Zahnräder in den Farben der Landesflaggen von Deutschland und China
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Deutsch-chinesische Wissenschaftskooperationen
Rote Linien längst überschritten

Die Bedingungen für Kooperationen mit China haben sich dramatisch verschlechtert. Das Xi-Regime nimmt Einfluss auf die Wissenschaft weltweit.

Von Andreas Fulda 13.09.2021

Die deutsch-chinesische Wissenschaftskooperation steht vor einer Zäsur. Unter Generalsekretär Xi Jinping hat die Volksrepublik China seit 2012 eine hart-autoritäre Wende vollzogen. Mit den "Seven Don't Speaks" wurden 2013 chinesische Universitäten einer strikten Zensur unterworfen. Universelle Werte, Meinungsfreiheit, Zivilgesellschaft, Bürgerrechte, die historischen Fehler der Partei und die unabhängige Justiz waren fortan Tabu. "Dokument Nr. 9" verbietet darüber hinaus Diskussionen über Verfassungsdemokratie, unabhängigen Journalismus und die Geschichtsschreibung der Partei. Laut Chef-Korrespondent der New York Times Buckley trägt Dokument Nr. 9 "das unverkennbare Imprimatur von Xi Jinping". Es markierte einen Bruch mit der semi-liberalen Phase seines Vorgängers Hu Jintao. Unter Xis Führung wurden in Folge zahlreiche illiberale Parteigesetze wie das Spionageabwehrgesetz (2014), Sicherheitsgesetz (2015), Internet-Sicherheitsgesetz (2017), Nationale Geheimdienstgesetz (2017) sowie das Gesetz zum Management ausländischer Nichtregierungsorganisationen (2017) verabschiedet. 2019 wurde Gedankenfreiheit aus Chartas chinesischer Universitäten gestrichen. Regimekritische chinesische Intellektuelle wurden entlassen, ihrer Pension beraubt beziehungsweise zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Xi-Regime erschwert chinesischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mittlerweile die Teilnahme an internationalen Konferenzen. Selbst die Teilnahme an Online-Veranstaltungen muss in aufwändigen Verfahren bewilligt werden. Chinesischen Akademikern ist es dabei untersagt, mit öffentlichen Äußerungen "der Reputation des Landes zu schaden".

Zensur reicht über Chinas Landesgrenzen hinaus

Das Zensurregime der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) reicht weit über Landesgrenzen hinaus. Mit dem extraterritorialen Paragraphen 38 des Gesetzes zur Nationalen Sicherheit in Hongkong (2020) hat die KPCh die unabhängige Chinawissenschaft kriminalisiert. Westliche Akademikerinnen und Akademiker, welche sich in Forschung und Lehre kritisch zum Xi-Regime geäußert haben, sind gefährdet. Sie müssen befürchten, bei Einreise in China festgenommen und zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden. Das Schicksal der Kanadier Michael Spavor und Michael Kovrig sitzt vielen China-Wissenschaftlern im Nacken.

Im Dezember 2018 war Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou am Vancouver International Airport festgenommen worden. Ihr wurde vorgeworfen, gegen die US-Sanktionen gegen Iran verstoßen zu haben. In unmittelbarer Folge wurde den beiden Kanadiern Spionagetätigkeit vorgeworfen und sie wurden in China festgenommen. Am 11. August 2021 wurde Spavor nach einem Geheimprozess zu elf Jahren Haft verurteilt. Eine Umfrage des Online-Magazins ChinaFile hat ergeben, dass viele westliche Experten nicht länger nach China reisen wollen.

Der deutschen Wissenschaft ist es bislang nicht gelungen, auf solche Herausforderungen angemessen zu reagieren. Besonders fragwürdig ist die DAAD-Publikation "Keine roten Linien" aus dem Jahr 2020. Diese länderunabhängige Handreichung überlässt es Universitäten selbst, ihre jeweilige Gefahren­situation zu analysieren. Anstatt "Orientierung und Entscheidungshilfe" zu bieten, wurden nicht weniger als achtundachtzig Leitfragen entwickelt. Damit imitiert der DAAD die über einhundert "Leitfragen zur Hochschulkooperation mit der Volksrepublik China" der Hochschulrektorenkonferenz (HRK).

