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Pro & Contra
Warum die "Deal"-Verträge (k)ein Gewinn für die Wissenschaft sind

Die Deal-Verträge sind dieses Jahr in die zweite Phase gestartet. Günter M. Ziegler und Ulrich Dirnagl über ihr Für und Wider.

Pro

In einer Zeit, in der die Wissenschaft einen Beitrag zur Lösung großer gesellschaftlicher Herausforderungen leisten soll, muss der Zugang zu Wissen so offen und fair wie möglich gestaltet sein. Das Deal-Konsortium hat sich auf konkrete Verbesserungen des wissenschaftlichen Publikationssystems konzentriert und mit den drei Verlagen verhandelt, in denen in Deutschland am meisten publiziert wird, um auf diesem Weg die Etablierung eines offenen, fairen und effizienten Publikationssystems voranzutreiben. 

Die Bilanz der ersten Vertragsphase von 2019 bis 2023 zeigt, dass Deal Erfolge vorweisen kann, und auch der Start der zweiten Vertragsphase 2024 erfuhr hohe Akzeptanz: Jedem der drei neuen Verträge sind bisher 450 bis 500 Einrichtungen beigetreten. Dies zeigt, dass die Angebote für viele Forschende essenziell sind und die Deal-Verträge konkrete Informations- und Publikationsbedarfe der Institutionen erfüllen. 

Günter M. Ziegler ist Präsident der Freien Universität Berlin und Sprecher der Deal-Gruppe. David Ausserhofer

Open Access ist nicht mehr optional, sondern eine wissenschaftspolitische Erwartung, oftmals sogar zwingende Vorgabe von Forschungsförderern. Deal steigert die Open-Access-Raten in Deutschland erheblich und erreicht dabei Kostenneutralität beziehungsweise Einsparungen, bezogen auf die national kumulierten Kosten in der Zeit vor Deal. 

Seit 2019 wurden circa 105.000 Publikationen im Rahmen von Deal veröffentlicht, 97 Prozent davon Open Access. Der Open-Access-Anteil stieg so von 30 Prozent in den fünf Jahren vor Deal auf 75 Prozent der 2019 bis 2023 veröffentlichten Artikel. 

Mit dem Abschluss des Elsevier-Vertrags rückt das Ziel "Open Access als Standardweg" in greifbare Nähe, da gut ein Fünftel des jährlichen Forschungsoutputs in Deutschland in Elsevier-Journals veröffentlicht wird.

Die geschlossenen Verträge bieten im Vergleich zu früheren Subskriptionsverträgen ein deutlich breiteres Leistungsspektrum aus Volltextzugriffen und Open-Access-Publikationsrechten ohne Zusatzkosten und darüber hinaus Rabatte bei reinen Open-Access-Journals. Der Automatismus stetig steigender Ausgaben wurde gestoppt: Die nationalen Ausgaben 2023 entsprechen denen des Jahres 2020 – etwas, das kein Subskriptionsvertrag erreicht hätte. 

Zentrale Anliegen von Deal sind Transparenz über Kosten und faire, standortunabhängige Konditionen. Die Verträge sind öffentlich einsehbar und es wurden einheitliche Preise pro Publikation verhandelt. Die dadurch geschaffene Transparenz bietet wichtige Erkenntnisse, um Diskussionen über die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens voranzutreiben, einschließlich der Rolle von mittleren und kleineren Verlagen und von wissenschaftsgeleiteten Publikationsmodellen ("Diamond-Open-Access"). Transparenz ermöglicht informierte Debatten und strategische Entscheidungen, die im Subskriptionszeitalter nicht möglich waren. 

Zudem ist Deal mehr als seine Verträge – es ist eine Gemeinschaft von über 500 wissenschaftlichen Einrichtungen, die bei Verhandlungen Gewicht hat. Der Erfolg der zweiten Generation ist dem engagierten Zusammenwirken zahlreicher Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Institutionen und der Kommunikation mit den Einrichtungen zu verdanken. 

Mit MPDL Services hat die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen eine Infrastruktur geschaffen, die wichtige Verbesserungen in den Prozessen erreicht hat. Die Fragen hinsichtlich Datenschutz und Datentracking nimmt Deal ernst und setzt sich für weitere Verbesserungen auf diesem Gebiet sowie für echte Open-Access-Lizenzen ein. 

Die Umgestaltung des über Jahrzehnte verfestigten Publikationssystems erfordert eine Vielzahl von Ansätzen, die Balance zwischen Idealvorstellungen und praktisch Realisierbarem sowie eine nachhaltige Reform der Forschungsbewertung. Deal ist nicht die einzige Lösung für die Herausforderungen des Publizierens im Kontext des digitalen Wandels. Doch der Ansatz der Initiative zeigt, dass das System aktiv gestaltet werden kann und sich die Publikationsbedingungen für Forschende in Deutschland dadurch deutlich verbessern. Der Verhandlungsgruppe ist bewusst, dass es noch viel zu tun gibt. Sie wird den Wandel des Publikationssystems weiterhin engagiert unterstützen.

Contra

Verlagsoligopole kontrollieren das wissenschaftliche Publizieren. Die gesamte "Wertschöpfungskette" der Wissenschaft – Forschen – Artikel schreiben – Artikel reviewen – liegt innerhalb von Academia. Trotzdem sind die Verlage immer noch die "Gatekeeper" des wissenschaftlichen Publizierens. Wissenschaftsverlage beschäftigen uns Forscher als Autoren, Gutachter und Herausgeber, bezahlen für unsere Tätigkeiten nicht, lassen uns aber mit Mitteln der Steuerzahler unsere Artikel zurückkaufen. Wenige Großverlage kontrollieren das wissenschaftliche Publizieren und erzielen dabei konstant Umsatzrenditen von bis zu 40 Prozent.

