Eine Person mit einem "Metoo"-Aufkleber
dpa

Sexualisierte Belästigung und Gewalt
Was tun für ein respektvolles Miteinander am Arbeitsplatz Hochschule?

Die Vorwürfe der sexualisierten Belästigung gegen Hollywood-Regisseur Harvey Weinstein haben eine globale Debatte ausgelöst – auch an der Hochschule.

Von Katrin Schmermund Ausgabe 12/17

Me too – mit diesen zwei Wörtern sollten Twitter-Nutzer auf einen Tweet der Schauspielerin Alyssa Milano reagieren, falls sie schon einmal sexualisierte Belästigung oder Gewalt erlebt haben. Dabei betont "sexualisiert" in der Debatte nicht das "Sexuelle", sondern, dass das Geschlecht einer Person Anlass für einen An- oder Übergriff ist.

Millionen meldeten sich. Zahlreiche Medien griffen das Thema auf. Weltweit wurden und werden immer mehr Fälle bekannt und diskutiert. Meist sind Frauen betroffen, unterschiedlicher Herkunft, verschiedenen Alters und Berufs. Viele Fälle sind dabei eng mit einem Machtgefälle verbunden, in denen meist der körperlich und beruflich Stärkere seine Macht über die Schwächere missbraucht. 

Sexualisierte Übergriffe: Viele Studentinnen und Hochschulmitarbeiterinnen bereits betroffen

Mit Blick auf deutsche Hochschulen sprachen Diskutantinnen in der Sendung "Campus & Karriere" des Deutschlandfunks von einem "omnipräsenten" Problem. Besonders schlimm sei es in den "körperorientierten" Fächern Sport, Medizin und Naturwissenschaften.

Dr. Katrin List, Wissenschaftlerin am Lehrstuhl für Soziologie an der Ruhr-Universität Bochum, beschäftigt sich seit ihrer Promotion mit dem Thema. Eine Umfrage in Zusammenarbeit mit Professor Thomas Feltes, Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, unter mehr als 4.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universität Bochum hat ergeben, dass 19,4 Prozent der weiblichen und 5,9 Prozent der männlichen Beschäftigten seit ihrem Arbeitsbeginn Erfahrungen mit sexualisierten Übergriffen gemacht haben. Bei 36 Prozent der Frauen und 23 Prozent der Männer waren es Kolleginnen oder Kollegen, bei 27 Prozent der Frauen und 20 Prozent der Männer Vorgesetzte und bei 17,4 Prozent der Frauen und 20 Prozent der Männer Studierende.

Unter den mehr als 12.600 Studentinnen in Deutschland, die für ein europäisches Forschungsprojekt befragt wurden, haben 54,7 Prozent während ihres Studiums sexualisierte Belästigungen oder Gewalt erlebt. Diese gingen zu 97 Prozent von Männern sowie zu 84 Prozent von Kommilitoninnen und Kommilitonen aus. In 9,7 Prozent der Belästigungen und sieben Prozent der Gewalttaten waren es Lehrende.

Häufiges Gefühl von "Mitschuld"

Es ist das Fehlverhalten von Lehrenden, das Studierende in den Gleichstellungsbüros meldeten, sagt Dr. Kathrin van Riesen, Vorstandsmitglied der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (BuKoF). Hier sei ein professionelles oder auch Hierarchieverhältnis gebrochen. Das verunsichere und belaste sie besonders.  

Die Dunkelziffer unbekannter Fälle sei groß, sagt Katrin List. Schließlich sei das Thema sensibel und die strukturellen und psychischen Hürden, sich zu melden oft hoch. Hinzu komme das unterschiedliche subjektive Empfinden, welche Diskriminierung oder Belästigung nun eine solche ist, und die Sorge um die berufliche Karriere. Vor allem Frauen sind laut Psychologinnen außerdem oft unsicher, ob sie "Mitschuld" an einer Situation haben. Welche Anlaufstellen sollte es an der Hochschule geben, und wie können Hochschulleitung und -mitarbeitende sexualisierte Übergriffe verhindern?

Gleichstellungsbüros, Studierendenvertretungen oder Fachausschüsse sollten für Übergriffe und deren Gewaltcharakter sensibilisieren und darüber aufklären, sagt Katrin List. Wichtig sei aber auch, dass sich die Hochschulleitung das Thema auf die Agenda schreibe. "Nur dann sieht der Haushaltsplan der Hochschule auch das Budget vor für Veranstaltungen, Personal für Beratungsangebote und Fortbildungsangebote für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter." Universitäten sollten sich deutlich gegen sexualisierte Übergriffe positionieren.

Einer Belästigung entgegenwirken kann auch die Gestaltung einer Hochschule, sagt Katrin List. Dazu gehörten ausgeleuchtete Hochschulgebäude und guter Handy-Empfang. "Der ist vor allem in Laboren oder in Gebäuden mit sehr dicken Betonwänden oft nicht gegeben", sagt sie. Auch der Einbau von Glastüren – zumindest in Besprechungsräumen – könne Belästigungen vorbeugen. Alternativ könnten Dozierende proaktiv anbieten, eine Tür im Gespräch offen zu lassen, oder Studierende wie Mitarbeitende könnten darum bitten. "Dies ist jedoch nur eine Hilfslösung", betont Katrin List. Denn es könne dem Gesprächspartner das Gefühl vermitteln, dass man sich ein Fehlverhalten von ihm oder ihr vorstellen kann.

