Illustration: Wegweiser aus Gras; ein grüner Pfeil zeigt nach rechts
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Klimaforschung
"Forscher müssen neue Wege aufzeigen"

Was kann Klimaforschung in Politik und Gesellschaft bewirken? Ein Gespräch mit der Atmosphärenforscherin und IPCC-Autorin Astrid Kiendler-Scharr.

Von Claudia Krapp 09.08.2021

Forschung & Lehre: Frau Professorin Kiendler-Scharr, welches Gewicht hat die deutsche Klimaforschung im internationalen Vergleich? Welche Rolle kommt beispielsweise deutschen Klimaforschenden als Urheber von Wissen zu, auf das sich der Weltklimarat stützt?

Kiendler-Scharr: Am aktuellen Bericht des Weltklimarats (IPCC) haben einige deutsche Klimaforscher maßgeblich mitgewirkt: zwei koordinierende Leitautoren und weitere vier Leitautoren. Gemessen an den insgesamt 234 beteiligten Autorinnen und Autoren sind das schon relativ viele tragende Rollen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland. Generell lässt sich gar nicht so einfach beantworten, wie groß die deutsche oder internationale Klimaforschung ist, da diese sich aus zahlreichen und vielfältigen Disziplinen zusammensetzt und nach diesen differenziert werden muss.

Portraitfoto von Prof. Dr. Astrid Kiendler-Scharr
Prof. Astrid Kiendler-Scharr ist Atmosphärenforscherin am Forschungszentrum Jülich, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Klimakonsortiums (DKK) und Leitautorin des 6. Kapitels im aktuellen Bericht des Weltklimarats (IPCC). Forschungszentrum Jülich/Ralf-Uwe Limbach

F&L: Können Sie einige Beispiele nennen?

Kiendler-Scharr: Die deutsche Klimaforschung ist in einzelnen Teilbereichen sehr stark vertreten und für ihre experimentelle und theoretische Expertise international renommiert, was sich dann auch in den dem Bericht zugrundeliegenden Publikationen widerspiegelt. Ein solcher Bereich ist zum Beispiel die Untersuchung sogenannter Chemie-Klima-Wechselwirkungen, also der Auswirkung von Luftschadstoffen auf das Klima, in der auch ich tätig bin. In diesem Bereich gibt es auch international einige Forschungszentren, die für ihre Spezialisierung und ausgewiesene Expertise hochrenommiert sind und daher in den IPCC-Berichten vielzitiert werden – unter anderem Boulder in den USA, die Peking Universität und einige britische Institutionen – Deutschland nimmt hier aber ebenfalls eine Schlüsselrolle ein. In anderen Bereichen (unter anderem Kohlenstoffkreisläufe und der Strahlungsantrieb von Wolken), sind ebenfalls Europa und die USA häufig mit Expertinnen und Experten im Weltklimarat vertreten. Grundsätzlich ist der IPCC aber darauf bedacht, die globale Vielfalt der wissenschaftlichen Expertise zum Klimawandel zu berücksichtigen und keine überproportionale Repräsentation einzelner Forschungsnationen zuzulassen. Die Zahl der Deutschen, die am IPCC-Bericht mitwirken können, ist entsprechend begrenzt.

F&L: Das Deutsche Klimakonsortium (DKK), deren Vorsitzende Sie sind, vertritt rund 4.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an 25 Forschungseinrichtungen in Deutschland, die zum Klimawandel und dessen Folgen forschen. Darunter sind vorwiegend außeruniversitäre Forschungszentren und nur wenige Universitäten. Arbeiten an den Unis weniger Klimawissenschaftler?

Kiendler-Scharr: Nur wenige deutsche Universitäten haben eine hohe Anzahl an Professuren, die sich schwerpunktmäßig mit Klimawandel und seinen Folgen befassen. Für Hochschulen, die nur vereinzelte Lehrstühle in diesem Bereich haben, sind die Kosten der Mitgliedschaft im Verband sicher ein Faktor. Die Außeruniversitären sind durch ihre Spezialisierung und die Größe der Einheiten beziehungsweise die hohe Zahl der relevanten Arbeitsgruppen in den Instituten entsprechend häufiger vertreten.

