Eine Frau protestiert am 7. März gegen die Kürzungen an der US-Wissenschaft. Sie hält ein Schild mit der AUfschrift: "Without grants we can't advance" (Ohne Förderung können wir keine Fortschritte machen).
picture alliance / Sipa USA | Robyn Stevens Brody
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Brain Gain
Wissenschafts-Community uneinig über "Abwerben" von US-Forschenden

Forschende leiden unter den Kürzungen der Trump-Regierung. Verschiedene Unterstützungen sind im Gespräch. Das BMBF bündelt die Debatte.

27.03.2025

Die Wissenschaft diskutiert, wie Forschende angesichts der wissenschaftsfeindlichen Politik der Regierung von Präsident Donald Trump unterstützt werden könnten. Die US-Regierung hat in den vergangenen Wochen die Finanzierung von zahlreichen Organisationen und Forschenden gekürzt oder gestrichen. Gedanken, die politische Lage in den USA zum Vorteil für den deutschen Wissenschaftsstandort zu nutzen und von einem möglichen Braindrain zu profitieren, kursieren seit einigen Wochen. Der Berliner Senat möchte nun einen Fonds einrichten, um Forschende aus den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) in die Hauptstadt zu locken. Das berichtet die Zeitung "Der Tagesspiegel" am Samstag. Die Finanzierung des Berliner Fonds ist demnach noch unklar. Zuletzt war die Berliner Wissenschaftsverwaltung hauptsächlich im Hinblick auf die Millionen-Einsparungen im Gespräch, die Berliner Hochschulen aktuell und in den folgenden beiden Jahren bewältigen müssen.

Auf der Plattform "Instagram" hatte die Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege am vergangenen Donnerstag angekündigt, einen Fonds aufzusetzen, der dabei hilft, "Forschenden aus den USA einen neuen Ort zu geben, an dem sie frei in einem weltweit einzigartigen Umfeld forschen können". Es seien bereits zahlreiche Förderprogramme der Einstein-Stiftung Berlin vorhanden, die die Rekrutierung von Spitzenwissenschaftlerinnen und Spitzenwissenschaftlern aus der ganzen Welt förderten. Die Einstein Stiftung bestätigte gegenüber "Der Tagesspiegel" mit dem Senat im Gespräch zu sein.  

Auch Baden-Württemberg möchte laut einer Antwort des Wissenschaftsministeriums auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion vom 13. März gezielt Fachkräfte aus der US-amerikanischen Wissenschaft und Forschung anwerben. Demnach solle die neue Landesagentur für die Zuwanderung von Fachkräften, deren Errichtung im Julie 2024 beschlossen wurde, geeignete Personen bei der Einwanderung unterstützen. Gespräche mit den Universitäten des Landes hätten ergeben, dass aktuell "nur sehr vereinzelte und allgemeine Anfragen aus dem US-amerikanischen Wissenschaftssystem eingegangen" seien, die Interesse an einer Tätigkeit in Baden-Württemberg ausdrückten Eine "stärkere und gezieltere Vermarktung des Wissenschaftsstandorts Baden-Württemberg" werde allerdings angestrebt.

Sollte die deutsche Wissenschaft die Lage in den USA ausnutzen?

Verschiedene Wissenschaftsorganisationen haben sich in der Frage, wie man Forschenden in den USA helfen könnte, bereits geäußert. Die USA seien für die Max-Plack-Gesellschaft (MPG) ein "neuer Talentpool" sagte MPG-Präsident Professor Patrick Cramer Anfang Februar im Interview mit "DER SPIEGEL". Seine Organisation habe auf Ausschreibungen von Forschungsgruppenleitungen zuletzt doppelt so viele Bewerbungen aus den USA erhalten als im vergangenen Jahr. Die MPG werde sich mit zusätzlichen Mitteln bemühen, "diesen Menschen eine Perspektive zu bieten und zugleich die Max-Planck-Gesellschaft zu stärken".

