Autoritarismus-Studie
Auch im Westen wachsen Ausländer-Feindlichkeit und Antisemitismus
Die Ausländerfeindlichkeit in Westdeutschland hat deutlich zugenommen und die Zufriedenheit mit der gelebten Demokratie ist in Ostdeutschland so gering wie zuletzt 2006. Das sind zentrale Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus Studie 2024, die Professor Oliver Decker und Professor Elmar Brähler vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig gestern vorstellten. Seit 2002 erfasst die repräsentative Umfrage die Zustimmung zu ausländerfeindlichen und chauvinistischen Aussagen. Während diese im Westen bisher zurückging, habe sich in diesem Jahr "eine deutliche atmosphärische Verschiebung" gezeigt, so Studienleiter Decker. Entsprechend lautet der Titel der diesjährigen Studie: "Vereint im Ressentiment".
Fast jeder dritte hat Angst vor "Überfremdung"
Im Westen ist der Studie zufolge der Anteil von Bürgerinnen und Bürgern mit einem geschlossenen ausländerfeindlichen Weltbild von 12,6 Prozent im Jahr 2022 auf 19,3 Prozent gestiegen. Ein solches Weltbild würden mit 61 Prozent vor allem Wählerinnen und Wähler der AfD aufweisen. Der Aussage, dass Deutschland durch "die vielen Ausländer überfremdet" sei, stimmten inzwischen über 30 Prozent der Westdeutschen zu – vor zwei Jahren seien es noch knapp 23 Prozent gewesen. Diese Entwicklung dürfe allerdings nicht überraschen, sagte Sozialpsychologe Decker gegenüber dem Leipziger Universitätsmagazin. "Die Ausländerfeindlichkeit und die Ablehnung von Migration sind zu einem zentralen Element der politischen Auseinandersetzung geworden." Auch demokratische Parteien würden dieses Motiv mittlerweile aufgreifen und bedienen.
Insgesamt nehme die Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland ab. Der Demokratie als Idee stimmten mit 90,4 Prozent knapp vier Prozent weniger zu als noch 2022. Das sei "der niedrigste Wert, den wir seit 2014 gemessen haben", so Decker im Interview. Die "Zufriedenheit mit dem Alltagserleben der Demokratie" habe vor allem in Ostdeutschland nachgelassen. Hier seien nur noch knapp 30 Prozent mit der deutschen Staatsform zufrieden – 2022 waren es noch deutlich über die Hälfte der ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger. In Westdeutschland sei die Zufriedenheit im gleichen Zeitraum von knapp 58 Prozent auf 46 Prozent gesunken. Erstmals konnten die Studienteilnehmenden sich in Freitextfeldern zur Demokratie äußern. Die Antworten drückten vielfach Politikverdrossenheit und mangende Partizipationsmöglichkeiten aus.
Antisemitismus in linken und rechten Milieus
Unter dem Eindruck des folgenreichen Angriffs der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 habe sich die Studie in diesem Jahr schwerpunktmäßig mit Antisemitismus beschäftigt, sagte Decker dem Leipziger Universitätsmagazin. Man sei von der Vermutung ausgegangen, dass antisemitische Vorurteile in der Bevölkerung unterschätzt würden. Obwohl nur ein leichter Anstieg im Westen zu verzeichnen sei, müsse man doch von einer Trendumkehr sprechen. Durch eine erstmalige Untersuchung von postkolonialem und antizionistischem Antisemitismus habe man außerdem antisemitische Einstellungen in linken Milieus erfassen können. "Der Antisemitismus funktioniert als Brückenideologie, er verbindet linke und rechte Milieus", erläuterte Co-Herausgeber Dr. Johannes Kiess die Befunde.
Auch andere antimoderne Ressentiments haben der Studie zufolge zugenommen: So hätten sich 2022 nur ein Viertel bis ein Drittel der Westdeutschen abwertend über Musliminnen und Muslime geäußert – inzwischen sei es knapp die Hälfte. Im Osten habe sich das Bild dahingehend nicht geändert. Insgesamt verdeutliche die Studie die Zukunftsunsicherheit der Menschen. "Obwohl die Demokratie skeptisch betrachtet wird, ist unklar, ob der Wunsch nach autoritären oder extrem-rechten Lösungen länger andauert", erläuterte Decker. "Es zeigt sich aber eine Neigung zum Abschied von der Realität."
hes