Das Foto zeigt den Ausschnitt eines Abiturzeugnisses mit Note 1.0.
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Abitur
"Politisch gewünschter Trend zu besseren Noten"

Schlauere Schüler, bessere Abiturienten oder gesunkene Anforderungen? Die Diskussion um mehr Einser-Noten im Abitur geht weiter.

28.09.2019

In der Debatte um eine steigende Zahl von Abiturienten mit der Note eins im Abitur hat der Philologenverband Qualitätseinbußen zurückgewiesen. "Geschenkt bekommt sein Abitur niemand. Abiturienten wissen viel, in der Tiefe und in der Breite". Das sagte die Bundesvorsitzende des Philologenverbands (DPhV), Professorin Susanne Lin-Klitzing, der Deutschen Presse-Agentur kurz vor Beginn des bundesweiten Gymnasialtags am Samstag in Bonn. Das Abitur sei nach wie vor ein anspruchsvoller Abschluss. In allen Schularten sei allerdings "ein politisch gewünschter Trend zu besseren Noten zu verzeichnen".

Der Hochschulverband (DHV) hatte angesichts einer deutlich steigenden Zahl von Abiturienten mit mindestens der Abschlussnote 1,9 jüngst gefordert, man solle einer "Noteninflation" Einhalt gebieten. Aus den Hochschulen kämen Klagen über das Text- und Schreibverständnis der Abiturienten und über Schwierigkeiten in Mathematik. Es sei zutreffend, dass etwa jeder vierte Abiturient 2018 eine Eins vor dem Komma hatte, während zehn Jahre zuvor "nur" etwa jeder fünfte ein "Einser-Abiturient" war, schilderte Lin-Klitzing.

Ein Faktor könne eine spezielle Notenverordnung der Kultusministerkonferenz (KMK) von 2016 sein. Sie sei mit dem begrüßenswerten Ziel geschaffen worden, eine höhere Vergleichbarkeit der Abschlüsse unter den Bundesländern zu erreichen. Es deute nun aber einiges darauf hin, dass das Niveau etwas gesenkt worden sei. Beispiel: Um eine Abi-Klausur zu bestehen, müsse ein Schüler nach der KMK-Verordnung nur noch 45 Prozent des Abgefragten wissen. In manchen Ländern seien dafür zuvor 50 Prozent nötig gewesen. Bis 2020 müsse die Umsetzung der Verordnung in allen Länder umgesetzt sein.

Lin-Klitzing: Begabte werden zu wenig gefördert

Der DPhV – er vertritt vor allem Gymnasiallehrer – plädierte dafür, dass Niveau anzuheben, wenn man eine bessere Vergleichbarkeit herstellen wollen. So wäre es sinnvoll, bundesweit fünf Abitur-Prüfungsfächer einzuführen, darunter verpflichtend Deutsch, Mathe und eine Fremdsprache, so wie etwa aktuell in Bayern. Tatsächlich sei das Bild hier derzeit aber unterschiedlich. Das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen etwa verlange nur vier Fächer.

Zu dem häufig geäußertem Vorurteil, dass NRW zu den Ländern gehöre, in denen das Abitur besonders leicht zu schaffen sei, sagte die Verbands-Vorsitzende: "Das kann man so nicht sagen. Es sieht so aus, als ob NRW solide arbeiten würde." Bei der Abi-Durchschnittsnote liege NRW mit 2,45 (2017) knapp hinter dem Bundesmittel, bei der Durchfallerquote (2017: 3,5 Prozent) schneide NRW etwas besser ab als der Bundesschnitt.

Da auch wegen Zuwanderung und Inklusion viel Energie in die Unterstützung von Schülern mit besonderem Förderbedarf gesteckt werde, falle die Begabtenförderung oft sehr schwach aus, kritisierte Lin-Klitzing. "Der Gedanke ist: Die Guten schaffen es sowieso, die anderen muss ich stützen." Die wichtige Förderung besonderer Talenten bei begabten Schülern – etwa in AGs oder mit zusätzlichen Fremdsprachen – habe abgenommen, hier gebe es eine größere Lücke.

dpa/gri