an.
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Eklat im BMBF
Ministerium hält Chat-Verlauf in Fördermittel-Affäre zurück

Auszüge aus der Messenger-Kommunikation der BMBF-Spitze beschäftigen weiterhin. Auch der mittlerweile ernannte Staatssekretär Philippi ist involviert.

25.07.2024

Zuerst berichtete am 10.7. der "Spiegel" über Details zu internen "Wire"-Messenger-Nachrichten aus der Hausspitze des BMBF. Insgesamt zwölf Personen sollen sich demnach in diesem Chat regelmäßig austauschen. Am 9. Mai war das Thema der offene Brief von Hochschullehrenden, welche die Räumung eines Camps propalästinensischer Demonstrierender an der Freien Universität Berlin kritisiert hatten. 

Auch der von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger vorgeschlagene Nachfolger der Staatsministerin Sabine Döring, Politikwissenschaftler Dr. Roland Philippi, war laut Medienberichten an dieser Diskussion beteiligt. Die Philosophieprofessorin Döring wurde im Rahmen der sogenannten Fördermittel-Affäre in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Der Politologe Philippi erhielt am 19.7. seine Ernennungsurkunde von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Eine offizielle Stellungnahme vom BMBF zur besagten Kommunikation gibt es bislang nicht. Gegenüber "Forschung & Lehre" äußerte sich am 11.7. eine Sprecherin, dass alle laufenden Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) durch das BMBF entsprechend § 7 Abs. 5 IFG unverzüglich beantwortet würden, "wobei die Bearbeitungsdauer einzelfallabhängig ist. Das IFG erfasst ausschließlich amtliche Informationen", fügte die Sprecherin hinzu. 

Philippi goutiert im BMBF-Chat Selbstzensur der Wissenschaft 

Dem "Spiegel" zufolge ist den vorliegenden Chat-Interna zu entnehmen, dass Philippi es für begrüßenswert gehalten hat, dass manche Dozierende den kritischen offenen Brief aus Sorge vor potentiellen Fördermittel-Restriktionen eventuell nicht unterzeichnen würden. Er nenne dies im Messenger eine "selbst auferlegten Antisemitismus-Klausel für unsere Förderung bei so manchen, verwirrten Gestalten". 

Stark-Watzinger habe sich daraufhin in keiner Weise kritisch über diese Bemerkung entgegen jedes Grundverständnisses von Wissenschaftsfreiheit geäußert. Tags zuvor hatte Stark-Watzinger per "Bild"-Zeitung die Bewertung abgegeben, dass diejenigen, die den Brief unterzeichnet hätten, womöglich nicht "auf dem Boden des Grundgesetzes" stünden, obwohl sie Lehrende an Hochschulen seien. 

Mit dieser Chat-Kommunikation nahm die inzwischen immerhin spärlich beleuchtete Fördermittel-Affäre ihren Lauf. Bereits am 10. Mai wurde im BMBF die Erstellung einer Liste der Unterzeichnenden inklusive deren Förderung beauftragt. Bislang hat Stark-Watzinger in ihren öffentlichen Aussagen – einschließlich im Bildungsausschuss und im Bundestag – mehrmals betont, dass sie von den Vorgängen in ihrem Ministerium um Unterzeichnenden-Liste und Fördermittel-Prüfauftrag nichts gewusst und erst am 11. Juni davon erfahren habe. Diese Behauptung wird von vielen aus Politik und Wissenschaft angezweifelt, beispielsweise vom bildungspolitischen Sprecher der Union, Thomas Jarzombek sowie vom Politikwissenschaftler und Co-Entwickler des Academic Freedom Index (AFi), Ilyas Saliba. 

Restlose Aufklärung dringend nötig, wird aber verweigert 

"Eine angebliche persönliche Kommunikation kommentieren wir nicht", erklärt die BMBF-Sprecherin gegenüber "Table.Briefings" bezüglich der publik gewordenen Messenger-Gespräche. Es gebe auch keine Veranlassung, die beabsichtigte Personalplanung zu ändern. 

