Erderwärmung
Antarktisches Eis schmilzt laut Prognose ab 2100 rasant
Ist von Erderwärmung die Rede, stehen meist die Arktis und die dortige Eisschmelze im Mittelpunkt des Interesses, da die Folgen am Nordpol schneller sichtbar werden als in der Antarktis, welche sehr viel träger auf Temperaturveränderungen reagiert.
Zwei aktuelle Studien nehmen die südlichste Region der Erde mit dem größten globalen Landeisvorkommen in den Blick. Das internationale Forschungsteam um den Geowissenschaftler Professor Mathieu Morlighem vom Dartmouth College stellt das vom Weltklimarat im sechsten Sachstandbericht (IPCC AR6) noch für dieses Jahrhundert vorhergesagte schnelle Dahinschmelzen des Polareises in Frage.
Das Team um seine Forschungsprojekt-Kollegin am Dartmouth-College, Professorin für Mechanik Hélène Seroussi, geht davon aus, dass die antarktische Eisschmelze insbesondere nach der Jahrhundertwendeextrem rasant erfolgen könnte.
High-End-Szenario des Weltklimarats eher unwahrscheinlich
António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, hatte im Rahmen der Veröffentlichung des sechsten Sachstandberichts des Weltklimarats letztes Jahr betont, dass die Antarktis jährlich durchschnittlich 150 Milliarden Tonnen Eismasse verliere. Viele tiefliegende Gemeinden und ganze Länder könnten für immer verschwinden, so dass mit einem "Massenexodus ganzer Bevölkerungen" zu rechnen sei, sagte er.
In seiner jüngsten Bewertung habe der Weltklimarat (IPCC) ein High-End-Szenario hinzugefügt, welches mit bis zu 15 Metern (50 Fuß) einen doppelt so starken Anstieg des globalen mittleren Meeresspiegels bis 2100 voraussage als alle anderen Projektionen, heißt es in der Studie von Morlighem und seinem Team. Ursache dieses Extrem-Szenarios sei vor allem die befürchtete mechanische Instabilität mariner Eisklippen (Marine Ice Cliff Instability, MICI). Die Idee hinter MICI ist, dass das Zusammenbrechen von Schelfeis – die schwimmende Verlängerung der Eisdecke an Land – eine Art Domino-Effekt hervorrufen könnte und die Eisdecke daraufhin kollabieren würde. Das Abdriften dieses Eises ins Meer und das folgende Abtauen würden zu dem prognostizierten dramatischen Anstieg des Meeresspiegels führen.
Morlighem und sein Team kommen in der von "ScienceAdvances" veröffentlichten Studie durch die Simulations-Betrachtung diverser Eisschildmodelle zur Erkenntnis, dass zumindest der westantarktische Eisschild unter den wahrscheinlichen Eiskonfigurationen des 21. Jahrhunderts nicht anfällig für den Domino-Effekt MICI ist. Somit sei wenigstens das Worst-Case-Szenario des Weltklimarates weniger wahrscheinlich. "High-End-Projektionen sind wichtig für die Küstenplanung, und wir wollen, dass sie in Bezug auf die Physik genau sind. In diesem Fall wissen wir, dass diese extreme Projektion in diesem Jahrhundert unwahrscheinlich ist", resümiert Morlighem in einer Meldung des Dartmouth College.
"Wir berichten nicht, dass die Antarktis sicher ist und dass sich der Anstieg des Meeresspiegels nicht fortsetzen wird."
Professor Mathieu Morlighem, Geowissenschaftler
Die Studie betont aber, dass der sich beschleunigende Eisverlust in Grönland und der Antarktis dennoch verheerende Folgen habe. "Wir berichten nicht, dass die Antarktis sicher ist und dass sich der Anstieg des Meeresspiegels nicht fortsetzen wird – alle unsere Prognosen zeigen einen raschen Rückgang des Eisschildes", fährt der Geowissenschaftler fort.
Ab 2100 massiver Eisverlust in der Antarktis prognostiziert
Hélène Seroussi und ihr Forschungsteam aus knapp 50 Klimaforschenden haben mit der laut "earth.com" bahnbrechenden Studie "Entwicklung des antarktischen Eisschildes in den nächsten drei Jahrhunderten" einen Blick über das 21. Jahrhundert hinaus gewagt. Eine Haupterkenntnis bestehe darin, dass der Massenverlust des antarktischen Eisschildes und die damit verbundenen Risiken für Mensch und Tier nach 2100 rapide zunehmen würden. Die Simulationen führten bis zum Jahr 2300 zu einem zusätzlichen Anstieg des Meeresspiegel-Äquivalent (SLE) um bis zu 6,9 Meter. In den meisten westantarktischen Becken sei auf dieser Zeitskala ein weit verbreiteter Rückzug des Eises zu beobachten, der zu einem Zusammenbruch großer Teile der Westantarktis führe.
Eine weitere bedeutsame Schlussfolgerung aus der Studie bezieht sich auf präventive Umweltschutzmaßnahmen. Während die Eismassenverluste aus Szenarien mit niedrigen und hohen Emissionen im 21. Jahrhundert relativ ähnlich seien, nehme der Unterschied zwischen den Szenarien nach 2100 rapide zu. "Unsere Analyse unterstreicht den starken Anstieg des antarktischen Massenverlusts nach 2100 unter Szenarien mit hohen Emissionen", heißt es dazu in der Publikation. Diese Erkenntis unterstreiche die Bedeutung von Emissionsreduktionen für die langfristige Stabilität des antarktischen Eisschildes.
"Unsere Analyse unterstreicht den starken Anstieg des antarktischen Massenverlusts nach 2100 unter Szenarien mit hohen Emissionen."
Aus: "Entwicklung des antarktischen Eisschildes in den nächsten drei Jahrhunderten"
Wie der Studie zu entnehmen ist, beschäftigen sich Simulations-Modelle zur Entwicklung des antarktischen Eisschildes hauptsächlich mit dem 21. Jahrhundert, da sich danach mehrere verschiedene Instabilitätsmechanismen entwickeln und nahezu unvorhersehbar zusammenwirken könnten. In der Studie sei das Verhalten des antarktischen Eisschildes bis zum Jahr 2300 deshalb mit einem Ensemble von 16 verschiedenen Eisflussmodellen unter Hinzunahme diverser Prognosen aus den Bereichen Klima, Atmosphäre und Ozeanentwicklung untersucht worden. Auf Zeitskalen von mehreren Jahrhunderten werde die Unsicherheit bezüglich des tatsächlichen Eismassenverlusts dominiert von der Wahl des Eisflussmodells gefolgt von der ausgewählten Klimamodellsimulation.
Hintergrund "Weltklimarat" & Schwerpunkt "Klimawandel"
Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) – meist Weltklimarat genannt – ist eine Institution der Vereinten Nationen. Im Auftrag des Weltklimarats tragen zahlreiche Fachleute weltweit regelmäßig den aktuellen Kenntnisstand zum Klimawandel zusammen und bewerten ihn aus wissenschaftlicher Sicht. Der IPCC bietet Grundlagen für wissenschaftsbasierte politische Entscheidungen. Er zeigt unterschiedliche Handlungsoptionen und deren Implikationen auf, ohne jedoch konkrete Lösungswege vorzuschlagen oder Handlungsempfehlungen zu geben.
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cva