

Bundestagswahl
Welche politischen Weichenstellungen die Wissenschaft erwartet
Kurz vor der Wahl appellieren die Wissenschaftsorganisationen an die zukünftige Bundesregierung – zentral ist dabei die Forderung nach mehr Innovationsstärke. Dass Deutschland ein Umsetzungsdefizit hat und hierzulande kein ausreichender Transfer von Innovation stattfindet, wurde verschiedentlich festgestellt. So findet sich beispielsweise gemäß einer Analyse des Clarivate-Konzerns in der Liste der "Top 50 Universities Powering Global Innovation" mit der Technischen Universität München nur eine einzige deutsche Hochschule (Platz 24). Das auf Zitationsanalysen spezialisierte Unternehmen hat dafür ausgewertet, welche Hochschulen mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten besonders häufig im Rahmen von Patenten erwähnt werden. Zugrunde gelegt wurden dabei die Patente von Unternehmen und Organisationen, die Clarivate zu den "Top 100 Global Innovators 2024" zählt.
In eine ähnliche Richtung weist eine aktuelle Studie des Mannheimer Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Der Studie zufolge ist die Zahl der Firmengründungen im Vergleich zu den 1990er-Jahren stark gesunken. Obwohl zuletzt ein leichter Anstieg verzeichnet wurde (um 1,3 Prozent in 2023 gegenüber dem Vorjahr), könne von einer Trendwende keine Rede sein. Der Rückgang betrifft insbesondere forschungsintensive Industriebranchen wie Maschinenbau, Elektrotechnik oder Chemie. Zentrale Gründe dafür sind laut ZEW-Umfrage zunehmender bürokratischer Aufwand, Fachkräftemangel und Energiepreise. Dass die Zahlen gerade in den forschungsintensiven Branchen zurückgingen, bezeichnet Sandra Gottschalk, wissenschaftliche Mitarbeiterin im ZEW-Forschungsbereich "Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik", als bedenklich: "Dort drohen Innovationslücken, die sich langfristig auch auf andere Branchen in der deutschen Wirtschaft auswirken können."
Bürokratieabbau als wichtige Stellschraube
Die von Wissenschaftsorganisationen geforderte Neuausrichtung ist dementsprechend grundsätzlicher Natur: Angesichts der anstehenden "Richtungswahl" luden Stifterverband, Leopoldina und Volkswagenstiftung die Parteien Ende Januar zur Diskussion ihres Thesenpapiers "Standort Deutschland: Zukunft durch Forschung und Innovation" ein ("Forschung & Lehre" berichtete). Es gehe darum, die strukturellen Probleme zu beheben, die Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit gefährdeten. Erforderlich seien die Neuordnung und Stärkung eines übergreifenden Bundesministeriums für Forschung und Innovation. Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sowie die Autonomie von Forschenden und Forschungseinrichtungen seien zu stärken und bürokratische Hindernisse abzubauen. Einen ähnlichen Katalog legte die Allianz der Wissenschaftsorganisationen am 18. Februar vor – allen voran die Forderung nach einer stabilen Finanzierung für Forschung und Lehre.
"Mit einem Federstrich ließen sich in Wirtschaft und Wissenschaft Blockaden lösen und zusätzliche Energien und Kreativität zum Nulltarif wecken."
Lambert T. Koch
Die Forderung nach Bürokratieabbau als wichtige Stellschraube findet sich auch in anderen Stellungnahmen: "Mit einem Federstrich ließen sich in Wirtschaft und Wissenschaft Blockaden lösen und zusätzliche Energien und Kreativität zum Nulltarif wecken", sagte der Präsident des Deutschen Hochschulverbands (DHV), Professor Lambert T. Koch. Angesichts einer angespannten Haushaltslage werde die künftige Regierung unvermeidlich Prioritäten setzen müssen – jedoch: "Wer den Wohlstand und die Innovationskraft sichern will, muss weiterhin in Bildung und Wissenschaft investieren." Eine Investitionsinitiative Bildung und Forschung und unter anderem forschungsfreundliche gesetzliche Rahmenbedingungen – konkret genannt werden Forschungsdatengesetz, Abbau von Bürokratie, Vereinfachung des Projektträgersystems und Umsatzsteuerbefreiung – forderte auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in ihrem Beschluss zur Bundestagswahl 2025. Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen verwies auf ihre Anfang Dezember 2024 vorgelegten Vorschläge zum Bürokratieabbau und forderte ihre zügige Umsetzung.
