Demonstrierende mit Protestplakaten für "real science"
dpa

US-Präsidentschaftswahl 2016
"Wir müssen hinschauen und aktiv werden"

Mit Donald Trump als Präsident läuft in den USA einiges anders als zuvor. Welche Folgen zeigen sich für die Wissenschaft? Ein Politologe ordnet ein.

Von Katrin Schmermund Ausgabe 3/17

Forschung & Lehre: Herr Professor Lammert, ein Einreiseverbot für Menschen aus sieben muslimischen Ländern, eine Beschränkung der Öffentlichkeitsarbeit von US-amerikanischen Organisationen wie der Umweltbehörde EPA, die Androhung der Kürzung staatlicher Gelder gegenüber der Universität Berkeley: Die ersten Amtshandlungen von Donald Trump klingen, als komme auf die US-Wissenschaft mit dem neuen Präsidenten einiges an Ärger zu. Wie besorgt müssen wir mit Blick auf Trumps Kompetenzen sein?

Christian Lammert: Der Einfluss der Bundesregierung im Wissenschafts- und Bildungssektor ist viel begrenzter als etwa in Deutschland. Die Universitäten werden größtenteils privat, und Schulen auf kommunaler Ebene finanziert. Natürlich gibt die Regierung Geld für bestimmte Programme wie die "National Endowment for the Humanities" (NEH).  Das sind wichtige Gelder, weil sie Wissenschaftsbereiche fördern, die sich nicht auf dem privaten Markt durchsetzen können. Doch die Ausgaben sind gering. Sie betragen nur 0,02 Prozent des Bundeshaushalts. US-Präsident Donald Trump kann in vielen Wissenschaftsbereichen tatsächlich nur Anreize für Veränderungen setzen, etwa durch steuerliche Subventionen. Er kann aber nicht sanktionieren. Seine Androhung in Richtung Berkeley ist  Symbolpolitik. Die Universität wird zwar zum Teil öffentlich finanziert, aber auf Ebene des Bundesstaats Kalifornien. Internationale Kooperationen finden vor allem mit Universitäten der prestigeträchtigen sogenannten US-Ivy League aus Brown, Columbia, Cornell, Dartmouth, Harvard, Princeton, Pennsylvania und Yale statt. Diese werden alle privat finanziert und entgehen damit einem starken Einfluss Trumps, was für die globale Forschungszusammenarbeit gut ist.

F&L: Ist damit die Absicht der Bildungsministerin Betsy DeVos, auch staatlich finanzierte Universitäten und Colleges zu privatisieren, etwas Positives?

Christian Lammert: Es reduziert die Einflussmöglichkeiten Trumps, aber nimmt man das in Deutschland zentrale Humboldtsche Bildungsideal zur Hand, ist das natürlich eine problematische Entwicklung. Sie führt zu einer noch stärkeren Fragmentierung des Bildungssektors in den USA. Bildung wird immer stärker zu einem privaten Gut und in den privaten Colleges wird nicht für die Wissenschaft ausgebildet, sondern vor allem für die Wirtschaft, was sich langfristig negativ auf die USA als Standort für Spitzenforschung auswirken wird.
Für problematisch halte ich ohnehin viel mehr das wissenschaftsfeindliche Umfeld, das Klima eines Anti-Intellektualismus, das sich in den USA herausbildet. Der Wiederaufbau von Mauern, die ganze Debatte über "postfaktisch" und "fake news": Wenn man überhaupt nicht mehr in der Lage ist, miteinander in eine Diskussion zu treten, ist das viel problematischer als die Finanzierung von Einrichtungen.

F&L: Wie sollten Menschen reagieren, um gegen ein wissenschaftsfeindliches Klima anzugehen?

Christian Lammert: Wir müssen hinschauen und aktiv werden – aber das passiert auch, wie man an Demonstrationen, nicht zuletzt an dem für April angesetzten "March of Science", sehen kann. Dass die EPA nun einen Chef hat, der die Behörde aus Kritik an der Forschung über den Klimawandel abschaffen will, ist natürlich ein Warnsignal. Wenn Wissenschaftler der EPA nur mit Rücksprache ihre Erkenntnisse veröffentlichen dürfen, ist das ein Maulkorb für die Wissenschaft. EPA-Mitarbeiter haben ihre Daten schon auf andere Server übertragen. Es herrscht ein Klima der Verunsicherung und Angst, was schlecht für den Wissenschaftsstandort USA und die global vernetzte Wissenschaftsgemeinschaft ist.

