Zwei Wissenschaftler im Gespräch
mauritius images/Photo Alto/Frederic Cirou

Brexit
"Unsicherheit in vielen Gesprächen ein Thema"

Auch nach einer Einigung über den Brexit könnten Wissenschaftler aus Großbritannien wegbleiben. Viele erkennen das Land nicht mehr wieder.

Der nächste Brexit-Termin rückt näher und noch immer ist offen, ob Großbritannien die EU mit oder Abkommen verlassen wird. Die Folgen für die Wissenschaft bei einem No-Deal-Szenario schätzen viele Experten als dramatisch ein.

"Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, mit denen ich spreche, sorgen sich ganz praktisch um die Durchführung ihrer laufenden Projekte", sagt der Leiter der Außenstelle des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) in London, Dr. Georg Krawietz. "Wissenschaftler fürchten, dass mit dem Brexit die europäischen Fördergelder, etwa aus dem zukünftigen 'Horizon Europe'-Programm, wegfallen und Wissenschaftler aus Europa fernbleiben könnten."

Die bestehenden Förderprogramme seien sehr attraktiv für ausländische Forscher. "Wenn die 'ERC Grants' mit dem Brexit wegfallen sollten, würde das die Attraktivität britischer Institutionen für Bewerber aus Europa und weltweit mindern."

Britische Wissenschaftler wechseln nach Deutschland

Er habe den Eindruck gewonnen, dass sich deutlich weniger Forscher aus EU-Staaten auf offene Positionen in der britischen Wissenschaft bewerben wollten, sagt Krawietz. "Gesprächsweise hören wir von etwa 50 bis 80 Prozent weniger Bewerbern aus Kontinentaleuropa verglichen mit der Zeit vor dem Referendum." Statistische Erhebungen habe der DAAD zu der Entwicklung jedoch nicht.

Krawietz verstehe, dass sich Wissenschaftler nach anderen Ländern umschauten. "Die Verunsicherung angesichts der Brexit-Verhandlungen ist groß und für viele Wissenschaftler geht es auch um die Zukunft ihrer Familien."

Das gilt auch für die Politische Ökonomin Dr. Anke Hoeffler. "Ich sehe, dass Großbritannien 'Klein-England' wird und gerade für die Kinder bessere Optionen in der europäischen Union bestehen", erklärt die Humboldt-Professorin in einem Video der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH). "Nach dem Referendum hat man schon ein bisschen das Gefühl, dass man als Europäer [in Großbritannien] nicht mehr so gerne gesehen wird." Von der Universität Oxford wechselte sie zuletzt an die Universität Konstanz.

Unter deutschstämmigen Forschenden wie Anke Hoeffler sei die Skepsis vor dem anstehenden Brexit am größten, sagt eine Sprecherin der Stiftung. Insgesamt sei die Zahl der britischen Nominierten für die Humboldt-Professur von fünf im Jahr 2014 auf sieben im Jahr 2018 gestiegen.

Die Unsicherheit der Wissenschaftler zeigt sich auch in den schwankenden Bewerberzahlen für andere wissenschaftliche Austauschprogramme der Stiftung – von frisch promovierten bis hin zu erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Großbritannien. Über mehrere Jahre hätten sich rund 80 Wissenschaftler beworben, teilte eine Sprecherin mit. Im Jahr nach der Brexit-Entscheidung seien es dann 119 Bewerbungen gewesen, 2018 wieder nur 83. In diesem Jahr rechne die Stiftung mit 100 Bewerberinnen und Bewerbern.

Wie sich die Bewerberzahlen aus Deutschland und anderen EU-Staaten nach einer Einigung über  den Brexit entwickeln werden, könne er nicht sagen, sagte AvH-Sprecher Georg Scholl. "Mit Rechtsklarheit alleine wird es jedoch nicht getan sein", sagt er. "Viele Wissenschaftler, berichten uns, dass sie Großbritannien nicht mehr wiedererkennen, sie fühlen sich dort nicht mehr zu Hause.
Eine solch grundsätzliche Verunsicherung bis Erschütterung geht über politische Beschlüsse hinaus."

