Eine Person wirft einen Stimmzettel in eine Wahlurne
picture alliance / Stefan Sauer/dpa | Stefan Sauer

Bundestagswahl 2025
Wissenschaft fordert entschlossenes Handeln von politischer Mitte

Deutschland hat gewählt. Dazugewonnen hat die AfD, die Parteien der Mitte haben Einbußen verbuchen müssen. Reaktionen aus der Wissenschaft.

24.02.2025

Noch laufen die Auswertungen der Bundestagswahl 2025. Fest steht: Die Union ist stärkste Kraft, die AfD liegt auf Platz zwei und ist so stark wie nie. Nach der vorläufigen Auswertung kommen CDU und CSU auf knapp 29 Prozent, die AfD hat etwa 21 Prozent. Dahinter folgen SPD, Grüne und Linke mit rund 16 Prozent, 12 Prozent und 9 Prozent. FDP und BSW verpassen den Einzug in den Bundestag.

Wissenschaftsvertreter bekräftigen nach der Wahl ihre Forderung nach einer entschlossenen Politik für freie und gute Wissenschaft. "Die Bundestagswahl ist angesichts erstarkter Ränder links und rechts ein Weckruf an die politische Mitte", mahnt der Präsident des Deutschen Hochschulverbands, Lambert T. Koch. Diese habe sich zwar noch knapp behaupten können. Jetzt gelte es, "rasch ins Handeln zu kommen, um den immensen nationalen und internationalen Herausforderungen wirksam zu begegnen und enttäuschte Bürgerinnen und Bürger wieder mitzunehmen."

Die Wissenschaft brauche als "zentraler Player auf dem Weg zurück zu neuer Stärke unseres Standorts im Herzen Europas zügige Weichenstellungen". Von der künftigen Regierung erwartet er, dass sie trotz der schwierigen Haushaltslage klare Prioritäten zugunsten von Wissenschaft und Forschung setzt und unter anderem durch den Abbau überbordender Bürokratie die Innovationskraft Deutschlands stärkt. 

Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit sichern

Ähnlich äußerte sich auch der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Die hohe Wahlbeteiligung bezeichnete er als ermutigend. Diese zeige "bei aller Polarisierung an, wie lebendig und stark die deutsche Demokratie grundsätzlich ist", sagte Walter Rosenthal auf Anfrage von Forschung & Lehre. "Gleichwohl muss zu denken geben, wenn ein Fünftel der abgegebenen Stimmen eine im Kern ausgrenzende und auch wissenschaftsskeptische Agenda unterstützt und überdies mehr als zehn Prozent der Wählerstimmen an Parteien gehen, die aufgrund der an sich sinnvollen Fünf-Prozent-Hürde nicht im neuen Bundestag vertreten sein werden." 

Die Parteien im Parlament und außerhalb müssten die Unzufriedenheit der Bevölkerung "auf demokratische Weise adressieren" und "zukunftsorientierte Lösungen finden, ohne illiberale und demokratiefeindliche Positionen weiter zu normalisieren". Für Wissenschaft und Hochschulen sei entscheidend, dass Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit auch künftig gesichert würden. "Die Forderungen von Hochschulen und Wissenschaft liegen auf dem Tisch. Ich erwarte, dass diese in den anstehenden Koalitionsgesprächen die notwendige Rolle spielen und durch ein starkes Ministerium für Bildung, Forschung und Innovation bald auch umgesetzt werden", betonte Rosenthal.

Auch der Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung meldete sich zu Wort: "Nach dem teils hart geführten Wahlkampf müssen alle demokratischen Parteien sich nun um Konsens bemühen und möglichst rasch zusammenfinden", sagte er laut einer Mitteilung. Gerade der dritte Jahrestag der russischen Vollinvasion in der Ukraine zeige, "welche gewaltigen Aufgaben vor uns und der neuen Regierung liegen." Dabei sei die internationale Zusammenarbeit zentral: "Um globalen Herausforderungen lösungsorientiert zu begegnen, brauchen wir vertrauensvolle Beziehungen weltweit. Ein regelbasierter Umgang zwischen Staaten und Institutionen ist unerlässlich.“ Internationaler Wissenschaftsaustausch lege dafür die Basis.

Forderung nach "tatkräftiger Koalition"

Politikwissenschaftler Michael Zürn zeigte sich besorgt über den Zuwachs der Stimmen für die AfD. "Wenn sich diese Werte bei den Landtagswahlen wiederholen, muss man mit autoritär motivierten wissenschaftspolitischen Eingriffen rechnen", warnte der Professor für Internationale Politik und Recht am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Seiner Ansicht nach seien viele Menschen [für Parteien] empfänglich, [die für ihre autoritären Pläne eine antiwissenschaftliche Stimmung in der Gesellschaft verbreiten], weil sie sich nicht ausreichend gehört fühlten und die Wissenschaft als Teil einer "bösen Elite" ansähen, wie er in einem Interview anlässlich des 75. Jahrestags des Grundgesetzes sagte. Jetzt brauche es eine "tatkräftige Koalition auf Bundesebene, die wieder die öffentliche Infrastruktur und Daseinsfürsorge stärkt".

"Das Ergebnis ist ein Abbild der Unzufriedenheit mit den Parteien der politischen Mitte", sagte auch Politikwissenschaftler und DHV-Präsidiumsmitglied Karl-Rudolf Korte. "Die Provokation der Freiheit durch Putin verunsichert in Deutschland viele, zumal sich Trump dieser Provokation angeschlossen hat." Der Direktor der NRW School of Governance setzt auf eine Einigung zwischen Union und SPD, um zu einer stabilen Regierungsmehrheit zu kommen. "Eine Abwehrkoalition gegen die AfD und damit gegen eine Partei der Wissenschaftsfeindschaft ist eindeutig herstellbar."

Die Parteien starten jetzt in die Koalitionsverhandlungen. Bis Ostern will Kanzlerkandidat Friedrich Merz zu einem Abschluss kommen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) steht bei der Verteilung der Ressorts in der Regel nicht im Fokus. Interimsbundesminister für Bildung und Forschung, Cem Özdemir, kritisierte dies in einem Interview mit dem Deutschlandfunk zuletzt scharf. Das BMBF müsste eines der am stärksten umworbenen Ministerien sein, meinte der Minister. Hier würden die Zukunftsthemen der Gesellschaft entschieden. Auch brauche die allgemeine Bildungspolitik dringend mehr Aufmerksamkeit und es müsse besser in die Bildung künftiger Generationen investiert werden. Der "Ernst der Lage" sei noch nicht ausreichend erkannt worden. 

Aktualisiert um Statement der Hochschulrektorenkonferenz am 24.02.205 um 22.00 Uhr, zuerst veröffentlicht am 24.02.2025 um 13.00 Uhr.

kas