Das Foto zeigt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einer Rede in Berlin.
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Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit
Steinmeier plädiert für "neue Streitkultur"

Bei der HRK-Jahresversammlung setzt sich der Bundespräsident für einen offenen Disput ein. Dieser war an der Uni Hamburg zuletzt umstritten.

18.11.2019

Angesichts des Streits um die Meinungsfreiheit an den Universitäten und in der Gesellschaft hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dafür plädiert, Streitkultur auf Neue zu lernen. "Wenn wir das Streiten wieder lernen wollen, dann bitte hier – an den Universitäten", sagte der Bundespräsident zum Auftakt der Jahresversammlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) an der Universität Hamburg. Die Universität Hamburg war in den vergangenen Wochen Schauplatz intensiver Auseinandersetzungen über den Vorlesungsbeginn des AfD-Gründers Bernd Lucke.

Die Hochschule kann und soll nach Ansicht Steinmeiers der Austragungsort für Kontroversen sein. Allerdings ohne "heimlich oder offen verbreitetes Gift, aber mit Schärfe und Polemik, mit Witz und Wettstreit". Die Universität solle kein Ort der geistigen Schonung sein, sondern ein Ort der Freiheit aller zum Reden und zum Denken. Und die Exzellenz einer Hochschule erweise sich – neben aller Internationalisierung, Digitalisierung, Optimierung – vor allem daran, ob hier gepflegt und eingeübt werde, was unsere Demokratie so dringend brauche: den erwachsenen Streit, die argumentative Kontroverse, den zivilisierten Disput.

"Die Welt braucht kritische und politisch wache Menschen"

"Wer nach seinem Studium in der Gesellschaft, wo auch immer, an verantwortlicher Stelle tätig sein wird, sollte es gelernt haben, sich intellektuell auch mit dem auseinanderzusetzen, was jenseits seiner speziellen Fachrichtung Staat und Gesellschaft bewegt", betonte Steinmeier.

Die Welt brauche nicht nur gut ausgebildete Könner ihres Fachs, nicht nur fleißige Sammler von Creditpoints, sondern vor allem kritische und selbstkritische, politisch wache Menschen. Es gehe um "selbstbewusste akademische Bürgerinnen und Bürger, die selbstbewusste Staatsbürgerinnen und Staatsbürger werden". Die Studierenden sollten gelernt haben, strittige Themen mit offenem Visier zu diskutieren und Unterschiede auszuhalten, ohne sich in "Selbstverkapselung zu verkriechen oder in rücksichtsloser Aggressivität nur die eigene Meinung gelten zu lassen".

Der Bundesrpräsdient betonte, die Hochschule sei kein Schonraum und kein Spielplatz, was sie von der lebensgeschichtlich weit früher liegenden Bildungsstätte des Kindergartens unterscheide. Wer – als Professorin oder als Student – glaube, verhindern zu müssen, dass unorthodoxe wissenschaftliche Thesen zu Wort kommen, wer glaube, Bücher mit kontroversen Inhalten sollten aus den Bibliotheken verschwinden, der hantiert aus dem Inneren der Wissenschaft mit einem  "tödlichen Gift".

Steinmeier unterstrich weiter, dass es keine staatliche Meinungszensur und keine staatliche Sprachpolizei gebe. Wer das behaupte, lüge und führe Menschen in die Irre. Und wer das glaube, falle auf eine bewusste Strategie interessierter verantwortungsloser Kräfte herein.

In der Debatte um die Meinungsfreiheit sei die politische Korrektheit zum "Hauptgegner" geworden. Sie  sei so sehr negativ besetzter Kampfbegriff geworden, dass die ursprünglich damit beabsichtigten Ziele mutwillig verschleiert würden. Wer politische Korrektheit nur noch als Karikatur darstelle und verächtlich mache, will vergessen lassen, dass viele sich hier mit besten Absichten und Erfolg der Diskriminierung von Minderheiten widersetzt hätten.

gri