mehrere Mundschutzmasken in verschiedenen Farben
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Umfrage
Virologen größtenteils einig über Corona-Maßnahmen

Die Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus polarisieren zunehmend die Gesellschaft. Auch die meisten Virologen drängen auf Lockerungen mit Auflagen.

12.05.2020

Die Meinungen über die Angemessenheit der Corona-Schutzmaßnahmen gehen in der Gesellschaft auseinander, Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie nehmen zu. Auch unter Expertinnen und Experten herrscht nicht in allen Details Einigkeit, aber doch überwiegender Konsens, wie eine aktuelle Umfrage unter deutschen Wissenschaftlerinnen und Mediziner zeigt, über die der "Spiegel" berichtete.

In der Umfrage des Universitätsklinikums Eppendorf in Hamburg (UKE), der Gesellschaft für Virologie (GfV) und der Universität Tübingen wurden dem Bericht zufolge 178 Expertinnen und Experten befragt, hauptsächlich aus der Virologie, Immunologie und Hygiene, aber auch aus der inneren Medizin und der Intensivmedizin. Die aktuelle Umfrage habe an eine vorherige Umfrage von Anfang April angeknüpft und dabei neue Entwicklungen mit einbezogen.

Demnach sehen aktuell rund 77 Prozent der Befragten die Einschränkungen der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Kontaktverbote als eher verhältnismäßig an. Besonders das Verbot von Großveranstaltungen halte die überwiegende Mehrheit der Befragten (89 Prozent) für sinnvoll. Auch die Abstandsregel werde als sinnvoll angesehen (87 Prozent). 

Im Vergleich zur ersten Befragung sei jedoch die allgemeine Zustimmung zu den aktuellen Schutzmaßnahmen insgesamt gesunken: Nur noch rund die Hälfte der Teilnehmenden (51 Prozent) erachte die Gesamtheit der aktuellen Maßnahmen als sinnvoll, in der ersten Umfrage seien es 81 Prozent gewesen. Entsprechend habe sich auch die Stimmung unter den Experten bei der Einschätzung zur Rückkehr ins öffentliche Leben gewandelt: Vor einem Monat hätten noch 17 Prozent der Befragten angegeben, das öffentliche und wirtschaftliche Leben wiederherzustellen sei sinnvoll, nun sagten das bereits 63 Prozent der Virologen und Medizinerinnen. Dabei stimmten sie mehrheitlich (70 Prozent) zu, in der Öffentlichkeit einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, auch ohne klaren Beleg für deren Wirksamkeit.

Experten fürchten um wissenschaftliche Meinungsfreiheit

Als Begründung für Lockerungen hätten die Teilnehmenden die Anzahl der Neuinfektionen (89 Prozent), die Verfügbarkeit von Beatmungsgeräten, Intensivbetten und Schutzkleidung (86 Prozent) sowie die Reproduktionszahl des Virus (75 Prozent) angegeben. Mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung und des Robert Koch-Instituts (RKI) zeigten sich dem Bericht zufolge je rund zwei von drei Befragten zufrieden. Die mediale Berichterstattung zur Corona-Pandemie erachteten demnach nur noch 59 Prozent der Teilnehmenden als sachlich und angemessen, vor einem Monat waren es noch 80 Prozent.

Rund ein Drittel der befragten Virologinnen und Virologen sehe zudem aktuell die freie Meinungsäußerung in der Wissenschaft bedroht. Ob dies mit den Morddrohungen zusammenhängt, über die der Virologe Professor Christian Drosten kürzlich berichtet hat, wurde nicht explizit abgefragt. "Doch einige Virologen schrecken offenbar davor zurück, sich öffentlich zu äußern und sich damit angreifbar zu machen", sagte Studienleiter Professor Michael Schindler, Leiter der Molekularen Virologie an der Uni Tübingen. So hätten 19 Prozent der Befragten angegeben, Angst vor beruflichen Nachteilen zu haben, falls ihre Meinung nicht der "Mehrheitsmeinung" entspreche. Schindler sieht hier die Medien in der Pflicht: "Es ist auch Sache der Medien, die Experten richtig zu zitieren und Aussagen nicht aus dem Kontext zu reißen."

ckr