Studierende und Lehrkräfte mit einer Flagge von Belarus bei einer Demonstration an der Minsk State Linguistic University.
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Gefährdete Wissenschaftler
Hilfe für Wissenschaftler in Belarus

Bei den Protesten in Belarus sind auch Hochschulangehörige unter staatlichen Druck geraten. Hilfe erhalten sie aus Nachbarländern und Deutschland.

03.11.2020

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in Belarus ihre Anstellung verloren haben, erhalten Unterstützung von ausländischen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen. In Deutschland sammelt die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) Angebote, um belarussische Wissenschaftler in Not zu unterstützen. Bislang haben sieben Hochschulen in Deutschland ihre Hilfe angeboten, teilte die DGO am Dienstag gegenüber "Forschung & Lehre" mit. Initiativen für einige Dutzend Studierende gebe es demnach an den Universitäten in Tübingen, Frankfurt (Oder), Jena, Hamburg, Leipzig und Potsdam sowie an der HU Berlin.

Zudem wolle der Berliner Verein "Off-University", der 2016 zur Unterstützung politisch unterdrückter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Türkei gegründet wurde, seine Angebote für Hilfesuchende aus Belarus öffnen, teilte die DGO mit. Auch die Philipp-Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt Stiftung sei jetzt auch für bedrohte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Belarus offen.

Seit Mitte Oktober ruft die DGO zu Solidarität mit belarussischen Akademikerinnen und Akademikern auf. Der Appell zu einer "akademischen Initiative" richtet sich an Universitäten und außeruniversitäre Einrichtungen in Deutschland, an Stiftungen und Fördereinrichtungen sowie Studierende und Wissenschaftler. Im September hatte die DGO bereits eine Erklärung zur Lage an wissenschaftlichen Einrichtungen in Belarus verfasst, in der sie zum Ende der Gewalt aufgerufen hat. Diese haben mehr als 2.200 Personen unterzeichnet.

Bestehende Stipendienprogramme ausgeweitet

Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hat nach eigenen Angaben seine bestehenden Stipendienprogramme für Wissenschaftler, die für Studien- oder Forschungsvorhaben aus Belarus nach Deutschland kommen, verdoppelt. "Belarussische Studierende und Forschende haben aktuell sehr gute Chancen, wenn Sie sich auf Stipendienprogramme des DAAD bewerben", teilte der DAAD gegenüber "Forschung & Lehre" mit. Im vergangenen Jahr förderte der DAAD rund 300 Personen aus Belarus.

Aktuell unterstütze der DAAD deutsche Hochschulen dabei, ihre Kooperationen mit belarussischen Hochschulen "auch in der gegenwärtig schwierigen Situation fortzusetzen und – falls möglich – auszubauen." Aktuell haben laut HRK 56 deutsche Hochschulen eine Partnerschaft mit einer der 51 belarussischen Hochschulen. Die internationale Vernetzung soll dem DAAD zufolge kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler "bestmöglich schützen" und Gesprächskanäle offen halten.

Auch die Nachbarländer Litauen und Polen haben bereits Stipendienprogramme angeboten und die Visavergabe erleichtert. Laut Medienberichten haben bereits viele Wissenschaftler aus Belarus dort Anschluss gefunden. Neben Russland waren Polen, Litauen und Deutschland, Erhebungen der UNESCO zufolge, bereits vor den Protesten die beliebtesten Zielländer für belarussische Studierende im Ausland.

Unterstützung kommt auch von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), die sich einem am Montag veröffentlichten Appell der European University Association (EUA) und der European Students’ Union (ESU) angeschlossen hat. "Die jüngsten Drohungen von Aleksandr Lukaschenko gegenüber Studierenden und Lehrkräften belarussischer Hochschulen, die sich an den Protesten gegen die Fortsetzung seiner Präsidentschaft beteiligten, versetzen uns in große Sorge", sagte HRK-Präsident Professor Peter-André Alt am Montag. "Sie stellen eine akute Gefahr für die belarussischen Hochschulangehörigen und die akademische Freiheit der dortigen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen dar."

Haft, Entlassung und Zwangsexmatrikulation nehmen zu

Ähnlich äußerten sich die EUA und die ESU in ihrem Statement zu den Einschnitten von "demokratischen Rechten und Menschenrechten" in Belarus. Die Unterzeichner fordern Meinungs- und Demonstrationsfreiheit für alle Bürgerinnen und Bürger, auch für Studierende und Hochschulangehörige. Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie seien Grundvoraussetzungen für die weitere gemeinsame Umsetzung der Bologna-Reform mit belarussischen Behörden. Die europäischen Verbünde begrüßten zudem bestehende nationale Unterstützungsprogramme und Stipendien für Akademiker aus Belarus und forderten weitere Länder und Universitäten auf, deren Beispiel zu folgen. Von der EU-Kommission forderten sie, ein Stipendienprogramm für gefährdete Wissenschaftler zu gründen, gemeinsam mit "Scholars at Risk".

In Belarus protestieren seit der umstrittenen Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko Anfang August regelmäßig tausende Bürgerinnen und Bürger gegen Wahlfälschung und Gewalt. Unter ihnen sind auch viele Studierende und Hochschulangehörige. Seit Beginn des akademischen Jahres gehören Medienberichten zufolge maskierte Sicherheitskräfte und Repressionen zum Hochschulalltag in Belarus. Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Mitarbeitern drohten Haft und Entlassung, wenn sie sich offen gegen das Regime stellten.

Seit Ablauf des Ultimatums der Opposition an Lukaschenko, zurückzutreten, hat sich die Lage laut DGO weiter verschärft. Demnach sollen seit Ende Oktober alle Studierenden, die sich an Streiks beteiligen, zwangsexmatrikuliert werden. An mehreren Universitäten seien bereits Studierende, die sich an Protesten beteiligt hatten, verhaftet oder von der Hochschule ausgeschlossen worden. Mehrere Rektoren, die diese Ausschlüsse nicht unterstützen, sind Medienberichten zufolge entlassen worden. Eine umfassende Dokumentation aller Repressionen an belarussichen Hochschulen sei derzeit nicht möglich, schreibt die DGO, ihr lägen neben hunderten Studierenden jedoch die Namen von 39 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor, die politisch unter Druck geraten seien. Davon seien 16 Personen entlassen worden.

Es sei davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl der Repressionen deutlich höher sei und "dass die Zahl der Inhaftierungen, Geldstrafen, Kündigungen und Exmatrikulationen an Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen in Belarus in den nächsten Wochen weiter stark ansteigen wird", so die DGO.

ckr