Angesichts der angespannten Haushaltslage in den öffentlichen Wissenschaftseinrichtungen können wir es uns nicht leisten, Großverlage satt zu füttern, während wir selbst darben. In der wohlmeinenden Absicht, Open Access (OA) zum Durchbruch zu verhelfen, aber die Autoren nicht mit Article Publication Charges (APCs) zu belasten, hat sich das Deal-Konsortium mit den Verlagsriesen und Data-Analytics-Giganten Springer Nature, Wiley und Elsevier geeinigt. 

Ulrich Dirnagl ist Direktor des QUEST Center for Responsible Research am Berlin Institute of Health (BIH). BIH / Thomas Rafalzyk

Der Trick der Verlage: die fälligen Gebühren nach der Anzahl der publizierten Artikel zu berechnen, und zwar so, dass sie mindestens so viel verdienen wie vorher mit den Journal-Subskriptionen. Natürlich mit garantierten jährlichen "suprainflationären" Steigerungen. Die Kosten werden auf die institutionellen Bibliotheken umgelegt, diese stehen damit wegen der exorbitanten Zahlungen an die Verlage mindestens so prekär da wie vorher im Subskriptionssystem. "Deals" transformieren öffentliche Mittel in Dividenden, aber nicht Journale zu vollem OA. 

Die Deal-Verträge bringen für die Großverlage noch einen weiteren, nicht zu unterschätzenden kommerziellen Vorteil: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler publizieren jetzt bevorzugt in Journalen, bei denen sie wegen eines Deal-Vertrags nichts bezahlen müssen.

Das benachteiligt kleinere, Nicht-Deal-Verlage wie Embo-Press, Plos oder Elife. Diese agieren nicht gewinnorientiert, legen ihre Kosten offen und generieren einen wirklichen Mehrwert für das Publikationswesen. Sie entwickeln und testen neue und bessere Begutachtungsverfahren, neue Publikationsformen und andere Innovationen, welche die "Großen" dann bequem übernehmen, nachdem sie von ihren kleinen Konkurrenten erfolgreich etabliert wurden. 

Zudem konterkarieren die Verträge Empfehlungen der EU-Wissenschaftsminister, der Wissenschaftsorganisationen, Fördergeber, des Wissenschaftsrats und der internationalen Universitätsvereinigungen. Die Wissenschaftsministerinnen und Wissenschaftsminister der EU haben die "Mitgliedsstaaten und die Kommission ermutigt, in interoperable, gemeinnützige Infrastrukturen für die Veröffentlichung auf der Grundlage von Open-Source-Software und offenen Standards zu investieren und diese zu fördern, um die Bindung an Dienste sowie proprietäre Systeme zu vermeiden und diese Infrastrukturen mit der European Open Science Cloud zu verknüpfen". Die großen Wissenschaftsorganisationen, darunter auch die European University Alliance (viele deutsche Universitäten sind Mitglied) und Science Europe (hier ist die DFG dabei), begrüßen die Beschlüsse der Wissenschaftsminister. Die DFG wünscht sich "Open-Access-Infrastrukturen, die ohne von Autorinnen und Autoren zu zahlende Publikationsgebühren und Gewinnabsichten operieren". 

Die Deal-Verträge stabilisieren und perpetuieren ein aus der Zeit gefallenes akademisches Publikationswesen. Die Wissenschaft sollte stattdessen gemeinsam mit Bibliotheken und wissenschaftsorientierten, nicht kommerziellen Verlagen die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnis organisieren und kuratieren. Technisch ist das alles kein Problem. In Südamerika zum Beispiel werden über 70 Prozent aller wissenschaftlichen Publikationen im sogenannten Diamond-OA-Modus veröffentlicht. Das sind Publikationen und Publikationsplattformen, die weltweit kostenlos gelesen werden können und bei denen auch für die Autorinnen und Autoren keine Kosten anfallen. 

Auch in Deutschland gibt es eine unterstützenswerte, steigende Zahl von durch Forschende und institutionelle Bibliotheken betriebene Diamond-OA-Journale und Verlage. Dort und bei den Preprint-Servern liegt die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens.

Wissenschaftliches Publizieren – Schwerpunkt in "Forschung & Lehre"

Die September-Ausgabe von "Forschung & Lehre" widmet sich mit einem Themen-Schwerpunkt dem wissenschaftlichen Publizieren.

Die Beiträge:

  • Gary S. Schaal: Entwicklungspfade. Die Idee wissenschaftlicher Autorenschaft im Kontext technologischer und gesellschaftlicher Transformationsprozesse
  • Günter M. Ziegler | Ulrich Dirnagl: Pro & Contra. Die Deal-Verträge – ein Gewinn für das wissenschaftliche Publizieren?
  • Robert Staats: Rechtlich auf der sicheren Seite. Aktuelle Einordnungen aus dem Urheberrecht
  • Gerhard Lauer: Der unsichtbare Dritte. Zum Datentracking in den Wissenschaften
  • Jan Söffner: Falscher Hebel. Wie "Open Access" das kritische Denken der Intellektuellen aus der Öffentlichkeit verdrängt

Die September-Ausgabe von Forschung & Lehre erscheint am 30. August – Reinlesen lohnt sich!

1 Kommentar

  • Rainer Spanagel OA bedeutet maximale Gewinnorientierung für wenige Verlage APC >10000€ für Nat Neurosci belegen dies eindrücklich!