Mikroskopische Aufnahme einer In-vitro-Fertilisation (IVF).
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Embryonenforschung
Neubewertung des Schutzes von Embryonen gefordert

Das Verbot der Forschung an frühen Embryonen soll fallen. Das fordern die Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften.

26.05.2021

Im Einklang mit internationalen Standards sollten deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an frühen Embryonen außerhalb des menschlichen Körpers forschen und damit hochrangige Forschungsziele verfolgen können, heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften. Eine Neubewertung des Embryonenschutzes sei notwendig. Für die Forschung nutzbar sein sollten überzählige Embryonen, die im Rahmen von Kinderwunschbehandlungen entstanden sind, aber nicht mehr benötigt würden. Ein eigens geschaffenes Gremium soll die jeweiligen Forschungsprojekte und ihre Ziele überprüfen.

Die Stellungnahme betont, nach internationaler wissenschaftlicher Auffassung gebe es eine Reihe wichtiger Fragen, die wissenschaftlich nur mithilfe der Embryonenforschung bearbeitet werden können. Dazu gehöre etwa die Behandlung von Volkskrankheiten wie Diabetes, Arthrose, Herzinfarkt oder Schlaganfall mithilfe von Stammzelllinien. Zudem gehe es etwa um die Klärung der frühen Entwicklungsbiologie des Menschen, die Verbesserung der Fortpflanzungsmedizin und die Identifizierung und Behandlung von Ursachen von Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten und erblichen Erkrankungen.

Rechtliche Hintergründe der Problematik

Die Embryonenforschung sorgt seit Jahrzehnten für intensive Debatten. Dabei spielen Forschungsinteressen ebenso eine Rolle wie ethische und rechtliche Überlegungen. Die Kirchen etwa stellen das Grundrecht auf den Schutz des Lebens von Anfang an in den Vordergrund.

Derzeit erlaube das 1990 verabschiedete Embryonenschutzgesetz (ESchG) zwar die Erzeugung menschlicher Embryonen in vitro zum Zweck der Fortpflanzung, heißt es in der Stellungnahme. Es verbiete aber jegliche Forschung an ihnen. In Ländern wie etwa Israel, Dänemark, Schweden, Großbritannien, den USA und Japan dagegen sei die Forschung an frühen menschlichen Embryonen, die nicht mehr für die Fortpflanzung benötigt werden, in engen Grenzen erlaubt. An überzähligen Embryonen dürfe dort bis 14 Tage nach der Befruchtung geforscht werden. International werde sogar eine Ausweitung auf 28 Tage diskutiert.

Bislang könnten deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu dieser Forschung wenig beitragen, heißt es in der Stellungnahme weiter. "Dreißig Jahre nach Inkrafttreten des ESchG ist es nach Auffassung der Akademien an der Zeit, den rechtlich zulässigen und ethisch vertretbaren Umgang mit frühen menschlichen Embryonen neu zu bewerten."

Empfehlungen für die ethische Forschung an Embryonen

Die Entscheidung darüber, ob überzählige Embryonen für die Forschung zur Verfügung gestellt werden, sollte aus Sicht der Wissenschaftsakademien bei dem Paar liegen, von dem sie stammen. Wenn die Familienplanung dieser Paare etwa abgeschlossen ist, könnten die übrigen Embryonen bislang nur verworfen oder für andere Paare gespendet werden. Eine dritte Option, die Embryonen für hochrangige Forschung zur Verfügung zu stellen, bestehe nicht.

Den Angaben zufolge sind in Deutschland zwischen 1997 und 2018 mehr als 319.000 Kinder nach einer In-vitro-Fertilisation (IVF) geboren worden. Bei dem Verfahren werden der Frau nach einer Hormongabe Eizellen entnommen und mit dem Samen des Mannes zusammengebracht. Zum Teil entstehen mehr Embryonen als der Frau übertragen werden. Dabei handele es sich laut der Stellungnahme der Wissenschaftsakademien um 0,1 bis 0,2 Millimeter große Zellkugeln.

"Die Forschung an frühen Embryonen in vitro, also außerhalb des menschlichen Körpers, die für Fortpflanzungszwecke erzeugt wurden, aber dafür keine Verwendung mehr finden (...), sollte im Einklang mit internationalen Standards erlaubt werden", empfiehlt die Stellungnahme. "Die Erlaubnis zur Forschung sollte dabei ausschließlich für hochrangige Forschungsziele gelten, die dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Rahmen der Grundlagenforschung und der Erweiterung medizinischer Kenntnisse bei der Entwicklung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren dienen."

Eine Bundesbehörde könne demnach zusammen mit einer Ethikkommission über die Zulässigkeit der Vorhaben entscheiden und ein Monitoring der Forschung mit Embryonen ermöglichen. Ähnlich sei das für die Stammzellforschung geregelt, bei der das Robert Koch-Institut und die Zentrale Ethikkommission für Stammzellforschung zusammenarbeiten.

Internationale 14-Tage-Regel soll fallen

Neben den deutschen Wissenschaftsakademien äußerte sich am Mittowoch auch die Internationale Gesellschaft für Stammzellforschung (ISSCR) zur Embryonenforschung. Die Autoren der elfköpfigen Arbeitsgruppe kommen aus den USA, Kanada, Großbritannien, Österreich, Japan und China. Sie plädierten dafür, aus menschlichen Stammzellen hergestellte Embryonen künftig länger als 14 Tage im Labor kultivieren zu dürfen.

In einer am Mittwoch veröffentlichten neuen Leitlinie der Gesellschaft heißt es, Forschende sollten künftig Embryonenmodelle so lange im Labor kultivieren dürfen, wie es einem Forschungszweck dient – allerdings nur nach individueller Prüfung. In der letzten Version der Leitlinie von 2016 galt das Überschreiten der 14-Tage-Regel noch als "unzulässige Forschungsaktivität". In vielen Rechtssystemen sei dies durch Gesetze oder Regeln auch weiterhin untersagt, ein pauschales Verbot könnte aber wichtige Forschungsausrichtungen behindern.

Vielmehr solle jedes Forschungsprojekt individuell begutachtet und bewertet werden – insbesondere bezüglich des Grads der Integration eines Embryonenmodells. Demnach soll etwa der Transfer eines aus menschlichen Stammzellen hergestellten Embryos in die Gebärmutter eines Menschen oder Tieres weiterhin verboten bleiben.

aktualisiert am 28.05.2021 um 09:22 uhr, zuerst veröffentlicht am 26.05.2021 um 12:10 Uhr

dpa/cpy/ckr