US-Präsident Joe Biden bei einer Rede vor dem Weißen Haus
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100 Tage im Amt
Präsident Biden hat Hochschulen im Blick

Seit 100 Tagen ist Joe Biden Präsident der USA. Welche seiner ehrgeizigen Ziele für Bildung und Wissenschaft konnte er umsetzen? Eine erste Bilanz.

Von Claudia Krapp 29.04.2021

Bereits im Wahlkampf kündigte Joe Biden, der mit 78 Jahren älteste US-Präsident aller Zeiten, eine ehrgeizige Serie von Maßnahmen an, die er binnen drei Monaten nach Amtsantritt einlösen wolle. Damit nahm er Bezug auf das 100-Tage-Programm des früheren US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt (FDR), der das Land 1933 mit zahlreichen schnell verabschiedeten Gesetzen aus der Weltwirtschaftskrise geführt hatte. Seither prüft die Öffentlichkeit den Erfolg von Politikern weltweit anhand dieser Frist. Biden ging noch einen Schritt weiter und versprach erste Änderungen innerhalb von zehn Tagen. An diesem Donnerstag ist der Demokrat nun 100 Tage als US-Präsident im Amt, das er mitten in der Corona-Pandemie und der damit verbundenen schlimmsten wirtschaftlichen Lage der USA seit der Weltwirtschaftskrise angetreten ist.

Der von den Republikanern "Sleepy Joe" genannte Biden gab Gas: Direkt am ersten Tag im Amt hat Biden 15 versprochene Verfügungen unterschrieben, mit denen er auch diverse Entscheidungen seines Amtsvorgängers Donald Trump rückgängig machte – darunter die Rückkehr der USA in das Pariser Klimaabkommen und die Weltgesundheitsorganisation, eine Pausierung der Rückzahlung von Studiendarlehen und die Abschaffung der Einreiseverbote aus mehreren muslimisch geprägten Ländern. Das erleichtert grundsätzlich den internationalen Austausch in der Wissenschaft, wenngleich dieser wegen der Corona-Pandemie weiter eingeschränkt ist. Die Universitäten sehen seit Bidens Wahlsieg Berichten zufolge bereits einen Anstieg der Bewerbungen internationaler Studierender.

Im Schatten der Krisen: Corona, Wirtschaft und Klima

In den anschließenden Monaten folgten unter anderem ein rund 1,9 Billionen Dollar schweres Konjunkturpaket für die Wirtschaft und eine effektive Impfkampagne, die bis heute über die Hälfte der Amerikanerinnen und Amerikaner erreicht hat. Sein ursprüngliches 100-Tage-Ziel von 100 Millionen verabreichten Impfungen gegen Covid-19 verdoppelte er und erreichte es nach gut 90 Tagen.

Vergangene Woche veranstaltete Biden schließlich einen internationalen Online-Klimagipfel und verkündete ein neues Klimaziel für die USA: Die Emissionen sollen bis 2030 gegenüber 2005 halbiert werden. Damit erfüllte er einerseits eine Vorgabe des Pariser Klimaabkommens zur Nachbesserung der Ziele, gleichzeitig war es ein Auftakt in der Beteiligung am globalen Kampf gegen die Erderwärmung nach den Jahren des Stillstands unter Trump.

Während Biden die Bekämpfung der großen Krisen mit energischen Schritten begonnen hat, wurde für die Hochschulen in den ersten 100 Tagen vergleichsweise wenig beschlossen. Auch ihnen hatte Biden vorab viel versprochen, unter anderem den Erlass von Studiengebühren und Studienschulden, eine bessere staatliche Bildungsförderung und mehr Chancengleichheit im Zugang zu Bildung. In diesen Punkten wurden nur erste Schritte unternommen.

Am 9. April hat Biden im Senat einen ersten Budgetplan für das kommende Jahr auf den Weg gebracht. Im Gegensatz zu Trumps vormaligen Entwürfen sieht Biden darin für Bildung und Wissenschaft ausschließlich Steigerungen vor. Das Dokument fordert verschiedene Mittelerhöhungen für die Hochschulbildung, darunter 600 Millionen Euro für Community Colleges und Hochschulen, die mehrheitlich von Minderheiten und Schwarzen besucht werden. Falls der Kongress den Plan verabschiedet, würden zusätzlich drei Milliarden in das Bildungsförderprogramm Pell Grant fließen. Die darüber gewährten Mittel würden erheblich steigen, die angestrebte Verdopplung würde allerdings noch nicht erreicht. Das Bildungsministerium soll laut Plan zusätzliche 30 Milliarden Dollar erhalten, was einer Steigerung von 41 Prozent gegenüber 2020 bedeuten würde.

Mehr Geld für die Forschung geplant

Auch die Forschung wird bedacht: Das aktuelle Budget der National Science Foundation soll um 20 Prozent erhöht werden. Von den insgesamt 10 Milliarden Dollar sollen 500 Millionen in Klima- und Energieforschung gehen. Auch die Umweltschutzbehörde EPA soll 11 Milliarden Dollar erhalten, eine Erhöhung um 21 Prozent. Damit soll unter anderem neues Personal eingestellt werden, nachdem dort in den vergangenen vier Jahren fast 1.000 Stellen gestrichen wurden. Die National Institutes of Health (NIH) sollen eine Mittelerhöhung um 19 Prozent erhalten.