UK-Wissenschaftsnetzwerk: "Kein langfristiger Schaden"

Auch das UK Science and Innovation Netzwerk (SIN) spürt die Skepsis. Seit Jahren fördert die Einrichtung der britischen Regierung Kooperationen zwischen britischen und ausländischen Forschern. "Die Unsicherheit über mögliche Veränderungen in der Forschungslandschaft ist in vielen Gesprächen ein Thema", sagt SIN-Mitarbeiterin Dr. Daniela Reimer. 

Dennoch gibt sich das Netzwerk optimistisch. "Die genauen Auswirkungen des Brexits auf die Forschungskooperationen können wir derzeit natürlich nicht vorhersagen, wir sind jedoch sehr zuversichtlich, dass auch im Falle eines Ausscheidens ohne Abkommen aus der EU kein langfristiger Schaden eintreten wird", sagt Reimer. Deutschland und Großbritannien seien der jeweils wichtigste Forschungspartner für das andere Land. Internationale Kooperationen würde auch künftig eine maßgebende Bedeutung haben.

Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hätten den Satz "Wissenschaft kennt keine Grenzen" verinnerlicht. "Die Rahmenbedingungen für wissenschaftliche Zusammenarbeit werden sich vielleicht ändern, aber nicht das Verlangen der Wissenschaftler danach", betont Reimer. Ähnlich äußerte sich zuletzt auch die Geschäftsführerin des Europäischen Instituts des University College London (UCL). "Europa ist Teil unserer institutionellen DNA, das kann und wird sich nicht ändern", betonte sie im Gespräch mit Forschung & Lehre.

Das Netzwerk SIN hat mit Blick auf den Brexit seine Informationsangebote aufgestockt, um möglichst gut über die Entwicklungen zu informieren. In Workshops und Diskussionsrunden berichte man über alles, was hinsichtlich des Austritts Großbritanniens aus der EU schon geregelt sei und alles, was noch verhandelt werde. Auch eine Brexit-Webinar-Reihe hat das SIN gemeinsam mit "Universities UK international" (UUKi) gestartet. Darin erfahren Wissenschaftler etwa den aktuellen Stand zu Forschungsförderungen, insbesondere über "Horizon 2020", Visa-Bestimmungen und Aufenthaltsrechte.

Enger Austausch mit deutscher Wissenschafts-Community

Parallel arbeite man am SIN daran, dass "Großbritannien weiterhin als attraktiver Partner für die Forschung sichtbar bleibt". Das SIN-Team in Deutschland stehe dafür im Austausch mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Landesregierungen sowie Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG), Humboldt-Stiftung und den Universitätsverbünden U15 und TU9. Auch auf einzelne Universitäten gehe man zu.

Deutsche und britische Hochschulen vernetzen sich derweil verstärkt untereinander. Die TU München hat eine "Flagship-Partnerschaft" mit dem Imperial College London angekündigt. Die Universität Cambridge ist mit der LMU München seit Anfang des Jahres in erste gemeinsame Forschungsprojekte gestartet.

Angesichts Johnsons Bestrebungen, britische Hochschulen internationaler auszurichten und Wissenschaftler nicht nur aus Europa anzuwerben, sagt Krawietz vom DAAD: "Das britische Wissenschaftssystem weiß sehr genau, was es an seinen europäischen Kollegen hat. Zuletzt waren unter den 'Top Ten-Herkunftsländern' ausländischer Forscher im UK sieben aus der EU."

Der Frust über die britische Politik sei in Großbritannien bei vielen Wissenschaftsorganisationen spürbar; "einfach weil die Wissenschaft bei den Brexit-Verhandlungen nicht die angemessene Beachtung findet." Viele Wissenschaftler warteten derweil ab und hofften auf das Beste. "Im mittlerweile dritten Jahr nach dem Referendum zerrt dieses Bangen aber doch sehr an den Nerven."