Tendenzen zur Verselbstständigung in der deutschen Wissenschaft

Ein Blick nach Großbritannien zeigt, dass entschlossene Führung anders aussieht. Das HRK-Equivalent Universities UK (UUK) wurde von der Regierung damit beauftragt, die Wissenschaftsautonomie zu wahren. 2020 veröffentlichte UUK die Richtlinien "Managing Risks in Internationalisation: Security Related Issues". Sie verlangen von britischen Universitäten, ihren Ruf und Werte, ihre Mitarbeiter, ihren Universitätscampus und ihre Partnerschaften zu schützen. Alle Hochschulen sind dazu angehalten, die UUK-Richtlinien in die Praxis umzusetzen. Aufgrund des Föderalismus kann die HRK in Deutschland keine vergleichbare Rolle spielen.

Mangel an Führung hat zu Verselbständigungstendenzen geführt. In der deutschen sozialwissenschaftlichen Chinaforschung ist es beispielsweise bislang noch nicht gelungen, die Wissenschaftsfreiheit gegen KPCh-Zensur zu verteidigen. Viele Chinaexperten üben Selbstzensur, indem sie zur chinesischen Bürgerrechtsbewegung und der Unterdrückung des "inoffiziellen Chinas" schweigen. Ein Hauptaugenmerk gilt dem "offiziellen China" unter Kontrolle der KPCh. So wird China vorwiegend aus Sicht der Herrschenden analysiert. Widerspruch gegenüber der chinesischen Regierung wird dabei häufig nicht als politische, sondern als kulturelle Frage wahrgenommen. Eine solche Perspektive ähnelt der ausgesprochen fragwürdigen Ansicht des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt: dass Chinesen aus kulturellen Gründen keine Demokratie können und dass wir dies in all seinen Konsequenzen (die auch uns betreffen) akzeptieren müssen.

Eine besonders problematische Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Deutsche Gesellschaft für Asienkunde (DGA). In der Stellungnahme "Ein Plädoyer gegen Polarisierung" hat der DGA-Vorstand im Juni 2020 Asienwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler dazu aufgefordert, sich in geopolitischen Fragen "neutral" zu verhalten. Der systemische Konflikt zwischen Demokratien und Autokratien wurde als geopolitische Rivalität zwischen den USA und China deklariert, abgehoben darauf reduziert und als "Kalte-Kriegs-Rhetorik" abqualifiziert. Wer wachsende ökonomische Abhängigkeiten von China kritisiert, leidet gemäß des DGA-Vorstands unter "Entkopplungsphantasien". Damit wurde die politische Rhetorik der ultra-nationalistischen chinesischen "Global Times" eins zu eins übernommen.

Systemische Probleme bleiben ungelöst

Eine solche dogmatische Polemik ist einer wissenschaftlichen Fachgesellschaft nicht würdig. Sie lenkt darüber hinaus von schwerwiegenden ungelösten systemischen Problemen ab. Wie sollen deutsche Universitäten beispielsweise mit der Manipulation chinesischer sozialer Netzwerke durch die KPCh umgehen? Die China-Expertin Tatlow hat darauf hingewiesen, dass "Peking Studenten- und Berufsverbände [nutzt], um nicht nur chinesische Staatsbürger im Ausland, sondern auch Außenstehende zu beeinflussen." Die Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Gyde Jensen, fordert angesichts des "[langen] [Arms] der Kommunistischen Partei Chinas bis nach Deutschland" eine "Strategie, um Exil-Chinesen und Exil-Hongkonger in Deutschland effektiv zu schützen". Eine solche Aufgabe lässt sich jedoch nicht einfach an das Innenministerium beziehungsweise den Verfassungsschutz delegieren. Doch wie können deutsche Universitäten politische Zensur bekämpfen, wenn sie gleichzeitig Geld entweder direkt vom chinesischen Staat oder von staatsnahen chinesischen Firmen erhalten? Von diesen Kooperationen wissen wir in der Regel nur aufgrund von Anfragen in Landtagen oder durch Informationsfreiheits-Anfragen. Das Risiko von Selbstzensur steigt durch solch fragwürdige Finanzierung. Der DGA-Vorstand schweigt auffällig zur Abhängigkeit deutscher Universitäten von Drittmitteln aus China.

