Afghanistan
Angst um Leben und Bildung
Beobachter befürchten, dass alle Fortschritte, die Afghanistan hinsichtlich der Hochschulbildung in den letzten beiden Jahrzehnten machen konnte, mit dem Vormarsch der Taliban verloren sein könnten. Während die Taliban in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre große Teile Afghanistans kontrollierten, wurden Mädchen und jungen Frauen von Bildung ausgeschlossen. In den letzten Jahren hatten aber so viele junge Frauen auch in konservativen Regionen und entlegenen Gebieten Zugang zu Hochschulbildung, wie noch nie, so "University Word News".
Alle Hochschulen in den nach und nach eroberten Provinzen seien in den letzten Wochen geschlossen worden. Studierende wurden gebeten, zur ihrer Sicherheit zu Hause zu bleiben. Anfang der letzten Woche protestierten einige von ihnen laut "University World News" im damals als relativ sicher geltendem Kabul dafür, ihre Studien an Hochschulen dort weiterführen zu können. In Kabul waren viele Tausende Inlandsflüchtlinge angekommen, um Zuflucht zu suchen. Inzwischen ist auch Kabul eingenommen.
Die schwierige Lage der American University of Afghanistan
Afghanische Studierende und Lehrende sind in Gefahr. In der britischen Zeitschrift Guardian berichtet eine Studentin, wie sie und ihre Schwestern ihre Zeugnisse, Zertifikate und Ausweise versteckten, weil diese sie verdächtig erscheinen lassen würden. Die junge Frau habe im November gleich zwei Abschlüsse machen wollen, sowohl an der Universität von Kabul, als auch an der American University of Afghanistan (AUAF). Letztere wurde 2006 mit US-Geldern eröffnet und stellte die erste und einzige private, säkulare und koedukative Einrichtung des Landes dar. Zertifikate dieser Universität zu besitzen hält die Studentin für gefährlich.
Die AUAF ist inzwischen geschlossen und habe laut "Inside Higher Education" bereits am Montag nicht mehr auf Anfragen reagiert. Ihre Webseite ist ebenso vom Netz genommen, wie ihre Twitter und Facebook-Konten. Bereits 2014 waren die Universität und ihre Mitglieder Opfer von Angriffen geworden, die der Taliban zugeschrieben wurden. 2016 waren zwei ihrer Lehrenden entführt und erst drei Jahre später im Austausch gegen gefangene Taliban wieder freigelassen worden. Kurz darauf wurden Studierende Opfer von einem gewaltsamen Überfall auf den AUAF-Campus.
Laut der "New York Times" planten das US-Außenministerium und Kongressmitglieder aktuell, Studierende der AUAF dabei zu unterstützen, das Land zu verlassen, da sie als besonders gefährdet angesehen würden.
Evakuierung und Schutz für Forschende und Lehrende
In einem Interview mit "FranceInfo" berichtete Victoria Fontan, Vizepräsidentin für akademische Angelegenheiten der AUAF am Montag von ihrer Situation in Afghanistan und den Maßnahmen, die sie zum Schutz ihrer Studierenden und Lehrenden unternehmen musste: In einem Sicherheitscamp warte sie mit Kollegen und vier afghanischen Studierenden auf ihre Ausreise, die schon mehrfach gescheitert sei. Sie haben die Universitätsserver verbrennen können, ebenso wie alle Dokumente, die sie vor der eigenen Evakuierung noch mitnehmen konnte, wie die Listen der Lehrenden und Studierenden. Sie wollten keine Hinweise hinterlassen auf die Menschen, die ihnen und der AUAF geholfen haben, um diese nicht zu gefährden.
Dutzende US-amerikanische Universitäten haben sich schon dazu bereiterklärt, Positionen für afghanische Forschende zu schaffen, wie Robert Quinn von "Scholars at Risk" zu "Inside Higher Education" sagte. Sie hätten bereits 60 formelle Bewerbungen erhalten und die Namen von mehreren hundert Forschenden und Lehrenden, die so unterstützt werden könnten. Sie bildeten allerdings natürlich nur die Spitze des Eisbergs von all denen, die Hilfe benötigten.
cpy