F&L: Welche Rolle spielt die Organisation unter dem Dach des DKK für die beteiligten Forschungszentren?

Kiendler-Scharr: Generell hilft die Vernetzung über das Konsortium den Beteiligten bei der Kooperation, Sichtbarkeit und Einbringung der eigenen Forschung. Durch kontinuierliche Pressearbeit ist das DKK zu einer festen Adresse der Medien in Sachen Klima geworden. Presseanfragen leiten wir an den Verteiler des Arbeitskreises Öffentlichkeitsarbeit weiter und vermitteln unseren Mitgliedern Expertengespräche mit Journalistinnen und Journalisten. Zudem hilft die Vernetzung bei der Setzung von Impulsen sowie Strategie- und Ideenfindung, für eine grundsätzliche, effiziente Ausrichtung der Klimaforschung. Zum Beispiel haben wir gerade eine nationale Strategie entwickelt, so dass alle Beteiligten ihre Klimamodellierungen abstimmen und keine Doppelstrukturen und teuren Parallelentwicklungen entstehen. Als das DKK 2008 gegründet wurde, war Klimaforschung noch ein gesellschaftliches und mediales Nischenthema. Damals hatte die Vernetzung auch praktische Gründe, um die Sichtbarkeit des Forschungsfeldes zu erhöhen, die Dringlichkeit zu kommunizieren und nicht als Einzelkämpfer um Forschungsmittel und gesellschaftliche Aufmerksamkeit aufzutreten. Das spielt heute eine kleinere Rolle – das Bewusstsein um die Klimakrise ist über die Jahre stetig gewachsen und inzwischen vorhanden. Der Klimarat und seine Arbeit werden heute viel stärker wahrgenommen und diskutiert, ebenso wie die Forschung der einzelnen Institutionen.

"Das Bewusstsein um die Klimakrise ist über die Jahre stetig gewachsen."

F&L: Bei der Vorberichterstattung zum aktuellen Bericht des IPCC haben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen mehrfach betont, dass sich der Inhalt der Berichte seit dem Erscheinen des ersten 1990 nicht wesentlich geändert hat, die Politik aber so gut wie keine Maßnahmen daraus abgeleitet hat. Können Sie das näher erläutern?

Kiendler-Scharr: In der Grundaussage – der Klimawandel ist real und der CO2-Ausstoß des Menschen ist der Haupttreiber dafür – hat sich tatsächlich nichts geändert. Im Detail sind über die Jahre natürlich eine Vielzahl an neuen Erkenntnissen über die Zusammenhänge im Erdsystem und präzisere Vorhersagen hinzugekommen. Auch in der Politik gab es durchaus Fortschritte, aber objektiv betrachtet wurden von Deutschland und international gesetzte Klimaziele nicht erreicht. Hier haben Gerichtsurteile, wie zuletzt vom Bundesverfassungsgericht, das Potenzial, die Politik künftig zur Umsetzung ihrer Pläne zu bewegen. Es wäre aber äußerst enttäuschend, wenn die Politik ihrer ureigenen Aufgabe, die konkrete Umsetzung nach demokratischen Prinzipien auszuhandeln, nicht selbst vorantreibt.

F&L: Was müsste Ihrer Ansicht nach passieren, damit diese politischen Aushandlungsprozesse stärker mit der wissenschaftlichen Stimme des Weltklimarats im Hinterkopf ablaufen?

Kiendler-Scharr: Dadurch, dass der IPCC-Bericht und die IPCC-Koordinierungsstelle in Deutschland sowohl vom Bildungs- als auch vom Umweltministerium gefördert werden, glaube ich, dass die Stimme der Wissenschaft in der deutschen Politik schon gehört wurde und wird. Trotzdem haben wir in der Vergangenheit auch in Deutschland die Klimaziele nicht erreicht und Maßnahmen nicht konsequent genug umgesetzt. Grundsätzlich bin ich optimistisch, dass die Menschen weltweit umdenken; das Interesse spiegelt sich auch in der zunehmenden medialen Präsenz des Klimarats. Jetzt kommt es darauf an, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft konsequent einen effektiven Weg einschlagen und auch beibehalten, um Treibhausgase zu reduzieren.

