Nach dem Wahlsieg: Recep Tayyip Erdoğan begrüßt mit seiner Frau Massen von Anhängerinnen und Anhängern.
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Türkei
Wahl und Wissenschafts-Freiheit in der Türkei

Nach Präsident Erdoğans Wiederwahl: Forschende in der Türkei sind besorgt, dass die Restriktionen zunehmen könnten. Einige planen auszuwandern.

31.05.2023

Forschende in der Türkei haben mit Sorge auf das Ergebnis der türkischen Präsidentschaftswahl am Sonntag reagiert, bei der die Regierung von Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan in einer Stichwahl wiedergewählt wurde. Die Forschenden sorgen sich um die Wissenschaftsfreiheit im Land, die seit Beginn seiner Regierungszeit als Ministerpräsident im Jahr 2002 schwinde, wie das Magazin "Nature" am Dienstag berichtete.

Im März diesen Jahres hatte die Europäische Universitätsvereinigung "European University Association" (EUA) der Türkei den letzten Platz in einem Bericht über den Stand der Hochschulautonomie und somit auch der Wissenschaftsfreiheit in Europa gegeben. Nach einem Putschversuch gegen die Regierung von Erdoğans Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) 2016 waren mehr als 8.500 Universitätsangestellte entlassen worden, zusammen mit Hunderttausenden anderer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Seit 2018 ernennt und entlässt Präsident Erdoğan zudem die Rektorinnen und Rektoren staatlicher Universitäten.

Selbstzensur aus Angst um Karriere

Auch auf der Ebene der einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler leidet die Freiheit. Viele würden auf kontroverse Forschungsthemen wie die Lage der kurdischen Bevölkerung oder den Genozid an den Armeniern verzichten, um ihre Karrieren nicht zu gefährden, berichtet "Nature". Laut einer Studie aus dem Jahr 2020, für die 365 türkische Forscherinnen und Forscher befragt wurden, zensierten sich ein Drittel selbst in ihren Publikationen, der Lehre und bei Zusammenkünften.

Vor der Wahl hatte die EUA laut "Nature" angekündigt, die künftige Regierung dabei zu unterstützen, die Hochschulen mehr in den Entscheidungsprozess einzubinden. Dieses Angebot bestehe weiterhin.

Mehr Autonomie der türkischen Hochschulen nötig

Eine Reform des türkischen Hochschulsystems ist nötig, fordern sowohl türkische Forschende, als auch Repräsentanten der EUA. Die regierende AKP habe vor der Wahl angekündigt, an staatlichen Universitäten Kuratorien einzurichten, die angeblich die Autonomie der Hochschulen vergrößern sollen. Forschende bezweifeln aber, dass Vertreter der Opposition Zugang zu diesen Gremien hätten und damit die Unabhängigkeit der geplanten Kuratorien.

Die bestehenden türkischen Wissenschaftsorganisationen, der Oberste Hochschulrat Yükseköğretim Kurulu (YÖK) und die Türkische Anstalt für Wissenschaftliche und Technologische Forschung, abgekürzt TÜBİTAK, wollten sich laut "Nature" zu deren Anfragen nicht äußern. Derweil werde erwartet, dass weitere Forschende die Türkei verlassen. Andere hätten angegeben, dass sie im Land bleiben und um Unabhängigkeit kämpfen.

Das Ergebnis der Stichwahl ist mit 52 Prozent der Stimmen für Erdoğan und knapp 48 Prozent für seinen Konkurrenten Kemal Kılıçdaroğlu denkbar knapp ausgefallen. Internationale Wahlbeobachter berichteten laut verschiedener Medien, dass die Wahl zwar politische Alternativen wählbar gemacht, aber den Amtsinhaber bevorteilt habe.

cpy