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Europäische Zusammenarbeit
"Müssen bei KI und Grüner Energie besser vorankommen"

In den kommenden Wochen starten erste Ausschreibungen für "Horizon Europe". Welche Ziele verfolgt die deutsche Politik?

Von Katrin Schmermund 23.02.2021
  • Der Europäische Forschungsrat (ERC) hat für diese Woche erste Ausschreibungen unter dem neuen EU-Forschungsrahmenprogramm "Horizon Europe" angekündigt. Weitere Ausschreibungen sollen ab März folgen. Insgesamt wurden der europäischen Wissenschaft für den Zeitraum 2021 bis 2027 rund 95 Milliarden Euro versprochen, zuzüglich der finanziellen Programmbeteiligung Großbritanniens.
  • Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) setzt für die Programmlaufzeit von "Horizon Europe" vor allem auf die Weiterentwicklung von Schlüsseltechnologien in Künstlicher Intelligenz oder Grüner Energie.
  • Deutschland habe während seiner Ratspräsidentschaft nationale Projekt-Initiativen mit EU-Staaten und Bürgerinnen und Bürgern gestartet. Die will die Forschungsbehörde auf EU-Ebene fortführen.
  • Die negativen Effekte des Brexits auf die Wissenschaft will das BMBF abmildern, die Wissenschaftsfreiheit mit einem Monitoring-System sichern. Mit Details hält sich das BMBF zurück. Erst müssten weitere Gespräche geführt und Konzepte erarbeitet werden.

Forschung & Lehre: Herr Kraus, bis 2027 läuft die europäische Forschungszusammenarbeit unter dem Dach von "Horizon Europe". Worauf kommt es Ihnen an?

Wilfried Kraus: Wir haben uns von deutscher Seite insbesondere für die Förderung von Schlüsseltechnologien starkgemacht. Es ist wichtig, dass Europa in der Künstlichen Intelligenz aufholt und bei der grünen Energie seine Stellung weiter ausbaut, um sich im Wettbewerb mit Ländern wie den USA oder China zu behaupten, unabhängig ist und seine Nachhaltigkeitsziele erreicht. Während der deutschen Ratspräsidentschaft haben wir dafür zum Beispiel mit Portugal und Slowenien eine Initiative zum grünen Wasserstoff angestoßen, für die wir möglichst viele EU-Staaten gewinnen wollen, um das Ziel der "European Clean Hydrogen Alliance" zu unterstützen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Gleichzeitig setzen wir auf das Potenzial der Grundlagenforschung; Forschung, die nicht zweckgebunden ist und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern neue Perspektiven auf Forschungsfragen ermöglicht.

Wilfried Kraus
Wilfried Kraus hat in der Abteilung Europäische Zusammenarbeit in Bildung und Forschung des BMBF die Verhandlungen zu "Horizon Europe" begleitet. privat

F&L: Das Budget für den European Research Council (ERC) zur Förderung von EU-Grundlagenforschung sollte zwischenzeitlich – wie auch das Gesamtbudget für "Horizon Europe" – deutlich niedriger auszufallen als geplant. Der vorläufige Präsident des ERC, Jean-Pierre Bourguignon, übte harsche Kritik.

Wilfried Kraus: 25 Milliarden Euro gehen bei "Horizon Europe" in die Programm-Säule "Wissenschaftsexzellenz", 16 Milliarden davon in den ERC. Das sind gut eine Milliarden Euro mehr als zur zwischenzeitlich zur Debatte standen und drei Milliarden Euro mehr als im Programm "Horizon 2020".

F&L: Der Budget-Zuwachs ist das Ergebnis der abschließenden Verhandlungsrunde mit dem Parlament. Nach den Verhandlungen der Ministerinnen und Minister der EU-Staaten war für den ERC ein Budget von 13,4 Milliarden Euro im Gespräch. Das wären fast zehn Prozent weniger gewesen als im ursprünglichen Entwurf vorgesehen.

Wilfried Kraus: Man muss bedenken, dass solche Verhandlungen immer auch eine Kompromissfindung bedeuten. Es ging darum, einen EU-Gesamthaushalt durchzubringen und der schien auf den letzten Metern zu scheitern. Wir stehen mit Corona und der Beschäftigungskrisen in vielen Ländern vor riesigen Herausforderungen. Die Wirtschaft hat stark gelitten.

Förderanträge beim Europäischen Forschungsrat

Der vorläufige Präsident des ERC, Jean-Pierre Bourguignon, kritisierte, dass die EU das Potenzial exzellenter Wissenschaft in Europa verschenke. Zwischen 2012 und 2019 habe sie 11.023 Anträge erhalten, die eine Bestbewertung bekommen hätten, 3.600 davon hätten nicht gefördert werden können. Das entspricht einem Anteil von rund 33 Prozent der Anträge und einer Fördersumme von sieben Milliarden Euro.

F&L: Großbritannien will weiter in den Horizon-Topf einzahlen, aber aus "Erasmus+" aussteigen. Was unternehmen Sie, um die negativen Effekte auf den europäischen Austausch abzumildern?

