Richterhammer
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Serie: 25 Jahre Forschung & Lehre
Bologna vor Gericht

Wie es wohl wäre, wenn die Verantwortlichen für die Bologna-Reform wegen ihrer Entscheidung vor Gericht stünden? Das Gedankenspiel eines Kritikers.

Von Dieter Lenzen 31.03.2019

Neulich habe ich gelesen, dass der zurzeit populäre österreichische Philosoph Robert Pfaller die Frage gestellt habe, wann endlich die für den Bologna-Prozess Verantwortlichen vor Gericht gestellt würden – ein cooler Gedanke. Man stelle sich vor: Frau Ministerin a.D. B. vor einem Strafgericht. Gerichtsstand: Berlin oder Hannover.

Nein besser: Bukarest oder Moskau, da ist man nicht so zimperlich. Außerdem hatte man dort nach der Wende gehofft, das kontinentaleuropäische Bildungsdenken würde wieder in die Unis einkehren. Aber die Deutschen hatten ihnen nur die kalte Schulter gezeigt und sie in Richtung USA durchreisen lassen. Dort gäbe es also ein Motiv. Enttäuschung oder so etwas. In Moskau vielleicht doch nicht, für Putin wäre humane Bildung vielleicht eher eine Karrierebremse gewesen. Naja.

Bleiben wir in Deutschland. Der Staatsanwalt jedenfalls: Anklage wegen Untreue und Landesverrat. Ich bin kein Jurist, aber ich fühle mich veruntreut, oder gibt es das nicht? Nein – okay, nicht ich, sondern eine Sache wurde veruntreut? Oder wie war das mit dem Schwur, dass man den Schaden vom deutschen Volke abwenden wolle? Landesverrat als Kulturverrat? Schwache Grundlage. Etwas veruntreuen, was es gar nicht mehr gab?

Frau B. hat sich Gerhard Schröder als Anwalt genommen. Der führt zu ihrer Verteidigung aus, dass Bologna zur Agenda 2010 gehört habe wegen der Krise. B. habe sich das nicht ausgedacht, sondern Dr. K., der damals Chef von McKinsey Deutschland gewesen sei. Das habe viel Geld gekostet. Frau B. habe ihm halt vertraut. Schließlich habe der etwas von Uni verstanden. Er sei nämlich vorher Assistent in einem Max-Planck-Institut gewesen.

Staatsanwalt: Ob sie denn nicht gewusst habe, dass das BAMA-Zeugs aus England gekommen sei, also von einer ausländischen Macht, die sich jetzt aus dem Staub gemacht habe? Nee, habe sie nicht. Ihre Beamten seien zwar oft nach London gefahren zu einer gewissen Mrs. L.W., die auch für eine europäische Univereinigung als Agentin gearbeitet habe. Doch ja, sie habe sich damals schon über die hohen Reisekosten gewundert. Dort sei wohl die Idee mit dem europäischen Hochschulraum ausgedacht worden.

Bolognareform: Verlust allgemeiner Bildung?

Warum man dann aber nicht das kontinentaleuropäische Konzept vom Festland, Rom, Paris, Berlin, Prag oder so als Vorbild genommen habe? – das dürfe sie nicht sagen, weil sie sonst ihr Leben gefährde.
Die Journalisten im Gerichtssaal funken "Sensation" an ihre Organe, ehemalige Bundesministerin – Agentin westlicher Geheimdienste?

Schröder beantragt Ausschluss der Öffentlichkeit. Gericht lehnt ab, wegen öffentlichen Interesses.
Schröder beantragt die Vernehmung einer Zeugin, der damaligen Referentin von Frau B. Sie soll bestätigen, dass Dr. K. der Angeklagten gesagt habe, wenn sie das nicht mache mit BAMA, dann würden die Wirtschaft und der Staat noch mehr Schaden nehmen. Sechs Semester schnuppern seien eh genug, habe der damals gesagt, das reiche auch für einen Kanzler.

Referentin tritt in den Zeugenstand. Erinnerungslücke. Aber sie erinnere sich an den Besuch eines Professors, der sich ziemlich aufgeregt habe. Einer von diesen Faulpelzen, die lieber schwadronieren statt, zack zack, solide Grundlagen zu vermitteln. An den Namen erinnere sie sich nicht, aber der sei wohl irgendwie aufgestiegen. Sie hätte ihm aber keinen Kaffee angeboten, damit er schnell wieder ginge.
Schröder verzieht triumphierend das Gericht.

Sechs Tage Beweisaufnahme, alle waren als Zeugen geladen, so eine Art Klassentreffen der Langzeitstudenten mit fünfzehn Semestern aufwärts wegen des Semestertickets. Dann das Übliche. Freispruch gegen Zahlung von 2.000 Euro – mehr war für den Staatsanwalt nicht drin. Freispruch, aber Eröffnung einer Schadensersatzklagemöglichkeit. Wer fixiert den Verlust allgemeiner Bildung? Wert: hundert Millionen, eine Milliarde oder? – die Angeklagte habe eh kein Geld, meint ein Journalist. Die NSA interessiert sich auch nicht mehr für sie und den heutigen Kurzzeitstudenten mit sechs Semestern ist sowieso alles egal.

Nassgeschwitzt erwacht: "Kulturverrat" – Träume sind Schäume. Ich werde mir den Pfaller nochmal rausholen, denke ich, da gab‘s doch ein Kapitel über "Pseudopolitik".