Auch Professor Wolfgang Wick, Vorsitzender des Wissenschaftsrats, hat in einem Gastbeitrag in "DIE ZEIT" Ende Februar beschrieben, dass die aktuelle Situation eine "Chance für Deutschland und Europa" darstelle. "Klugen Köpfen" sollte gezeigt werden, dass sie willkommen seien. 

Der scheidende Bundesforschungsminister Cem Özdemir äußerte sich Ende Februar gegenüber dem Sender "ntv" ebenfalls als Unterstützer der Idee, Spitzenwissenschaftlerinnen und Spitzenwissenschaftlern eine Perspektive zu geben. Er meine "keine bloße Abwerbung, sondern Angebote zum Austausch auf Augenhöhe", einen "Talentkreislauf für eine freie Forschung". Wie dieser ausgestaltet sein könne, erläuterte der Minister nicht. Damit es zu einem solchen Kreislauf kommen könne, bräuchte der Wissenschaftsstandort außerdem attraktivere Rahmenbedingungen und weniger Bürokratie. Laut Bericht von "Table.Media" vom Dienstag berät der Forschungsminister am Mittwoch zum zweiten Mal über das Thema mit Vertreterinnen und Vertretern der Wissenschaftsorganisationen. Dabei solle eine gemeinsame Erklärung verabschiedet werden, die sich damit befasst, wie bestehende Programme gemeinsam mit Bund und Ländern aufgestockt werden können, um die Attraktivität des Wissenschaftsstandorts Deutschlands zu erhöhen.

Vergangene Woche befürwortete auch die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe ein Abwerben von Forschenden. Die Professorin für Finanzmarktökonomie an der University of California in Berkeley fühle sich von der aktuellen Situation an die 1930er Jahre erinnert, als zahlreiche führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor den Nazis in die USA flohen und zum Aufstieg der US-Wissenschaft beigetragen haben. "Jetzt können wir das umkehren." Die Rahmenbedingungen an den deutschen Hochschulen müssten allerdings grundlegend durch Investitionen in den Wissenschaftsstandort verbessert werden.

Zuletzt äußert sich die Geschäftsführerin des Deutschen Hochschulverbands (DHV), Dr. Yvonne Dorf, in einem Kommentar in der April-Ausgabe von "Forschung & Lehre", der der Onlineredaktion vorab vorlag. Auch sie betont, dass "langfristige Zukunftsinvestitionen" nötig sind, wenn "Deutschland Zielland für herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden will". Bund und Länder müssten "durch gemeinsam messbare Taten" die Wissenschaft verlässlich attraktiv machen. Sparmeldungen wie etwa aus Berlin seien nicht das richtige Signal. "Ansonsten werden kluge Köpfe um das Land der Dichter und Denker eher einen Bogen machen", so Dorf.

Weitere Stimmen mahnen vor Schäden für die Zusammenarbeit

Kritisch bewertete die Vorschläge US-Forschende anzulocken etwa der Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), Professor Joybrato Mukherjee im Gespräch mit "Table.Media" Anfang März: Der DAAD habe gegenüber US-Partnern deutlich gemacht, dass er "kein Interesse" an "Abwerbeaktionen" habe. Es gehe eher darum, Institutionen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA zu unterstützen. Beispielsweise müssten Kooperationen intensiviert werden. Mukherjee warnte davor, überstürzt zu reagieren.

Auch Professor Robert Schlögl, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) steht dem Abwerben kritisch gegenüber, wie "Table.Media" am Dienstag berichtet. Dies schwäche des US-amerikanische Wissenschaftssystem und schade der transatlantischen Zusammenarbeit. Auch Schlögel gehe es laut Bericht um "Brain Circulation", ähnlich Özdemirs Vorschlag eines "Talentkreislaufs". Viele Betroffene suchten keine dauerhaften Anstellungen außerhalb der USA, sondern benötigten voraussichtlich nur kurzfristig Unterstützung. Dazu könne die AvH bestehende Förderprogramme nutzen und aufstocken, benötige aber zusätzliche Mittel. 

