Ein Irrgarten aus dunkelgrauen, verschieden hohen Betonpfeilern, die wie ein Friedhof wirken: Berliner Mahnmal für die in Deutschland und ganz Europa ermordeten jüdischen Menschen.
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Antisemitismus-Resolution
HRK kritisiert Antisemitismus-Resolution für Hochschulen

Die HRK sieht die Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie in Gefahr. Der Hochschul-Fachantrag "Antisemitismus" könnte diese beeinträchtigen.

21.11.2024

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) äußert sich kritisch über das Vorhaben, eine weitere Bundestagsresolution gegen Antisemitismus speziell für die Anwendung an Hochschulen und Schulen zu verabschieden. "Ein solcher Beschluss ist sachlich nicht geboten und vor dem Hintergrund von Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit nicht nützlich", heißt es in der Entschließung der 39. HRK-Mitgliederversammlung vom 19. November. 

Nachdem Anfang November die interfraktionelle Antisemitismus-Resolution "Jüdisches Leben schützen" im Bundestag verabschiedet wurde, kommt nun Medienberichten zufolge der Fachantrag "Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern" ins Parlament. Es ist ein ergänzender Antrag von den Fraktionen der ehemaligen Ampel-Koalition und der CDU/CSU, der maßgeblich vom Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung erarbeitet wurde, berichtet "Table.Media". 

"Wir setzen darauf, dass die Institutionen entsprechende Strukturen haben oder aufbauen, die Antisemitismus erkennen und bekämpfen", sagte Forschungsausschuss-Mitglied Stephan Albani (CDU) gegenüber dem Briefing-Dienst. "Wir wollen mit dem zweiten überfraktionellen Antrag klarstellen, dass die Wissenschaftsfreiheit natürlich weiterhin gilt", zitiert der "Wiarda-Blog" den SPD-Wissenschaftspolitiker Oliver Kaczmarek zum Fachantrag. Auch die Hochschulautonomie müsse und werde gewahrt bleiben. 

Zentrale Inhalte und ablehnende Positionen 

Zentrale Forderungen aus dem ergänzenden Fachantrag für den Hochschulbereich sind: 

  • die Stärkung der Antisemitismusforschung und der jüdischen Gegenwartsforschung,
  • eine regelmäßige Datenerhebung zu Antisemitismus an Hochschulen und Schulen,
  • konsequentes Vorgehen gegen antisemitisches Verhalten an Hochschulen,
  • ein institutionsübergreifender Dialog darüber,
  • die Einrichtung von Antisemitismus-Beauftragten,
  • eine kritische Haltung gegenüber dem Boykott israelischer Wissenschaft,
  • die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu nutzen. 

Die HRK begrüßt in ihrer Entschließung, dass sich der Deutsche Bundestag für den Schutz jüdischen Lebens einsetzt. Die Diskussion über die Definition von Antisemitismus sei jedoch Gegenstand und Aufgabe wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Eine staatliche Intervention in den wissenschaftlichen Diskurs an Hochschulen sei nicht zulässig. "Es ist sicherzustellen, dass staatliche Fördermittel für Forschung und Lehre allein nach wissenschaftsgeleiteten Prinzipien und Verfahren verteilt werden", heißt es weiter. 

Inzwischen haben sich bereits 22 Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft kritisch über die aus ihrer Sicht problematischen Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie geäußert. In ihrem Schreiben, über das zuerst die "taz" berichtete, wenden sie sich unter anderem gegen die isolierte Priorisierung von Antisemitismus und Israelfeindlichkeit im Verhältnis zu anderen Bereichen des Rassismus oder der Diskriminierung. Auch eine Verengung des Wissens zum Nahostkonflikt auf die Geschichte Israels wird problematisiert. Die Diskursfreiheit wird durch einseitige Sicherheitskonzepte in Gefahr gesehen. Zudem drohten Eingriffe in den wissenschaftlichen Begutachtungsprozess. Die alleinige Ausrichtung auf die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus berge die Gefahr, den offenen Diskurs über mögliche Definitionen einzuschränken. 