Es ist zu begrüßen, dass das BMBF mittlerweile eine unabhängigere Chinawissenschaft fordert. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek hat jüngst die Einflussnahme der chinesischen Regierung auf deutsche Hochschulen als Problem benannt. Explizit hat sie in diesem Zusammenhang die Rolle von Konfuzius-Instituten (KIs) an deutschen Universitäten kritisiert. Letztere haben den Auftrag der KPCh, zu einem "Aufbau einer sozialistischen Kultur" beizutragen. Der deutschen Öffentlichkeit ist diese politische Rolle der KIs nicht immer klar. Universitäten mit KIs betreiben eine Art Ideen-Wäsche, mit der politischer Propaganda der Stempel der Unbedenklichkeit gegeben wird. Es ist höchste Zeit, dass sich deutsche Universitäten von KIs trennen.

Deutsche Wissenschaft muss handeln

Eine an europäischen Werten orientierte Kooperation in Wissenschaft und Forschung mit China setzt einen Paradigmenwechsel voraus. Es bedarf eines zivilen Streits über Ziele und Mittel der transnationalen Wissensproduktion unter Bedingungen des Xi-Regimes. Was würde beispielsweise passieren, wenn ein deutscher Student oder Forscher in China Opfer der Geiselpolitik der KPCh wird? Die Handreichungen des DAAD und der HRK könnten in Folge Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzungen werden. Es würde in einem solchen Szenario die Frage gestellt werden, ob sie ihrer politischen Verantwortung ausreichend nachgekommen sind.

Die China-Politik der Merkel-Regierung hat zu der gegenwärtigen Malaise maßgeblich beigetragen. Seit sechzehn Jahren signalisiert die Bundesregierung der Privatwirtschaft, dass in den deutsch-chinesischen Beziehungen nur Profite zählen. Damit wurde auch der Wissenschaft gegenüber deutlich gemacht, dass darüber hinausgehende aufgeklärte Interessen keine Rolle spielten. Nach der Bundestagswahl sollte eine neue deutsche Bundesregierung den Empfehlungen des außenpolitischen Sprechers der SPD Nils Schmid folgen. In einem Interview mit der Financial Times argumentierte Schmid, dass Deutschland "eine echte Außenpolitik für China – nicht nur eine wirtschaftsorientierte Politik" brauche und dass "unsere Außenpolitik von den kommerziellen Interessen der Großunternehmen abgekoppelt werden muss". Und auch in der deutschen Wissenschaft besteht Handlungsbedarf: Die als problematisch erkannte Selbstzensur und politisch motivierte Einflussnahme der KPCh auf Wissenschaft und Gesellschaft Deutschlands bedarf konkreter Lösungsansätze.

Zum Weiterlesen

Chris Buckley (2013), China Takes Aim at Western Ideas, New York Times, 19. August 2013.

ChinaFile (2013), Document No 9: A ChinaFile Translation, 8. November 2013.

ChinaFile (2021), Will I Return to China? A ChinaFile Conversation, 21. Juni 2021.

Deutsche Gesellschaft für Asienkunde (2020), Ein Plädoyer gegen Polarisierung, 12. Juni 2020.

Helen Davidson und Lezland Cecco (2021), Michael Spavor trial: China court sentences Canadian to 11 years for spying, The Guardian, 11. August 2021.