Zusammenarbeit mit der Wirtschaft als Schlüssel
Als Schlüssel für mehr Innovationsstärke werden vielfach neue Kooperations- und Finanzierungsmöglichkeiten betrachtet: Innovationszentren wie das Silicon Valley mit Stanford und Berkeley würden ihre Schubkraft aus der Verbindung von wissenschaftlichen Spitzeneinrichtungen mit wirtschaftlich starken Ökosystemen gewinnen, schreiben Thomas F. Hofmann, Präsident der Technischen Universität München, und Michael Kaschke, Präsident des Stifterverbandes, in einem gemeinsamen Papier, das "Forschung & Lehre" vorab vorlag. "Solche Ökosysteme sind in Deutschland noch eher die Ausnahme und zum Teil in der Frühphase ihrer Entwicklung: Einige Beispiele sind München, in Ansätzen Aachen, Dresden, Karlsruhe und Tübingen und wachsend in Heilbronn", heißt es im Papier.
"Sprunginnovationen werden vor allem dort entstehen, wo Akademia und Unternehmen gemeinsam an einem Strang ziehen – und zwar am gleichen Ende."
Thomas F. Hofmann und Michael Kaschke
"Sprunginnovationen werden vor allem dort entstehen, wo Akademia und Unternehmen gemeinsam an einem Strang ziehen – und zwar am gleichen Ende." Angesichts dieser Tatsache sei es besorgniserregend, dass die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in Deutschland abnehme. So ist der Drittmittelanteil der Wirtschaft von 26 Prozent in 2006 auf 14,7 Prozent in 2022 gesunken. Unternehmen würden Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen zunehmend ins Ausland verlagern. Die Rahmenbedingungen für innovationsfördernde Ökosysteme zu schaffen, ist laut Hofmann und Kaschke Kernaufgabe eines zukünftigen Bundesministeriums für Forschung und Innovation. Übergeordnetes Ziel müsse eine effizientere Zusammenarbeit von Bund, Ländern und der Wirtschaft sein, die auch länderübergreifende Entwicklungsmaßnahmen ermögliche.
"Um Deutschland aus der aktuellen wirtschaftliche Schwäche in Verbindung mit seinem angeschlagenen Forschungs- und Innovationssystem herauszuführen, bedarf es gemeinsamer Anstrengungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik", betont auch Professor Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). Ein entsprechendes Konzept liefere das kommende EFI-Gutachten, das drei Tage nach der Wahl an die zukünftige Bundesregierung übergeben wird.
Erste Sprind-Evaluation mit positivem Ergebnis
Dass sich eine dynamischere und flexiblere Arbeitsweise auszeichnet, zeigt auch die jüngst vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) und von der Technopolis Deutschland GmbH durchgeführte Evaluation der Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind). Die Agentur schließe eine wichtige Lücke in der deutschen Innovationsförderung, heißt es im Evaluationsbericht. Die Einreichungsprozesse gestalteten sich unkompliziert, unbürokratisch und schnell. Entscheidend für den weiteren Erfolg der Agentur sei, dass sie auch zukünftig politisch unabhängig agieren könne. Nach Informationen von "Research.Table" darf die Sprind auch nach der Wahl auf parteiübergreifende Unterstützung hoffen.
Anders sieht es womöglich mit der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (Dati) aus, deren erklärtes Ziel es ist, Forschungserkenntnisse schnell in die Praxis zu überführen sowie regionale und überregionale Innovationsökosystemezu stärken. Obwohl die Ampel-Koalition ein Dati-Gründungskonzept, auf das vor allem Hochschulen für Angewandte Wissenschaften große Hoffnungen setzten, kurz vor ihrem Ende noch eilig verabschiedete, steht die eigentliche Gründung noch immer aus – und demnächst vielleicht ganz auf der Kippe: Auf ein eindeutiges Ja zur Dati wollte sich Thomas Jarzombek, Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Ausschuss Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, jedenfalls nicht festlegen lassen.
aktualisiert am 20.02.2025 um 12.20 Uhr (Forderungen der Allianz der Wissenschaftsorganisationen), zuerst veröffentlicht am 14.02.2025