Premierministerin Truss verlässt Downing Street 10, Amtssitz des britischen Premierministers und Symbol für die britische Regierung.
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Großbritannien
Premierministerin Truss muss sich um Forschungs-Förderung kümmern

Die neue Premierministerin Liz Truss soll das Vereinigte Königreich aus der Krise führen. Auch in der Wissenschaft warten Aufgaben auf sie.

08.09.2022

Großbritannien hat seit Dienstag eine neue Premierministerin: Liz Truss, vormals britische Außenministerin, konnte sich 57 Prozent der Stimmen der Conservative Party sichern. Damit ist sie nicht nur die neue Anführerin der Tories, sondern auch die Nachfolgerin von Regierungschef Boris Johnson. Viele britische Forschende erwarten Veränderungen im Bereich Forschung und Entwicklung.

Eines der wichtigsten Themen für die britische Wissenschaft ist die Zukunft es Vereinigten Königreichs im europäischen Forschungsförderungsprogramm "Horizon Europe". Ursprünglich war geplant, dass Großbritannien nach dem Brexit assoziiertes Mitglied des Programms wird, zu einer Einigung ist es allerdings bisher nicht gekommen. Ein zentraler Punkt ist dabei das Nordirland-Protokoll, das vorsieht, dass das Karfreitagsabkommen von 1998 geschützt, eine harte Grenze auf der irischen Insel vermieden und damit die Integrität des EU-Binnenmarkts gewahrt wird. Die EU wirft Großbritannien Verstöße gegen dieses Protokoll vor.

Plan B als britische Alternative

Inzwischen schließe sich das Fenster für eine britische Beteiligung an "Horizon Europe", das bis 2027 laufen soll, befürchten britische Medien. Auch die britische Regierung entwickelt ein Alternativprogramm, mit dem ausgebliebene EU-Fördergelder ersetzt werden sollen – "Plan B". Die Vorgängerregierung hatte Mitte Juli Details zu diesem Programm veröffentlicht. Demnach sollen sowohl einzelne Forschende Fördergelder bekommen können wie auch Forschende, die sich an internationalen Konsortien beteiligen möchten. Dies entspricht der aktuellen Regelung, dass britische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler "Horizon Europe"-Konsortien dann als Bewerberinnen und Bewerber aus Drittstaaten beitreten können, wenn sie ihre eigenen Fördergelder mitbringen. Laut Mitteilung von Juli gilt diese finanzielle Unterstützung für Förderzusagen, die bis Ende März 2025 unterzeichnet werden. Die damalige britische Regierung kündigte an, dass sie bis zum 24. Oktober bekanntgebe, wie es um die Förderung nach März 2025 stehe und wie die Unterstützungsprogramme allgemein finanziert werden sollten. Aktuell ist allerdings unklar, ob die neue Regierung diesen Zeitplan einhalten wird. In jedem Fall werde es eine zentrale Aufgabe für Premierministerin Truss sein, sich um diese Ersatzförderungen zu kümmern, berichtet das Magazin "Nature".

Der Präsident der britischen Royal Society, der nationalen Akademie der Wissenschaften für die Naturwissenschaften, Sir Adrian Smith, äußerte sich in einem Statement bereits am Montag ähnlich: Der Brexit lasse die britische Wissenschaft und Forschung immer mehr wie eine Insel aussehen. Nach zwei Jahren der Bemühungen der Vorgängerregierung gebe es nach wie vor keine Einigung über die Assoziierung. Das Vertrauen in britische Forschung sinke und die Hochschulen und Institutionen verlören Talente. "Es wäre ein echter Gewinn für die neue Premierministerin, wenn der Wissenschaftsteil des Brexits jetzt endlich abgeschlossen werden kann."

Thomas Jorgensen von der European University Association sagte gegenüber "Forschung & Lehre", dass er Liz Truss als eine Unterstützerin der Assoziierung Großbritanniens an "Horizon Europe" sehe. Es gebe Grund zu hoffen, dass die Beratungen zwischen Großbritannien und der EU dazu im Herbst neue Fortschritte bringen. "Allerdings weist nichts darauf hin, dass sich der zugrundeliegende Konflikt über das Nordirland-Protokoll durch die neue Premierministerin lösen wird."

Anteil der Forschungsausgaben

Sir Adrian Smith von der Royal Society betont in seinem Statement, dass Vorgängerregierungen angekündigt hatten, den Anteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP), der in Forschung und Entwicklung investiert werde, zu erhöhen. Aktuell sei der Anteil deutlich geringer als bei anderen führenden Wissenschaftsnationen. Laut Medienberichten hatte die Conservative Party bereits 2017 angekündigt, dass diese Ausgaben bis 2027 2,4 Prozent des BIP betragen sollten, 2019 waren es lediglich 1,7 Prozent. Truss müsse dafür sorgen, dass vor allem private Investitionen aus Großbritannien und dem Ausland in Forschung und Entwicklung anstiegen, so Smith.

Britische Medien verweisen auf weitere Themen, die auf Truss‘ Agenda für Forschung und Wissenschaft stehen: Die Zusammenarbeit von Forschenden und Politikern müsse überdacht werden, vor allem die Corona-Krise habe gezeigt, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Expertise nicht frei haben vertreten können, berichtet etwa das Magazin "Nature". Auch die Höhe der Studiengebühren und die Frage, ob die Anzahl der Studierenden begrenzt werden sollte, seien bereits unter der Johnson-Regierung debattiert worden, ohne dass es zu einer Entscheidung gekommen sei, wie das Onlinemagazin "Times Higher Education" (THE) berichtet.

Obwohl Truss sich im Rahmen ihrer Wahlkampagne selbst als "Bildungs-Premierministerin" positioniert habe, hätte sie aktuell nur wenig zu Hochschulen und Forschung gesagt, so "THE". Sie habe angegeben, dass alle Hochschulberechtigten mit drei Top-Bewertungen (A*) in ihren A-Level-Fächern ein Recht auf Auswahlgespräche mit den Universitäten Oxford und Cambridge haben sollten. Dies könnte bedeuten, dass der Zulassungsprozess erst nach den finalen A-Level-Ergebnissen erfolgen könnte und der Beginn für Bachelorabschlüsse auf den Januar verlegt werden müsste. Dieser im Kampf um die Tory-Führung geäußerte Fokus auf die besten Schülerinnen und Schüler wird nicht von allen geteilt. Laut Smith gehe es eher darum, alle jungen Menschen mit den Fähigkeiten auszustatten, die sie in der modernen Welt benötigten. Er spricht sich dafür aus, dass die enggefassten A-Levels, bei denen Schülerinnen und Schüler nur eine kleine Anzahl von Fächern bis zum Abschluss verfolgen, durch ein breiter angelegtes, am International Baccalaureate orientiertes System ersetzt und Berufsausbildungen aufgewertet werden sollten.

cpy