Mitarbeitende besser sensibilisiern und schulen

In Selbstbehauptungskursen werden Mitarbeitende geschult, wie sie beispielsweise auf eine Belästigung reagieren sollten. Der Unternehmensberater Dr. Peter Modler etwa berät vorwiegend weibliche Führungskräfte in Unternehmen wie auch junge Wissenschaftlerinnen. Er geht dabei von unterschiedlichen Kommunikationsmustern von Personen aus. Seine Erfahrung sei, dass sexualisierte Übergriffe meist von Menschen ausgingen, die mehr non-verbal kommunizierten und ein ausgeprägtes Hierarchie-Interesse hätten, sagt der 62-Jährige. Dies seien deutlich mehr Männer als Frauen.

"Als Reaktion auf eine Belästigung braucht es eine klare kurze Ansage, eine einfache Botschaft und eine deutliche, langsam ausgeführte Körpersprache", sagt Peter Modler. Wenn etwa der Doktorvater der vor ihrer Arbeit sitzenden Doktorandin zu nahe kommt, heißt das: ohne Hektik aufstehen, das Doktorvater-Doktorandin-Verhältnis kommunizieren. Fertig.

Vor allem Akademikerinnen lernten, alles begründen zu müssen. "In so einer Situation hilft es aber nicht zu argumentieren, warum man sich mit der Situation unwohl fühlt", argumentiert Peter Modler. Auch werde etwa eine Professorin von vielen Männern nicht allein deshalb in ihrer beruflichen Rolle ernstgenommen, weil sie diese Position habe. "Sie muss sich auch so verhalten, dass sie damit ihre Position ausdrückt."

Zugeschnittene Beratung notwendig

Leider lässt sich nicht jede Belästigung und erst recht keine beabsichtigte Vergewaltigung verhindern. Dann ist es wichtig, dass es Ansprechpersonen gibt. 49,6 Prozent der befragten Hochschulmitarbeiterinnen und -mitarbeiter der Universität Bochum haben sich an den Vorgesetzten oder an die Vorgesetzte gewendet. 14,2 Prozent suchten eine Beratungsstelle an der Hochschule auf. Es sei wichtig, dass sich diese sowohl an Frauen als auch Männer richte, betont Katrin List. "Männern fehlt häufig eine Anlaufstelle, weil es kein gesellschaftliches Bewusstsein für sexualisierte Diskriminierung und Gewalt gegen sie gibt."

Den Gleichstellungsbüros der Hochschulen können sich Hochschulangehörige anvertrauen und sich auf ein Gespräch mit dem Beschuldigten oder ein mögliches Beschwerdeverfahren vorbereiten. Da Gleichstellungsbeauftragte mit immer mehr Aufgaben konfrontiert seien, etwa durch die zunehmende Anzahl von Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund an Hochschulen, rät Katrin List zu der Einführung einer spezialisierten Beratungsstelle.

Dafür entschieden hat sich die Hochschule Hannover. Ansprechpartnerin Dr. Mareike Gerke hat vor ihrer derzeitigen Tätigkeit einige Jahre im Wissenschaftsmanagement gearbeitet, in der Sozialpsychologie promoviert und Erfahrungen in der Konfliktberatung gesammelt. So kenne sie sowohl den "Apparat Hochschule" als auch die inhaltliche Seite, sagt sie. "In den Beratungsgesprächen gilt für mich das Wort der ratsuchenden Person." Sobald sich diese Person als Opfer sieht, kann sich auch jemand an sie wenden, dem oder der eine Belästigung vorgeworfen wird. Sie verweise dann aber an Beratungsstellen in und außerhalb der Hochschule, um nicht in einen "Loyalitätskonflikt" zu kommen, sagt sie. 

Beschwerdeverfahren als letzte Option

Kann ein Fall nicht im Beratungsgespräch geklärt werden, kann sich die betroffene Person für ein offizielles Beschwerdeverfahren entscheiden. "In dem Verfahren steht dann häufig Wort gegen Wort", erklärt Christian Kiehne, Justiziar an der Hochschule Hannover. "Anhand von Beweismaterial, einer Bewertung der Aussagen der Parteien hinsichtlich ihrer Glaubhaftigkeit und Zeugenaussagen machen wir uns ein Bild."

Da teilweise die Beweislage schwierig sei, komme es aber immer wieder einmal zur Einstellung des Verfahrens, sagt Christian Kiehne. Aus rechtlicher Sicht sei dies unvermeidbar. Er bestärkt Hochschulen daher, "niederschwellige Beratungsstellen auszubauen und vorhandene Verfahren vor Ort in den jeweiligen Fachbereichen zu nutzen". Das komme vielen Betroffenen entgegen, weil das Beschwerdeverfahren aus rechtlichen Gründen nicht anonym laufen könne.

Es liege in der Natur des Themas, dass sich nun so viele Betroffene öffentlich meldeten und dies auch wieder abebben werde, sagt Katrin List. "Es ist einfach ein sehr sensibles Thema, und viele Betroffene wollen und können sich nicht fortgesetzt damit auseinandersetzen." Man solle sie daher nicht alleine lassen und müsse den Diskurs aufrechterhalten.

Helfen können die kurze Information über Schulungen und Selbstbehauptungskurse zum Vorlesungsbeginn, Theaterstücke, Vorträge oder Plakatausstellungen. Damit kommt es am besten erst gar nicht zu Belästigungen oder gar Vergewaltigungen an Hochschulen und schauen Studierende, Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, Professorinnen und Professoren hin statt weg, damit Opfer sowie vermeintlich Schuldige Unterstützung erhalten.