Das Bild zeigt die Moskauer Staatliche Lomonossow-Universität aus der Luft.
picture alliance / Dmitry Serebryakov/TASS/dpa | Dmitry Serebryakov

Ukraine-Krieg
Russische Hochschulen unter Druck

Die Moskauer Führung erstickt jede mögliche Quelle von Kritik. Das gilt nach Einschätzung von Bürgerrechtsorganisationen auch für die Hochschulen.

22.07.2024

Bürgerrechtsorganisationen sehen durch die Repression in Russland im Zuge des Angriffskriegs gegen die Ukraine auch Universitäten und Hochschulen unter einem stärkeren politischen Druck. Die Organisation "Molnija", die sich für die Rechte von Studierenden einsetzt, verzeichnet seit Kriegsbeginn 2022 deutlich mehr Fälle von Zwangsexmatrikulationen. Wegen Kritik am Krieg oder wegen sonstiger politischer Motive würden Studentinnen und Studenten aus den Hochschulen entfernt. Eine Studie zur Hochschulfreiheit in Russland listet für 2023 mehrere Fälle auf, bei denen auch Lehrende aus politischen Gründen entlassen oder bestraft wurden. Genaue Zahlen über die Entwicklung von Hochschulverweisen aus politischen Gründen gibt es allerdings nicht. 

In Russland lernen nach offiziellen Angaben etwa 4,3 Millionen Studierende an rund 1.000 Unis und Hochschulen. Die Hochschulen seien einer der empfindlichsten Bereiche der Gesellschaft, sagte die Journalistin Wera Ryklina vom Medienprojekt "Strana i mir" bei einer Veranstaltung der Deutschen Sacharow-Gesellschaft. Russland richte sich auf einen langanhaltenden Konflikt mit dem Westen ein. An der Hochschulpolitik lasse sich ablesen, welche Gesellschaft der russische Staat unter Kremlchef Wladimir Putin anstrebe.

Militarisierung und ideologische Indoktrinierung

Zu diesem Bild gehörten eine Militarisierung und ideologische Indoktrinierung, erläuterte der exilierte russische Soziologe Dmitri Dubrowski, ein Autor der Studie zur Hochschulfreiheit für das Forschungszentrum "Cisrus" in den USA. Die Militärausbildung sei zurückgekehrt, zur patriotischen Erziehung würden Fächer wie "Grundlagen der russischen Staatlichkeit" oder "Religionen Russlands" eingeführt. Geheimdienst-Mitarbeitende rückten in Uni-Verwaltungen ein. Linientreue Studierende oder Lehrende durchforsteten die Konten ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen beziehungsweise Kolleginnen und Kollegen in sozialen Netzwerken auf abweichende Meinungen.

Studierende würden oft von der Hochschule verwiesen, wenn sie an nicht genehmigten Demonstrationen teilnehmen, berichtet die Organisation "Molnija". Begründet werde dies mit einem Verstoß gegen die Verhaltensregeln der Hochschule. Gefährdet seien vor allem Studierende, die sich sozial oder gewerkschaftlich engagieren oder journalistisch arbeiten. Demonstrationen würden in Russland immer noch unter Verweis auf den Schutz vor Corona untersagt.

Zunahme von Hochschulverweisen aus politischen Gründen

"Molnija" verweist darauf, dass in den Jahren vor dem Krieg jeweils nur eine Handvoll Fälle von Hochschulverweisen aus politischen Gründen bekannt geworden waren. In den Kriegsjahren 2022 und 2023 seien es gleich mehrere Dutzend gewesen. Entlassene Studierende seien weitgehend ungeschützt, sagte eine Juristin von "Molnija" anonym bei der Sacharow-Gesellschaft. Sie hätten keine Arbeit, staatliche Stellen lehnten den Kontakt mit ihnen ab, ihnen drohe die Einberufung zum Wehrdienst.

Mehrere als liberal geltende Fakultäten und Privathochschulen seien geschlossen worden. Die Vielfalt der Lehre an russischen Hochschulen leide auch darunter, dass viele Dozentinnen und Dozenten sowie Organisationen als sogenannte ausländische Agenten eingestuft seien, sagte Dubrowski. Als Sonderfall beim Vorgehen gegen die Hochschulen nannte Dubrowski Anschuldigungen von Landesverrat oder Spionage, die in mehreren Fällen gegen Forschende aus militärtechnisch relevanten Fächern erhoben wurden.

DHI Moskau als "unerwünschte Organisation"

Im Extremfall seien akademische Partner als unerwünscht gebrandmarkt worden – dies betrifft zum Beispiel das Deutsche Historische Institut (DHI) in Moskau, das Mitte Juni als "unerwünschte Organisation" in Russland gelistet worden war. Eine Zusammenarbeit gelte damit als strafbar, erläutert die Deutsche Presseagentur. "Diese Entscheidung stellt einen schweren Schlag gegen die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit dar", teilte die Max Weber Stiftung in ihrer Stellungnahme vom 18. Juni mit – sie sei im Zuge der politischen Entwicklung in Russland jedoch vorhersehbar gewesen.

Mit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine habe das Institut seine Stipendienprogramme, Kooperationen mit staatlichen Einrichtungen und die Veranstaltungstätigkeit ausgesetzt. Zentrale Dienstleistungen wie die Bibliothek seien bislang aber weiterbetrieben worden, um einen Kontaktpunkt zwischen russischen und deutschen Forschenden zu erhalten. Um Osteuropa- und Russland-Kompetenzen aufrechtzuerhalten, sei ein dezentrales Netzwerk im Aufbau. Forschenden solle es ermöglicht werden, sich weiterhin frei und unabhängig mit der russischen beziehungsweise sowjetischen Geschichte zu befassen.

dpa/hes