Wissenschaftspolitik
Was Forschende nach dem Ampel-Aus bewegt
Die deutsche Wissenschaft hängt aktuell in der Luft: Die Bundesrepublik hat seit dem Ende der Ampel-Koalition am 6. November eine Minderheitenregierung. Cem Özdemir leitet nicht nur kommissarisch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sondern ist auch weiterhin Bundeslandwirtschaftsminister. Ob in dieser Situation noch Entscheidungen getroffen werden, die die Wissenschaft nachhaltig beeinflussen? Dass es beim Forschungsdatengesetz oder dem Wissenschaftsvertragszeitgesetz (WissZeitVG) noch weitergeht, ist fraglich, auch weil sich die Diskussionspartner nicht einig sind. "Forschung & Lehre" hat stichprobenhaft und anonym mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Statusgruppen gesprochen. Ein Thema besorgt viele besonders.
Der Bruch der Koalition sei für ihn "nicht völlig überraschend" gewesen, berichtet ein promovierter Wissenschaftler. Es habe sich über Wochen und Monate abgezeichnet, dass das Verhältnis der Koalitionsparteien, "geradezu zerrüttet" gewesen sei. Die Zusammenarbeit sei als "einzige Streiterei" wahrgenommen worden.
Ein Professor und Prodekan merkte an, dass die Ampelkoalition von den Vorgänger-Regierungen "strukturelle Standort-Probleme" übernommen habe. Die Koalition sei daran gescheitert, dass die Ansichten über die Mittel zur Lösung der Probleme "zu stark divergiert" hätten. Angesichts der zerstrittenen Ausgangslage sei wohl auch in absehbarer Zukunft keine weitere Ampel-Koalition denkbar, bemerkt ein anderer Wissenschaftler. So gehe eine Möglichkeit zu koalieren verloren, was Auswirkungen auf künftige Regierungsbildungen haben werde.
Eine große Sorge der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
Ein Thema, das viele Forschende beschäftigt, ist die Frage der Hochschulfinanzierung. Die Länder sind vorrangig verantwortlich für die Finanzierung der Hochschulen. Der Bund ist insofern beteiligt, dass er Forschungsprojekte, Sonderprogramme und Forschungsbauten finanziert. Gerade im Bereich der Drittmittel war der Bund in den Jahren 2020 bis 2022 der größte Geldgeber, wie der am Montag veröffentlichte "Förderatlas" der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zeigt. Auch hat sich demnach das Verhältnis von Grund- zu Drittmitteln bei der Hochschulfinanzierung erstmals seit zehn Jahren in Richtung der Drittmittel verschoben, deren Prozentsatz sich erhöht habe (28 statt 26,9 Prozent).
Ein Professor sagte gegenüber "Forschung & Lehre", dass die "Finanzierung von Wissenschaft so prekär wie seit mindestens 20 Jahren nicht" sei. Dies bliebe auch so, wenn sich eine neue Koalition "aus den Fesseln der Schuldenbremse" lösen könne. In verschiedenen Länderhaushalten stehen Kürzungen auf dem Plan - etwa in Berlin oder Baden-Württemberg. Auch diese Entwicklungen beeinflussen die Perspektiven der befragten Forschenden. Eine Wissenschaftlerin sagte, dass die Politik im Blick behalten sollte, dass "Wissenschaft langfristig geplant werden muss". Kurzfristige Budgetkürzungen könnten für die Wissenschaftslandschaft und das gesellschaftliche Vertrauen in Wissenschaft "irreversible, langfristige Schäden" nach sich ziehen.
Währenddessen gibt es keinen Haushalt für 2025 – die Ampel-Koalition ist am Haushaltsentwurf zerbrochen. Neuwahlen, die am 23. Februar 2025 stattfinden sollen, haben zur Folge, dass es bis in die zweite Jahreshälfte dauern könnte, bis ein Haushalt verabschiedet ist. So vermutet es die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" unter Verweis auf die Bundestagswahlen von 2005, 2013 und 2017. Liegt kein Haushalt vor, ist die Bundesregierung laut Grundgesetz ermächtigt, alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind, "um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen", sowie "um die rechtlich begründeten Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen".
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler merken daher im Gespräch besorgt an: "dass bisher geplante, aber noch nicht final bewilligte Drittmittelprojekte, die durch den Bund finanziert werden sollten, eventuell nicht oder erst später beginnen" könnten. Dies hat gravierende Folgen für betroffene Forschende.
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Perspektiven zum WissZeitVG
Hier schließt sich ein weiteres Problem an, das sich aus dem Ende der Ampel-Koalition ergibt und das die deutschen Forschenden beschäftigt: Das WissZeitVG, das die Arbeitsbedingungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Deutschland verbessern sollte, wird vorerst wohl nicht reformiert. Nach langen Verhandlungen war es vor dem Ampel-Aus im parlamentarischen Verfahren angekommen – bei einer letzten Anhörung im Forschungsausschuss am 13. November war dann aber deutlich, dass eine Einigung wohl von der nächsten Bundesregierung erarbeitet werden muss.
Dazu sagte ein befragter Professor, es sei "absehbar (und verständlich), dass keine Gesetzesvorhaben von einer Minderheitsregierung auf den Weg gebracht werden können". Die deutschen Hochschulen seien im internationalen Vergleich bei Standards in der Ausbildung und Karriereentwicklung "auf halbem Wege stehengeblieben". Es seien mehr strukturierte PhD-Programme und "klar leistungsorientiert ausgestaltete Tenure-Track-Professuren" nötig. Dafür müsse eine künftige Bundesregierung den Ländern "einen Rahmen setzen".
Der Bund müsse bei Debatten über das WissZeitVG die Umsetzung möglicher Veränderungen durch die Länder stärker im Blick haben, so ein Postdoc. Dazu sei es "wünschenswert", dass nach der Wahl "jemand aus der Wissenschaft oder mit Erfahrungen in einem Länder-Wissenschaftsministerium an die Spitze des BMBF wechseln" könnte.
Globale Herausforderungen und ihre Folgen für die deutsche Wissenschaft
Angesichts der verschiedenen globalen Herausforderungen blicken einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Sorge auf die Zeit nach der Bundestagswahl 2025. Die Zukunft werde auch durch den Ausgang der US-Wahlen teurer und eine wirtschaftliche Erholung unwahrscheinlich: Zollkonflikte seien absehbar, ebenso stünden zusätzliche Kosten für internationale Organisationen an, um Lücken in den Bereichen Klimapolitik und Armutsbekämpfung zu schließen, "die die amerikanische Regierung hinterlassen" werde.
Eine promovierte Wissenschaftlerin befürchtet, dass angesichts globaler Herausforderungen wie Kriege, Klimawandel und der Gefährdung der Demokratie, die Forschung "hinten herunterfällt". Dabei seien in der akuten Lage "solide empirische Daten" besonders wichtig und lieferten eine "politische Orientierungsgrundlage". Zumindest anlässlich der Gründungssitzung der Wissenschaftsministerkonferenz vergangene Woche haben die Wissenschaftsministerinnen und -minister der Länder ein Bewusstsein für diese Sorge ausgedrückt: Sie haben vor, als starke Stimme für die Wissenschaft zu sprechen. Vor allem im kommenden Jahr sei dies wichtig, da viele politische Weichenstellungen in Deutschland und Europa gesetzt würden.
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