"Wir müssen konkrete Szenarien zur Hand haben."

F&L: Sollte die Klimaforschung hier neben den Fakten zum Klima künftig mehr konkretere, lösungsorientierte Machbarkeitsstudien durchführen und Wege aufzeigen, um die Klimaziele zu erreichen, oder die Effektivität einzelner Maßnahmen zu untersuchen? Wie grundlagenorientiert forschen die Klimawissenschaftler in Deutschland bislang?

Kiendler-Scharr: Wenn das Ziel, bis 2045 Klimaneutralität in Deutschland zu erreichen, gesetzt ist, sehe ich durchaus einen Bedarf für mehr anwendungsorientierte Forschung. Wir müssen für Deutschland konkrete Szenarien zur Hand haben, die weiterhin naturwissenschaftliche Grundlagen berücksichtigen, aber auch die Folgen von Handlungen soziologisch und wirtschaftlich betrachten. In Deutschland müssten sich meines Erachtens einzelne Sektoren – zum Beispiel Landwirtschaft – jetzt der Analyse ihrer Emissionen stellen. Letztlich brauchen wir in den nächsten zwei Jahrzehnten konkrete Ansätze für alle Lebensbereiche, um Klimaneutralität zu erreichen. Dafür müssen sich die Verantwortlichen und die Forschenden zu möglichen Wegen austauschen.

F&L: Einige Hochschulen entwickeln schon Nachhaltigkeitskonzepte für ihren Campus. Können sie hier eine gesellschaftliche Vorbildfunktion übernehmen oder müssen andere Institutionen vorangehen?

Kiendler-Scharr: Klimaneutrale Forschung wäre in mehrerer Hinsicht ein zentrales Element für Wandlungsprozesse. Der Forschungssektor umfasst einiges an Gebäuden und Infrastruktur, die aus öffentlicher Hand finanziert werden, und ist damit ein gewichtiger Player. Wenn die Hochschulen sich beispielsweise entscheiden würden, alle ihre Gebäude mit nachhaltigen und klimaneutralen Materialien zu errichten oder zu sanieren, wäre das für die Bauwirtschaft ein ernstzunehmender und verlässlicher Kundenstamm, für den es sich lohnen würde, die Prozesse umzustellen. Bezüglich der klimaschädlichen Reisetätigkeiten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat das vergangene Pandemiejahr schon eine erhebliche Umstellung erzwungen, viele Treffen finden nun digital statt und werden das meiner Einschätzung nach auch in Zukunft tun. Auch Großrechner und Messfahrzeuge wie Forschungsschiffe oder -flugzeuge haben einen großen Anteil am ökologischen Fußabdruck der Hochschulen. Hier könnten diese sich entscheiden, auf nicht-fossile Brennstoffe und nachhaltige Energieträger zum Antrieb zu setzen.

F&L: Welche Maßnahmen setzt das Forschungszentrum Jülich, wo sie forschen, in dieser Hinsicht schon um?

Kiendler-Scharr: Nichts, was revolutionär wäre; bisher vor allem energetische Dämmung der Gebäude, eine eigene Wärmevollversorgungszentrale und andere Energiesparmaßnahmen. Aktuell bauen wir auch ein Wärmenetz, das die Abwärme des Supercomputers zur Heizung umliegender Gebäude nutzen soll. Das Ganze wird begleitet von unserem Reallabor Projekt "Living Lab Energy Campus (LLEC)", einer wissenschaftlich-technischen Plattform. LLEC hat das Ziel, ein intelligentes Energiesystem zu schaffen, welches Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Benutzerkomfort gleichermaßen Rechnung trägt. Das ist ein Anfang, aber es ist noch deutlich Luft nach oben. Es ist die Aufgabe der Forschung, hier Impulse zu setzen und Vorreiter zu sein.