Wilfried Kraus: Der Austritt aus dem Erasmus-Programm ist sehr enttäuschend. Wir hätten uns gewünscht, dass die Teilnahme an dem "Horizon"-Programm an "Erasmus+" gekoppelt würde. Ohne "Erasmus+" müssen wir den Austausch von Studierenden und Auszubildenden mit dem Vereinigten Königreich auf eine neue Grundlage stellen. Die Bundesregierung arbeitet mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) an einem Konzept, wie das gelingen kann.

F&L: Das klingt noch sehr vage. Können Sie Konkreteres sagen?

Wilfried Kraus: Bedauerlicherweise ist die britische Regierung in den Verhandlungen nicht auf Sonderbestimmungen bei der Einreise für Studierende und Forschende eingegangen. Selbst die Regelung für visafreie Kurzaufenthalte konnten wir erst in letzter Minute vereinbaren. Wir klären jetzt, wie wir die Einreise für Studierende und Forschende unter den neuen Einreisebestimmungen so reibungslos wie möglich gestalten sowie die künftig höheren Gebühren für EU-Studierende über Förderprogramme oder Bafög minimieren können.

"Wir müssen auf allen Ebenen – EU und Mitgliedsstaaten – schneller und zielorientierter zusammenarbeiten"

F&L: Was halten Sie in den kommenden Jahren für die größte Herausforderung der europäischen Forschungszusammenarbeit und wie reagieren Sie darauf?

Wilfried Kraus: Wir müssen auf allen Ebenen – EU und Mitgliedsstaaten – schneller und zielorientierter zusammenarbeiten. Dafür richtet die EU-Kommission das "Forum for Transition" ein. Eine Expertengruppe beschäftigt sich etwa mit der Frage, wie wir Forschungsdaten über Open Science schneller verfügbar und untereinander teilen können. Außerdem müssen wir nationale Forschungsprojekte besser zusammenführen. "Horizon" macht nur 10 Prozent der Forschungsausgaben in der EU aus. Wir müssen auch die restlichen 90 Prozent auf EU-Ebene nutzen.

F&L: Was unternehmen Sie dafür?

Wilfried Kraus: Wir wollen zum Beispiel die Anliegen der Bevölkerung in der Forschung noch stärker im Blick haben. Dafür organisieren wir europaweit koordinierte Citizen-Science-Projekte, in die sich Bürgerinnen und Bürger einbringen können. Im Projekt "Plastikpiraten" von Deutschland, Portugal und Slowenien sammeln Jugendliche etwa Daten zum Kunststoffvorkommen an und in Gewässern. Das Projekt würden wir gern EU-weit verbreiten. Allein in Deutschland haben bislang 14.000 Schülerinnen und Schüler teilgenommen.

F&L: Die Zusammenarbeit in der EU wird durch eine unterschiedliche Auslegung von Rechtsstaatlichkeit auf die Probe gestellt. Dazu gehören auch Einschnitte in die Wissenschaftsfreiheit. Deutschland hat während der Ratspräsidentschaft die "Bonner Erklärung" zur Wissenschaftsfreiheit gestartet. Wie stellen Sie sicher, dass daraus mehr wird als ein formales Bekenntnis?

Wilfried Kraus: Wir entwickeln auf der Basis der "Bonner Erklärung" ein Monitoring-System zur Bestimmung der Wissenschaftsfreiheit in der EU mit den beteiligten europäischen Staaten. Sobald wir uns auf Kriterien geeinigt haben, wie wir die Wissenschaftsfreiheit bestimmen wollen, messen wir regelmäßig, ob sie in den einzelnen EU-Staaten auch eingehalten wird.

F&L: Wann stehen die Kriterien fest und was passiert, wenn sich Länder nicht an die festgelegten Kriterien halten?

Wilfried Kraus: Die EU-Kommission setzt im Laufe des Jahres eine Expertengruppe ein, um die Kriterien zu erarbeiten. Es ist zu früh, zu sagen, was die konkreten Konsequenzen sein werden. Die Qualität der Forschungsfreiheit künftig sichtbarer und überprüfbarer zu machen als heute, sichert für mich schon jetzt den besonders hohen Stellenwert der Bonner Erklärung für die künftige europäische Forschungs- und Innovationszusammenarbeit.

"Horizon Europe"

Die Förderung unter dem EU-Forschungsrahmenprogramm "Horizon Europe" (2021-2027) teilt sich in drei Programm-Bereiche:

  • 1: Exzellente Wissenschaft (Europäischer Forschungsrat, Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen, Forschungsinfrastrukturen)
  • 2: Globale Herausforderungen und europäische industrielle Wettbewerbsfähigkeit
  • 3: Innovatives Europa (Europäischer Innovationsrat, Innovationsökosysteme, Europäische Innovations- und Technologieinstitut)

Zudem wurden fünf sogenannte "Missionen" als zu behandelnde Schwerpunktthemen definiert: Klimawandel durch sozialen Wandel, Krebsprävention und -behandlung, Klimaneutrale intelligente Städte, Gesunde Ozeane sowie Gesunde Böden und Lebensmittel.