"Hinzu kommt in den USA ein Anti-Intel­lektualismus, der zurück bis auf die McCarthy-Ära geht." Christian Lammert

F&L: Was müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler abgesehen von Demonstrationen unternehmen, um gegen die Verbreitung von „fake news“ sowie Eingriffe in die freie Wissenschaft vorzugehen?

Christian Lammert: Den perfekten Plan gibt es leider nicht. Was ganz wichtig ist: Wissenschaftler müssen weiter die Arbeit machen, die sie bislang gemacht haben, und gerade in der Ausbildung von Studierenden muss ein Wissenschaftsverständnis etabliert werden, das auf empirisch evidenten Fakten basiert und gegen den Trend des Postfaktischen und der "fake news" geht.
Auch die Politikwissenschaft hat in vielen Aspekten schlicht versagt. Wir müssen kritisch und selbstreflektiert darüber nachdenken, warum man den Blick auf bestimmte gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen verloren hat. Ein zentrales Problem ist, dass sich einzelne Disziplinen immer weiter voneinander entfernt haben, was zwar notwendig ist in einer spezialisierten Wissenschaftsgesellschaft, aber wodurch breit angelegte gesellschaftliche Fragestellungen zu kurz gekommen sind.

F&L: Macht das allein die amerikanische Gesellschaft anfällig für Trumps scheinbar wissenschaftsfeindliche Einstellung?

Christian Lammert: Es kommen zwei Elemente zusammen. Zum einen sind viele Teile der Bevölkerung tatsächlich sehr unzufrieden mit der politischen Elite. Das gilt für alle westlichen Demokratien, aber besonders stark für die USA. Zwei Pole treffen aufeinander: Die, die Globalisierung fürchten, und die, die von ihr profitieren. Dieses Phänomen läuft nicht entlang eines politischen "Links-Rechts-Schemas" und wurde von Sozialwissenschaften und Politik etwas verschlafen – was man auch verstehen kann. Die Arbeits­markt­daten der USA sind einigermaßen positiv; wir haben ein moderates ökonomisches Wachstum und eine recht geringe Arbeitslosigkeit.  Vieles erscheint aber schlichtweg nicht in der Arbeitsmarktstatistik, wie etwa, dass die wirtschaftliche Produktivität weit mehr gestiegen ist als die Löhne. Viele sind entkoppelt von der wirtschaftlich guten Entwicklung. Das ist von der Wissenschaft kaum thematisiert und von der Politik kaum angegangen worden. Hinzu kommt in den USA ein Anti-Intellektualismus, der zurück bis auf die McCarthy-Ära geht: Ein paranoider Charakter, der anfällig für Verschwörungstheorien ist. Er legt die Basis für die ganzen Debatten, die wir unter dem Titel "fake news" führen. Er beschreibt ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber bestimmten Eliten und einen starken Glauben an Individualismus.

F&L: Bedient sich Trump nur der Sorgen der Bürgerinnen und Bürger oder ist seine wissenschaftsfeindliche Haltung auch Überzeugung?

Christian Lammert: Donald Trump ist kein Mensch, der eine klare ideologische Vorstellung hat. Das macht ihn vielleicht noch erfolgreicher. Er war vielmehr gut darin, die Stimmung der Bevölkerung aufzugreifen, sei es durch seine eigene Intuition oder die seiner Berater.

"Wissenschaft muss politisch werden." Christian Lammert

F&L: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler engagieren sich als Reaktion auf Trumps Politik politisch. Sie demonstrieren für Forschungs- und Lehrfreiheit, manche überlegen, selbst in die Politik zu gehen. Damit haben sie eine Diskussion darüber entfacht, wie politisch Wissenschaft sein darf – was denken Sie?

Christian Lammert: Wissenschaft muss politisch werden. Dass die Wahl Donald Trumps in der ganzen Bevölkerung zu mehr Politisierung geführt hat, ist etwas Gutes. Viele merken erst jetzt, dass politische Mitwirkung Konsequenzen haben kann. Es kann nicht schaden, wenn sich Wissenschaft stärker in bestimmte Debatten einbringt. In den USA, und noch stärker in Deutschland, sind Wissenschaftler immer eher reserviert, sich an politischen Debatten zu beteiligen, aber gerade das ist jetzt gefordert. Das Problem ist, dass es in der Medienlandschaft der USA zwei Öffentlichkeiten gibt, die nicht mehr miteinander reden: Fox News und konservative soziale Medien auf der einen und MSNBC und linke Blogs auf der anderen Seite. Hier werden oftmals zwei unterschiedliche Realitäten der USA präsentiert. Die Wissenschaft muss eine Verbindung schaffen, gesprächsbereit sein.

