Anja Karliczek
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Meinungsfreiheit
Karliczek warnt vor "Meinungszensur" an Unis

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hat die Proteste gegen Bernd Lucke kritisiert. Sie warnt vor einer Meinungszensur, nicht nur an Hochschulen.

26.10.2019

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hat sich nach den Störungen der Vorlesungen von Professor und AfD-Mitbegründer Bernd Lucke zur Debattenkultur in Deutschland positioniert. "Hochschulen müssen Orte der freien Debatten, der freien Lehre und des freien Studiums sein", sagte die Ministerin gegenüber dem "Spiegel". "Es geht nicht, dass sich Studentengruppen oder Aktivisten als Meinungszensoren aufspielen."

Auch wenn es immer noch Einzelfälle seien, häuften sich die Einschnitte in die Meinungsfreiheit an Hochschulen, mahnte Karliczek. Das verletze den Kern der Freiheit von Wissenschaft und Lehre. Das Problem sei jedoch ein gesamtgesellschaftliches: "Wir brauchen mehr Toleranz", sagte Karliczek gegenüber dem Nachrichtenmagazin. "Wir müssen lernen, wieder mehr zuzuhören und auch einmal Meinungen ernst zu nehmen, die vielleicht nicht überall gleich ungeteilten Beifall finden."

Zu viele Menschen säßen in Deutschland auf dem "moralischen Thron". "Bis in die Mitte der Gesellschaft hinein gibt es heute das Gefühl, man dürfe nicht mehr alles sagen", so Karliczek. Man müsse aufpassen, "den politischen Diskurs nicht so zu verengen", dass man einen Teil der Gesellschaft verliere. Eine immer stärkere Polarisierung schade einer Gesellschaft und könne sie letztlich kaputtmachen.

Wissenschaft wichtige Rolle in Debattenkultur

Viele Menschen hätten das Gefühl, schon bei einer etwas ungeschickten Formulierung "runtergemacht zu werden", sagte die Ministerin. Das dürfe nicht sein – "nur weil sich vielleicht jemand nicht voll gendergerecht ausdrückt oder nicht umfassend politisch korrekt formuliert". Viele Menschen wollten einfach nur reden, "wie ihnen der Schnabel gewachsen sei".

Karliczek betonte die Bedeutung der Wissenschaft für einen faktenbasierten gesellschaftlichen Diskurs. Der Verlauf der Feinstaubdebatte sei ein Beispiel dafür, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stärker einmischen müssten, und die Debatte nicht meinungsstarken Gruppen überlassen dürften. In der Klimadebatte müsse es etwa noch besser gelingen, die Konsequenzen der Klimaveränderung für jeden Einzelnen und jede Einzelne deutlich zu machen. Auf die Frage nach dem von vielen als zu schwach formulierten Klimapaket der Bundesregierung wich sie aus und verwies auf die positive Signalwirkung, die das Programm habe.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Freitag für eine schonungslos ehrliche, aber respektvolle Auseinandersetzung in der Gesellschaft geworben. "Was wir gewiss nicht brauchen, sind aggressive Gesprächsverhinderungen, Einschüchterung und Angriffe", sagte Steinmeier. "Angriffe auf vermeintlich unbequeme Politikerinnen und Politiker, wie es sich jüngst in Göttingen und Hamburg zugetragen hat. Oder auf umstrittene Professoren in Hörsälen und Seminaren", ergänzte er. Niemand müsse schweigen, wenn ihm etwas nicht gefalle. "Aber andere zum Schweigen bringen zu wollen, nur weil sie das eigene Weltbild irritieren, ist nicht akzeptabel", so Steinmeier.

ckr/kas