BMBF-Erklärung zur Debatte gibt zurückhaltenden Rahmen vor 

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Allianz der Wissenschaftsorganisationen haben nach gemeinsamen Beratungen am 26. März eine gemeinsame Erklärung zur Wissenschaftsfreiheit und Stärkung der Forschungsstandorte Deutschland und Europa verabschiedet. Dazu erklärt Bundesminister Cem Özdemir: "Gemeinsam mit den großen deutschen Wissenschaftsorganisationen geben wir heute ein vereintes Zeichen der Solidarität. (…) Forscherinnen und Forschern, die in ihrer Heimat nicht mehr die Möglichkeit sehen frei zu arbeiten, können und wollen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten im deutschen Wissenschaftssystem eine Perspektive bieten." Die Freiheit der Wissenschaft und der freie internationale Austausch seien entscheidende Grundlagen für den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt und außerdem Kern der liberalen Demokratie, so Özdemir. 

Im Namen der Allianz der Wissenschaftsorganisationen betont der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Professor Otmar D. Wiestler, dass die bevorstehenden Herausforderungen "nur durch intensive und freie weltweite Zusammenarbeit der besten Talente und der profiliertesten Institutionen aus Wissenschaft und Wirtschaft" bewältigt werden könnten. 

Bei der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern am 4. April werde das Thema USA ebenfalls auf der Tagesordnung stehen, berichtet der Wiarda-Blog von der Pressekonferenz zur BMBF-Erklärung. Seitens des Ministeriums gebe es derweil Bemühungen, Fragen zu Visa und Aufenthaltsrecht zu klären. Wiestler habe vor der Presse berichtet, die Wissenschaftsorganisationen hätten sich über bereits bestehende Rekrutierungsprogramme ausgetauscht. Diese könnten mit Unterstützung der neuen Bundesregierung gegebenenfalls verstärkt werden. 

Was große wissenschaftlichen Datenbanken angehe, wolle man Wiestler zufolge systematischer bearbeiten, welche davon unter US-amerikanischer Regie liefen und was eine mögliche Einschränkung des freien Zugangs bedeuten würde. Neben der allgemein bekannten "PubMed" gebe es weitere Beispiele. "PubMed" ist eine bislang frei zugängliche Datenbank für biomedizinische und lebenswissenschaftliche Literatur, die von der weltweit größten medizinischen Bibliothek, der U.S. National Library of Medicine (NLM) betrieben wird. Die NLM gehört zu den nationalen Gesundheitsinstituten (NIH), welche zuletzt von US-Präsident Donald Trump mit enormen Zuschusskürzungen von knapp vier Milliarden Euro konfrontiert wurden.

Wie reagieren europäische Nachbarländer?

Auch in andere Länder richten die Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen ihre Hoffnungen auf die US-Forschenden. Vergangene Woche haben dreizehn Regierungen und Wissenschaftsministerien in einem Brief an EU-Kommissarin Ekaterina Sahariewa um eine gemeinsame Rekrutierungsinitiative für Forschende gebeten, deren wissenschaftliche Arbeit durch Einmischung und Fördermittelkürzungen behindert wird. Zu den Unterzeichnenden gehört auch Deutschland.

Währenddessen engagieren sich zahlreiche europäische Hochschulen, indem sie Gelder zur Verfügung stellen, um US-Forschende anzuwerben, wie verschiedene internationale Medien berichten: darunter die französischen Universitäten von Toulouse, Aix-Marseille und Paris-Saclay. Auch die Freie Universität Brüssel in Belgien hat zwölf Stellen für internationale Postdoktoranden geöffnet, die besonders US-amerikanischen Forschenden zugutekommen sollen. Die Hochschule arbeitet laut dem Onlinemagazin "Science Business" mit der Université Libre de Bruxelles zusammen, um US-amerikanische Professorinnen und Professoren anzulocken.
 

aktualisiert am 27. März (Ergänzung Erklärung BMBF); erstmals veröffentlicht am 25. März

cpy/cva