F&L: In welchen Bereichen erwarten Sie die stärksten Einschränkungen durch Trump?

Christian Lammert: Damit rechne ich in der Klima- und Gesundheitspolitik, weil hier die staatlichen Investitionen am höchsten sind. Die Klimaforschung wird am meisten leiden, weil viele Personen in Trumps Administration den Klimawandel bestreiten. Das wird sich unter anderem darin zeigen, dass derzeit laufende Projekte in dem Bereich wohl gestrichen werden. Im Energieministerium sind vor allem Leute aus der Öl-Industrie. Investitionen in Forschung und Entwicklung von regenerativen Energien werden zurückgefahren werden. Dafür wird es eine stärkere Kohle- und Atomförderung geben. Das ist ein ganz klarer Kurswechsel – gerade im Vergleich zur Obama-Administration.
Im Bereich Gesundheitspolitik wird es zu einer stärkeren Deregulierung in der Medikamentenforschung kommen. Das macht verwaltungstechnische Abläufe vielleicht einfacher, aber kann gleichzeitig negative Konsequenzen für die Qualität der Produkte haben. Darüber hinaus scheint sich mit der Trump-Administration unter anderem eine Bewegung durchzusetzen, die einen Zusammenhang zwischen Autismus und Impfungen sieht und entsprechend impfungsfeindlich ist.

"Wir sollten auf keinen Fall einen Profit für den Wissenschaftsstandort Deutschland aus den Entwicklungen schlagen wollen." Christian Lammert

F&L: Auch deutsche Wissenschaftseinrichtungen, die internationale Kooperationen mit den USA pflegen, sind betroffen. Wie sollten diese sich verhalten?

Christian Lammert: Sie sollten weiter den Austausch mit amerikanischen Wissenschaftlern suchen, weil alle davon profitieren. Neben dem Finanzmarkt ist der Wissenschaftssektor am stärksten global integriert und aufeinander angewiesen. Ich würde allen Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern raten, sich weiterhin mit den USA auseinanderzusetzen. Wenn sich jetzt viele Studierende nicht trauen, in die USA zu gehen, und vielleicht stattdessen Kanada bevorzugen, setzt das ein falsches Signal. Gerade im Bereich der USA-Forschung sind in den letzten Jahren viele Forschungszentren geschlossen worden. Das ist ein weiterer Grund, warum wir vielfach nicht verstehen, was in den USA passiert ist. Das muss sich ändern. Auch sollten wir auf keinen Fall einen Profit für den Wissenschaftsstandort Deutschland aus den Entwicklungen in den USA schlagen wollen. Das würde die beiden Wissenschaftsstandorte voneinander entfernen und uns mittel- und langfristig die Chance verspielen, die wissenschaftlichen Ressourcen der USA zu nutzen. Unsere Partner in den USA sind zudem nach einer ersten Schockstarre nach der Wahl gelassener geworden und noch eher bereit, Kooperationen mit europäischen Partnern einzugehen.

F&L: Die Wahl hat auch gezeigt, dass Politikerinnen und Politiker verstärkt neue Kommunikationskanäle wie Twitter für ihre Politik nutzen. Wie muss die Wissenschaft darauf reagieren?

Christian Lammert: Ich habe mich lange geweigert, Trump auf Twitter zu folgen, weil ja eigentlich auch nichts wichtiges da drin steht, aber aus sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive mache ich es jetzt, um mich mit dem Phänomen Trump besser auseinandersetzen zu können. Es ist wichtig zu verstehen, wie sich öffentliche Räume in den letzten Jahrzehnten verschoben haben. Twitter erlaubt es beispielsweise, sehr passgenaue Botschaften auf Wähler zuzuschneiden. Soziale Medien analysieren wir zwar seit einiger Zeit, aber wir haben ihre Relevanz und Wirkungskraft vielleicht etwas unterschätzt. Das gilt auch für die Politik in Deutschland. Dabei müssen wir natürlich im Auge behalten, dass nicht alles eins zu eins  von den USA auf Deutschland zu übertragen ist. Die SPD hat damals versucht, von Trump zu lernen und seinen „Yes we can“-Aufruf übernommen, um die Massen zu begeistern. Das hat nicht geklappt. Es gibt kulturelle und historische Unterschiede, die man berücksichtigen muss. Auch die amerikanische Presse findet langsam einen Umgang mit Trumps Twitter-Nutzung. Das Motto 'Nicht immer aufregen, nicht immer vom Weltuntergang sprechen, sondern in einen rationalen Diskurs treten, in dem die Schwachpunkte der anderen Seite deutlich werden' tritt wieder in den Vordergrund.