Mikroskopaufnahme von HeLa-Zellen mit blau angefärbtem Cytoskelett und rot angefärbter DNA im Zellkern.
mauritius images / Science Source

Menschliche Labor-Zelllinie
Rechtsstreit um Verwendung von HeLa-Zellen

Forscher weltweit arbeiten heute mit Zellen, die von der Krebspatientin Henrietta Lacks abstammen. Ihre Familie klagt gegen die "Ausbeutung".

14.10.2021

1951 haben Ärzte des Johns Hopkins Krankenhauses in Baltimore, USA, der Schwarzen Patientin Henrietta Lacks Tumorzellen aus ihrem Gebärmutterhals entnommen, bevor diese an Gebärmutterhalskrebs starb. Vergangene Woche, an ihrem 70. Todestag, haben die Nachkommen der Frau das Biotechnologieunternehmen Thermo Fisher Scientific verklagt, berichtete "Associated Press" (AP). Der Vorwurf: Das Unternehmen soll die Zellen verkauft haben, die ohne Wissen oder Zustimmung der Patientin als Teil eines "rassistisch ungerechten medizinischen Systems" entnommen wurden.

Ihre Kinder erfuhren erst in den 1970er Jahren von der Existenz und Verwendung von Lacks Zellen. Die heute notwendigen Einwilligungsverfahren gab es zum Zeitpunkt der Entnahme nicht, dennoch hätte das Unternehmen die Zellen nach Bekanntwerden der Ursprünge nicht weiter vermarkten dürfen, so die Klage.

Aus dem Tumorgewebe von Henrietta Lacks war die erste menschliche Zelllinie entstanden, die erfolgreich geklont wurde. Unter dem Namen HeLa-Zellen werden die unsterblichen Zellen bis heute endlos kultiviert und reproduziert. In der Forschung und modernen Medizin sind sie wegen ihrer Robustheit unter Laborbedingungen eine der wichtigsten Zelllinien überhaupt. Auch die jüngste wissenschaftliche Innovation, die Covid-19-Impfstoffe, wurde mit ihrer Hilfe entwickelt. Die außergewöhnliche Qualität der Zellen ermöglicht es Wissenschaftlern, Studien mit identischen Zellen zu reproduzieren.

Das Krankenhaus gab laut AP-Bericht an, nie an den Zellen verdient zu haben und nicht die Rechte an ihnen zu besitzen. Aber viele Unternehmen hätten Patente auf ihre Verwendung. Einem der Anwälte der Familie zufolge hätten die Firmen Milliarden mit dem menschlichen Material verdient. Die Kläger fordern von Thermo Fisher Scientific, den gesamten Gewinn aus der Vermarktung von He-La-Zellen an Lacks Nachkommen zu geben und die Zelllinie nicht weiter zu nutzen.

Wie ist die rechtliche Grundlage in Deutschland?

Sowohl in den USA als auch in Deutschland war es schon in den 1950er Jahren notwendig, die Einwilligung des Patienten zur Entnahme von Körpersubstanzen aus seinem Körper einzuholen. Auch durfte nicht über den Entnahmezweck (zum Beispiel therapeutische, diagnostische oder wissenschaftliche Gründe) getäuscht werden. Aber es gab damals keine Pflicht zur Patienteneinwilligung für die Weiterverwendung von Körpersubstanzen, die rechtmäßig entnommen worden waren und beispielsweise als Restmaterial normalerweise vernichtet würden, erklärte der Mannheimer Professor Jochen Taupitz im Gespräch mit "Forschung & Lehre". Zwar sei die rechtliche Grundlage zur Nutzung von Körpersubstanzen in Deutschland seit den 1990er Jahren deutlich klarer, spezielle Rechtsregeln gebe es aber bisher nicht, sagte der Experte für Medizin- und Gesundheitsrecht, der diesem Thema bereits 1991 seine Antrittsvorlesung an der Universität Mannheim gewidmet hatte.