Mögliches Einfallstor für Einschränkungen und Bevormundung 

HRK-Präsident Professor Walter Rosenthal erklärt dazu: "Die Resolution enthält Forderungen, die auch bei besten Absichten als Einfallstor für Einschränkungen und Bevormundung etwa in der Forschungsförderung verstanden werden könnten". Resolutionen des Bundestags seien rechtlich nicht bindend. Er verstehe aber die Sorge in der Wissenschaft vor unzulässigen Folgewirkungen. Während der HRK-Mitgliederversammlung sei deutlich geworden, dass Hochschulen hinsichtlich aktueller politischer Vorstöße besonders darauf achten werden, dass ihre Autonomie und die Wissenschaftsfreiheit sowie die wissenschaftsgeleiteten Verfahren in Förderentscheidungen gewahrt blieben. "Die Wissenschaftsfreiheit ist für uns als Hochschulen die Grundlage allen Handelns", erklärt Rosenthal weiter. 

"Die Resolution enthält Forderungen, die auch bei besten Absichten als Einfallstor für Einschränkungen und Bevormundung etwa in der Forschungsförderung verstanden werden könnten."
HRK-Präsident Professor Walter Rosenthal

Im Rahmen ihrer Hochschulautonomie hätten die Hochschulen vielfältige Maßnahmen ergriffen und würden weitere ergreifen, um klar gegen Antisemitismus Stellung zu beziehen. Dazu gehörten laut HRK Maßnahmen zum Schutz jüdischer Studierender und Mitarbeitenden, die Durchsetzung von Ordnungsmaßnahmen auf der Grundlage des Hausrechts bei antisemitischen Vorfällen, Veranstaltungen, welche die akademische Debattenkultur zum Thema stärken, Forschung zu Antisemitismus und zu jüdischem Leben, Austauschprogramme mit Israel, die Einrichtung von Antisemitismus-Beauftragten sowie aktive Antisemitismusprävention. Aufklärung durch Forschung, Bildung und Austausch, nicht politische Bekenntnisse, seien das Mittel der Wahl. 

Ausdrückliche Ablehnung anti-israelischer Boykottaufrufe 

"Die HRK lehnt Boykottaufrufe gegen israelische Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Wissenschaftseinrichtungen entschieden ab", heißt es am Ende der Entschließung. Die Stärkung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit Israel sei auch ein Zeichen der Solidarität und Ausprägung der wissenschaftlichen Diskurskultur. 

In einer Pressemitteilung anlässlich der Reichspogromnacht am 9. November hatte sich auch der Deutsche Hochschulverband (DHV) als bundesweite Berufsvertretung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegen Boykott und für Wissenschaftsfreiheit ausgesprochen. DHV-Präsident Professor Lambert T. Koch hob hervor, dass Hochschulen und Wissenschaft Orte bleiben müssten, an denen strittige Fragen, wie zum Beispiel der Nahost-Konflikt, offen und kontrovers diskutiert werden können. Allerdings ende die prinzipielle Dialogbereitschaft dort, wo an die Stelle argumentativer Sachauseinandersetzungen Verunglimpfung, Hetze oder gar Gewalt trete. 

"Wissenschaft unterliegt einem hohen methodologischen Anspruch und darf sich daher weder 'alternativen Fakten' noch politischen Wunschvorstellungen, geschweige denn ideologischen Feindbildern beugen", sagte Koch. Gemeinsam mit einer mutigen Zivilgesellschaft sei daher dafür Sorge zu tragen, dass Antisemitismus, Rassismus, Intoleranz und auf Ausgrenzung fußende Feindbilder keinen Platz haben. 

"Der Ausschluss und Boykott der Kolleginnen und Kollegen von Tagungen oder Kooperationen sind inakzeptabel und widersprechen allen akademischen Umgangsformen."
DHV-Präsident Professor Lambert T. Koch

Der DHV-Präsident wies Versuche zurück, israelische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Politik der Regierung Netanjahu in Mithaftung zu nehmen. "Der Ausschluss und Boykott der Kolleginnen und Kollegen von Tagungen oder Kooperationen sind inakzeptabel und widersprechen allen akademischen Umgangsformen", so Koch abschließend.

cva