Auktionshammer Gerichtsurteil
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Historikerverband erschüttert
Zwei Holocaust-Forscher in Polen angeklagt

Eine Geschichtsprofessorin und ein Geschichtsprofessor standen wegen einer Publikation vor Gericht. Der Historikerverband übt Kritik.

09.02.2021

Die renommierten Geschichtsprofessoren Barbara Engelking und Jan Grabowski müssen sich für Ungenauigkeiten in einer historischen Abhandlung entschuldigen. Das entschied am Dienstag ein Gericht in Polen. Eine von der Klägerin geforderte Entschädigung lehnte das Warschauer Bezirksgericht ab. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ein Anwalt der Angeklagten kündigte an, man wolle in Berufung gehen.

Geklagt hatte die Nichte eines früheren Ortsvorstehers aus Ostpolen. Die Frau sah in dem 2018 erschienenen Buch "Dalej jest noc" ("Und immer noch ist Nacht") zur Vernichtung von Jüdinnen und Juden in der polnischen Provinz unter deutscher Besatzung die Erinnerung an ihren Onkel diffamiert, weil es in dem Buch heiße, der Ortsvorsteher sei mitschuldig am Tod von mehr als 20 im Wald versteckten Juden gewesen, die den Deutschen übergeben worden waren. Außerdem habe er einer jüdischen Frau ihre Habe und einen Teil ihres Besitzes abgenommen, bevor er ihr geholfen habe. In einem Nachkriegsprozess sei er freigesprochen worden, nachdem diese jüdische Zeugin falsch und zu seinen Gunsten ausgesagt habe.

Belege für diese Behauptungen fehlten in dem Buch. Engelking hat sich in einer später nachgeschobenen Erklärung auf Aussagen gestützt, die die jüdische Zeugin 1996 für die Shoah Foundation gemacht hatte.

Kritik an "Angabe ungeauer Information"

Die Klägerin vertrat den Standpunkt, ihr Onkel habe dieser Jüdin das Leben gerettet und sich auch für andere Juden eingesetzt. Die 80-Jährige wurde von der rechtsnationalen Stiftung "Reduta. Festung des guten Namens – Liga gegen Verleumdung" unterstützt. Sie hatte eine öffentliche Entschuldigung der Autoren und umgerechnet 22.500 Euro Entschädigung gefordert.

Das Gericht entschied nun, die Engelking und Grabowski müssten sich bei der Frau dafür entschuldigen, dass ihr Recht auf das Gedenken an einen verstorbenen Verwandten durch die "Angabe ungenauer Informationen" verletzt worden sei. Auch solle der Absatz in dem Buch, der sich mit ihrem Onkel Edward Malinowski befasst, in kommenden Ausgaben geändert werden. Die Entschuldigung solle auf der Webseite des Zentrums zur Erforschung des Holocausts veröffentlicht werden.

Forscherin Engelking sagte, wer wissenschaftliche Bücher schreibe, habe auch das Recht, Fehler zu machen. Diese würden normalerweise durch Rezensionen geklärt oder in einer zweiten Ausgabe berichtigt, aber nicht vor Gericht verhandelt. Ihr Anwalt kündigte an, man werde gegen das Urteil in Berufung gehen, weil man mit einigen Formulierungen aus der verlangten Entschuldigung nicht einverstanden sei.

Historiker fürchten Einschüchterungspotenzial

Historiker und Holocaust-Experten weltweit hatten sich besorgt über das Verfahren geäußert. Sie befürchteten eine Einschüchterung von Forschenden. "Es hat ein enormes Einschüchterungspotenzial, wenn es zu solchen Gerichtsverhandlungen kommt", sagte die Vorsitzende des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD), Professorin Eva Schlotheuber. Gerade jüngere Forscherinnen und Forscher könnten abgeschreckt werden. Auch entstehe ein großer Schaden für die Gesellschaft, wenn "wissenschaftlich fundierte Forschungsergebnisse nicht im wissenschaftlichen oder öffentlichen Diskurs verhandelt werden, sondern vor Gericht."

Ähnlich sieht das der Jüdische Weltkongress (WJC): "Es ist einfach inakzeptabel, dass Historiker Angst haben müssen, glaubwürdige Aussagen von Holocaust-Überlebenden zu zitieren", sagte WJC-Präsident Ronald Lauder. Der Ausgang des Verfahrens verheiße nichts Gutes für die Zukunft der Geschichtsforschung in Polen und sende die falsche Botschaft an alle, die die Arbeit von Wissenschaftlern einengen wollten, so Lauder weiter.

Richterin Ewa Jonczyk erwiderte, das Urteil könne keine abschreckende Wirkung auf wissenschaftliche Untersuchungen haben. Das Gericht lege nicht das Schicksal der in dem Buch erwähnten Personen fest. Es gebe dort Beschreibungen heroischer Taten, aber auch negative Figuren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seien aber zu Sorgfalt und Redlichkeit verpflichtet.

aktualisiert: 09.02.2021, zuerst veröffentlicht: 08.02.2021

dpa, kas