Generell müssten Patienten in Deutschland nach heutigem Stand über die Verwendung ihres Körpermaterials aufgeklärt werden und dem zustimmen. "Das gilt inzwischen nicht nur für den Erstzweck, etwa bei der Entfernung eines Tumors, sondern auch für nachgelagerte Zwecke wie Forschung oder kommerzielle Nutzung, beispielsweise die Generierung einer Zelllinie aus Krebsgewebe", so Taupitz. Denn auch die Weiterverwendung betreffe das Persönlichkeitsrecht und gegebenenfalls das Datenschutzrecht. Entsprechende Informations- und Einwilligungsformulare trügen dem inzwischen Rechnung. "Spezielle Gesetze für Biobanken, in denen Körpermaterial für Forschungszwecke gesammelt werden, gibt es allerdings nicht, weswegen die allgemeinen Gesetze im Einzelfall nach wie vor in einem Spannungsfeld zwischen dem Recht der Wissenschaftsfreiheit und den Rechten des Patienten auszulegen sind." Die Nutzung des Namens eines Patienten oder einer Patientin, wie es bei den HeLa-Zellen (HeLa steht für Henrietta Lacks) der Fall ist, falle ebenfalls unter das Persönlichkeitsrecht.

Früher sei es auch in Deutschland häufiger vorgekommen, dass Mediziner ohne Einwilligung menschliches Material für die Forschung verwendet haben. "Heute gibt es solche Fälle selten. Aber selbst dann ist die Chance auf ein erhebliches Schmerzensgeld für betroffene Patienten in Deutschland relativ gering, selbst bei Verwendung des Namens", sagt Taupitz angesichts früherer ähnlicher Fälle. Schmerzensgeld gebe es nur bei wirklich gravierenden Persönlichkeitsverletzungen. Auch eine Beteiligung an etwaigen Gewinnen aus der Verwendung oder Patentierung der Zellen komme kaum in Betracht. "Die eigentliche Leistung haben die Forschenden erbracht, indem sie die Krebszellen im Labor kultiviert und am Leben erhalten haben." Das geistige Eigentum an der HeLa- oder ähnlichen Zelllinie liege daher bei den Forschenden, nicht bei den Erben der Patienten. Deshalb hätten Henrietta Lacks Erben in Deutschland nur geringe Chancen auf finanzielle Wiedergutmachung oder Beteiligung.

Präzedenzfall in den USA

In dem soweit bekannt bisher einzigen ähnlichen Fall in den USA hat 1990 der Supreme Court von Kalifornien im Prinzip dem Kläger recht gegeben – allerdings lediglich in Bezug auf das Recht auf vollständige Aufklärung, nicht in Bezug auf das Recht an seinen Zellen. Geklagt hatte der Patient John Moore, dem Ärzte des Universitätsklinikums der University of California (UCLA) 1976 im Zuge einer Leukämie-Behandlung die Milz und darin enthaltene Zellen entnahmen und diese ohne sein Wissen für die Forschung verwendeten. Entstanden ist daraus die sogenannte Mo-Zelllinie, die von der UCLA und dem behandelnden Arzt kommerziell vertrieben wurde. Moore einigte sich mit der Vertreiberfirma schließlich offenbar außergerichtlich, 2001 starb er an dem Krebs. Die damals erwartete Prozess-Lawine weiterer Betroffener blieb aus.

Wie das Gericht in den USA den Fall Henrietta Lacks beurteilen wird, bleibt abzuwarten. Die Rechtslage ist in den USA von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden. Der Anwalt von Lacks Erben hat dem Medienbericht zufolge bereits die Familien von Trayvon Martin, Michael Brown, Breonna Taylor und George Floyd vertreten – Schwarze Menschen, die in den vergangen Jahren durch rassistisch motivierte Polizeigewalt in den USA starben.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ehrte am Mittwoch Lacks mit einer Ehrenzeremonie und würdigte ihre Bedeutung für die Forschung. 50 Millionen Tonnen an HeLa-Zellen seien bislang produziert und erforscht worden, sagte WHO-Chefwissenschaftlerin Soumya Swaminathan. Mehr als 75.000 Studien basierten auf der Forschung an HeLa-Zellen. "Henrietta Lacks wurde ausgenutzt", sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus zu dem Umstand, dass ihr Zellen entnommen worden waren, ohne sie zu fragen.

An der Universität Bristol steht auf Initiative der Schwarzen Künstlerin Helen Wilson-Roe seit kurzem eine Bronze-Statue von Henrietta Lacks, berichtete der "Guardian" vergangene Woche. Sie trägt die Inschrift "More than a cell".

aktualisiert am 19.10.2021, zuerst veröffentlicht am 14.10.2021

ckr