Außerdem sollen nach Bidens Willen über die nächsten acht Jahre 40 Milliarden Dollar in die Laborinfrastruktur der Hochschulen und Forschungseinrichtungen fließen. Diese wären Teil einer geplanten zwei Billionen umspannenden Investition in die Infrastruktur des Landes. Ein besonderes Augenmerk läge dabei auf der Förderung der MINT-Forschung und der Diversität der Forschungslandschaft.

Ein weiterer 1,8 Billionen Dollar schwerer Vorschlag, den Biden erst am Mittwochabend auf den Weg gebracht hat, sieht unter anderem Steuererhöhungen für Reiche vor. Damit soll vor allem ein umfassendes Sozialprogramm für Familien finanziert werden. Rund 109 Milliarden Dollar aus dem Topf sollen jedem Amerikaner und jeder Amerikanerin eine kostenfreie zweijährige Ausbildung an einem Community College ermöglichen, einen auch bisher vergleichsweise günstigen Hochschulabschluss. Auch die ersten zwei Jahre eines vierjährigen Studiums an anderen Hochschulen sollen teilweise kostenfrei werden. Mit weiteren 85 Milliarden Dollar sollen bestehende Stipendien des Pell Grants ausgeweitet werden. Für Maßnahmen, die zu weniger Studienabbrechern führen, stünden 62 Milliarden Dollar bereit. Insgesamt sieht der Sozialplan Ausgaben für die Hochschulbildung von über 300 Milliarden Dollar vor. Schätzungen zufolge würden davon 5,5 Millionen Studierende profitieren.

Noch offen ist die größere Debatte um die Gebühren und Kredite für ein Studium an den Universitäten. Ein Ergebnis wird für die kommenden Wochen erwartet. Unter den Demokraten herrscht noch Uneinigkeit, welches das legitime Vorgehen ist (per Dekret oder durch den Kongress), um diese zu senken oder zu erlassen. Biden hat daher das Bildungsministerium beauftragt, seine rechtlichen Möglichkeiten auszuloten.

Hochschulvertreter wie die American Association for the Advancement of Science (AAAS) und die Association of American Universities begrüßten die bisher angekündigten Investitionen als gutes Signal, ausreichen würden sie jedoch nicht, um die vorab versprochenen Ziele zu erreichen. Zudem ist fraglich, ob die Pläne den Kongress ohne Kürzungen und Zugeständnisse an die Republikaner passieren werden.

Biden setzt auf kompetente Berater

Einen Rekord stellte Biden mit seinem Personal auf und löste damit ein Wahlkampfversprechen ein: Sein Kabinett gilt als die diverseste Regierung aller Zeiten. Unter den Ministern sind mehr Frauen und nicht-weiße Personen als je zuvor. Dabei hat Biden sein Team mit erfahrenen Menschen besetzt. "Sie alle sind Experten auf ihrem Gebiet", erklärte Hubert Wetzel, langjähriger USA-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Washington, bei einer Online-Veranstaltung am Montag. Im Bildungsministerium trifft das Medienberichten zufolge neben dem Bildungsminister und ehemaligen Lehrer Miguel Cardona unter anderem auch auf die Assistant Secretary Michelle Asha Cooper zu, die zuvor Präsidentin des Instituts für Hochschulpolitik war, sowie auf zahlreiche Berater und Ministeriumsmitarbeiter. Vom Senat bestätigt ist aber bislang einzig Cardona.

Bidens erste 100 Tage im Amt beschrieb Wetzel als "nüchtern, ernsthaft und gewillt anzupacken". Nicht nur in der Effektivität orientiere sich Biden dabei an seinem Vorbild, dem Wissenschaftler und Innovator Roosevelt, der auch sein Oval Office schmückt. Bidens realitätsbewusster, verlässlicher Regierungsstil sei das Gegenteil von Trumps Chaos. Damit erfüllt Biden bislang die Hoffnungen auf ein "emotional attraktives" Land und faktenbasiertes Handeln. Bidens Ziel sei es, das innerlich zerrissene Land zu einen, alte Wunden zu heilen und wiederaufzubauen, was in den Vorjahren zerstört worden sei, sagte Wetzel. Dafür erließ Biden über alle Bereiche hinweg bislang mehr als 40 Verfügungen, unterzeichnete fast ein Dutzend Gesetze und kehrte mehr als 60 Beschlüsse seines Vorgängers um.

Bisher unvollständig sind Bidens Pläne für "Green Cards" und das Einwanderungsprogramm DACA (Deferred Action for Childhood Arrivals), um eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis für Personen mit Migrationshintergrund zu schaffen. Das betrifft auch hunderttausende Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Studierende im Land. Zwar hat Biden direkt an seinem ersten Tag im Amt Trumps Pläne zur Abschaffung von DACA gestoppt, das Programm läuft seither weiter und schafft vorläufig Sicherheit. Angestrebt ist jedoch eine dauerhafte statt der derzeit befristeten Lösung mit einer größeren Anzahl an Visa und "Green Cards".  Migration bleibt allerdings ein heikles Thema, da die Einwanderung aus Mittel- und Südamerika in die USA in den vergangenen Monaten massiv zugenommen hat. Bidens erste 100 Tage im Amt bleiben unterm Strich ein gemischter Erfolg.