Am 17.07. wurde vom BMBF die Anfrage von "FragDenStaat", die Wire-Kommunikation offenzulegen, offiziell abgelehnt mit der Begründung, "die erbetenen Nachrichten des Messengerdienstes ‘Wire' stellen keine amtlichen Informationen i.S.d. § 2 Nr. 1 IFG dar". Weiter ausführend argumentiert das Bildungsministerium damit, dass private Informationen oder solche, die nicht mit amtlicher Tätigkeit zusammenhingen, ebenfalls nicht erfasst würden. Zudem sei eine Information nur dann amtlich, wenn ihre Aufzeichnung und nicht nur ihr Inhalt amtlichen Zwecken diene. 

"Chatnachrichten dienen der informellen, persönlichen Kommunikation und werden in aller Regel nicht ausgedruckt und zur Akte genommen, sondern bilden – wie Telefonate – lediglich den Anlass für eine Aufzeichnung, sofern aktenwürdige Inhalte enthalten sind", wird der Ablehnungsbescheid weiter begründet. Der Initiator der Anfrage, Arne Semsrott, hat wenige Minuten nach Erhalt des Bescheids bereits Widerspruch eingelegt: "Natürlich sind die angefragten Informationen aktenrelevant", kommentiert er seine Nicht-Anerkennung der Ablehnung.

"Die erbetenen Nachrichten des Messengerdienstes ‘Wire' stellen keine amtlichen Informationen i.S.d. § 2 Nr. 1 IFG dar."
Aus dem Ablehnungsbescheid des BMBF vom 17.7.

"Sollte das Bildungsministerium absichtlich Kommunikation auf Wire verlagern, um sie nicht zu verakten, wäre dies eine eklatante Missachtung gesetzlicher Transparenzpflichten und Veraktungsvorschriften", war bereits am 3. Juli die Einschätzung des Journalisten Arne Semsrott im Rahmen seiner diversen Anfragen über die Plattform "FragDenStaat". Semsrott arbeitet als Plattform-Projektleiter für die "Open Knowledge Foundation", die sich aktiv für offenes Regierungshandeln einsetzt. Eine Ministerin, die demokratische Kontrolle derart umgehe, entziehe sich ihrer Verantwortung, bewertet er den Vorgang weiter. 

Auch der Präsident des Deutschen Hochschulverbands (DHV), Professor Lambert T. Koch, hat bereits im Anschluss an die Befragungsrunden im Bundestag eine "gründliche interne Aufarbeitung" eingefordert. Nur dann werde es auch nachhaltig möglich sein, gegenüber der Wissenschaft verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Für restlose Aufklärung im Sinne der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hat sich ebenso die Geschäftsführerin des Deutschen Hochschulverbands (DHV), Frau Dr. Yvonne Dorf, in der Juliausgabe des Hochschulmagazins "Forschung & Lehre" via Kommentar stark gemacht: "Eine liberale Ministerin, die Wissenschaftsfreiheit zu ihrem Kernthema erkoren hat, kann sich nicht wegducken. Sie muss Verantwortung übernehmen. Stark-Watzinger sollte wieder das Gespräch mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern suchen, mit ihnen statt über sie reden". Die Ministerin müsse schleunigst reinen Tisch machen. Andernfalls werde sie immer mehr zur Belastung. 

Aussage Dörings könnte weitere Klärung ermöglichen 

Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass die ehemalige Staatssekretärin Döring mit einem sogenannten Eilantrag vor dem Berliner Verwaltungsgericht durchsetzen will, dass sie sich in der sogenannten Fördergeld-Affäre öffentlich äußern darf. Dies ist ihr bislang vom BMBF nicht gestattet worden. 

Eine Sprecherin erläuterte gegenüber "Forschung & Lehre" , dass Beamtinnen und Beamte ohne Genehmigung weder vor Gericht noch außergerichtlich aussagen oder Erklärungen zu dienstlichen Angelegenheiten abgeben dürften. Eine Ablehnung des Antrags auf Entbindung von der dienstlichen Verschwiegenheitsverpflichtung sei eine Personalangelegenheit. Die BMBF-Sprecherin führte zum Verlauf und dem Aufklärungssachstand weiter aus: "Die Beurteilung einer Ablehnung obliegt dem zuständigen Verwaltungsgericht. Über die Abläufe im Ministerium haben wir Transparenz hergestellt. Die Ministerin hat sich dazu ausführlich im Ausschuss und in der Regierungsbefragung geäußert". 

Dass Döring selbst den offenen Brief nach wie vor sehr kritisch einschätzt, zeigen aktuelle Äußerungen gegenüber der "ZEIT": "Wenn Meinungen dazu angetan sind, praktische Konsequenzen nach sich zu ziehen, und Menschen dadurch geschädigt werden, dann endet die Meinungsfreiheit. Aus meiner Sicht spielt dieser Unterschied auch bei der Wissenschaftsfreiheit eine Rolle". Die Grenze liege mindestens dort, wo jemand dergestalt agiere, dass er eine Bedrohung für andere Wahrheitssuchende, also Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber auch Studierende, darstelle, weil er dann nämlich die Wissenschaftsfreiheit von anderen Forschenden einschränke. 

Zur veröffentlichten internen Kommunikation von Stark-Watzinger mit ihrem engsten Führungskreis hat sich der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Jarzombek MdB, gegenüber dem "Tagesspiegel" fordernd geäußert: "Von einem Alleingang der Staatssekretärin kann nun keine Rede sein. Um zu verstehen, welche Rolle die Ministerin selbst, aber insbesondere auch ihr neuer Staatssekretär Philippi dabei tatsächlich gespielt haben, ist eine Aussage von Frau Prof. Döring spätestens jetzt unumgänglich geworden".

Unions-Regierungsanfragen zur Sachverhaltsaufklärung 

Die Unionsfraktion hat das Bildungsministerium über eine Große Anfrage (9.7.) und eine Kleine Anfrage (11.7.) mit "100 Fragen zur Sachverhaltsaufklärung" zu Stellungnahmen bis zum 25. Juli aufgerufen. Im Zentrum des Fragekatalogs vom 11.7., welcher der Redaktion von "Forschung & Lehre" vorliegt, stehen die Beteiligung und der jeweilige Wissensstand insbesondere der Ministerin und ihrer Staatssekretärin bezüglich der Vorgänge im Rahmen der Fördermittel-Affäre und die genauen zeitlichen Abläufe. Wer wusste wann was und war wie beteiligt? 

Der Zeitraum vom 7.-16. Mai wird in vielen Detailfragen beleuchtet: "Wie oft und wann hat Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger zwischen dem 7. Mai und dem 16. Mai direkt mit Staatssekretärin Prof. Dr. Sabine Döring kommuniziert?". Dieselbe Fragestellung bezieht sich auf die Kommunikation der Bildungsministerin mit dem Leiter der Abteilung 4 "Hochschul- und Wissenschaftssystem; Bildungsfinanzierung", mit dem Leiter der Leitungsabteilung, mit dem Leiter der Grundsatzabteilung – Dr. Roland Philippi – sowie dem Leiter des Pressereferates (L21) der Leitungsabteilung. Kritisch beleuchtet wird unter anderem auch, warum die Messenger-Inhalte bisher gemäß "Aktenmäßigkeit" nicht transparent gemacht wurden (Frage 58) und wichtige Prüfaufträge entgegen dieses Prinzips telefonisch erteilt würden (Frage 59). 

Das Bildungsministerium hat den Sachverhalt bis dato stets als aufgeklärt deklariert. Diese konkreten schriftlichen Anfragen an die Bundesregierung fordern nun die schriftliche Erklärung vieler Details innerhalb von 14 Tagen. Eine Antwort wird heute erwartet.

Dieser Artikel wurde am 25.7. um 11:00 Uhr zum letzten Mal aktualisiert. Zuvor wurde er am 17.7. um 14:55 Uhr zum zweiten Mal aktualisiert (Ergänzung Ablehnungsbescheid Einsicht Messenger-Kommunikation). Eine erste Aktualisierung fand am 12.7. statt (Ergänzung Details Unions-Anfragen). Die Erstveröffentlichung war am 11.7. 

cva