Das Foto zeigt den Physiker Werner Heisenberg an einer Tafel.
dpa Report

Wissenschaftsgeschichte
"Club der Nobelpreisträger"

Das Berliner "Harnack-Haus" war vor dem Zweiten Weltkrieg Treffpunkt großer Wissenschaftler. Auch danach wurde es immer wieder genutzt.

06.05.2018

Am 12. Juli 1944 spricht der Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg im "Forschungscampus" Harnack-Haus in Berlin-Dahlem über "die Atomenergie in den Sternen" und über ihre "technische Ausnutzung" auf der Erde, mitten im Krieg. An der anschließenden Diskussion beteiligt sich auch der Wehrmachtsoffizier Ludwig Beck aus dem Bendler-Block, der eine Woche später als Mitverschwörer des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 erschossen wird.

Das Ereignis zeigt beispielhaft die enge Verbindung von Wissenschaft und Politik, von Geist und Macht, wie sie vor allem nach Hitlers Machtantritt 1933 für die im Harnack-Haus und dem angeschlossenen Forschungscampus angesiedelte renommierte Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (spätere Max-Planck-Gesellschaft) prägend werden sollte. Das spielt auch in der von Michael Kröher spannend aufgeschriebenen wechselvollen Geschichte des "Clubs der Nobelpreisträger" (Albrecht Knaus Verlag) eine große Rolle.

Das Ziel einer "Uranmaschine"

Ende 1941 hatte Hitlers Wehrmacht von Heisenberg einen Bericht zum Stand des Uranprojekts angefordert. Er leitete damals Experimente nach der vorangegangenen Entdeckung der Kernspaltung (durch Otto Hahn, Fritz Straßmann und mit Mithilfe von Lise Meitner) am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie. Ziel ist eine "Uranmaschine", also ein Atomreaktor. 1942 kommen die Militärs aber zu dem Schluss, dass diese Atomforschung auf absehbare Zeit offenbar nichts zum Kriegsverlauf beitragen kann, auch nicht beim Feind, wie sie (irrtümlicherweise) annehmen. Rüstungsminister Albert Speer berichtet Hitler darüber und der will von dieser "Atomsache" auch nichts mehr wissen. Er favorisiert vielmehr die V2-Rakete Wernher von Brauns, der in Peenemünde experimentiert.

Ganz anders der Kriegsgegner Amerika (USA), der Milliarden in eine andere erhoffte "Superwaffe" auf Basis der Kernspaltung setzt und fieberhaft Forscher am "Manhattan"-Projekt arbeiten lässt, darunter Heisenbergs ehemaligen Doktoranden Edward Teller. Der schon früh in die USA emigrierte Albert Einstein, der den Forscherdrang seiner deutschen Kollegen nur zu gut kannte, warnte dennoch vor der Entwicklung einer "deutschen Superbombe". Und in der Tat leitet Heisenberg noch 1943 weiter die Experimente, die zu einer "Uranmaschine" führen sollen, zu einem Atomreaktor.

Dabei hatte Heisenberg selbst, wie in dem Buch dokumentiert wird, nach einem neuerlichen schweren Bombenangriff auf Berlin, von dem auch die wissenschaftlichen Gebäude und Einrichtungen in Dahlem nicht verschont blieben, das "Ende jenes Götterdämmerungsmythos" prophezeit, des «Alles oder Nichts», dem die Deutschen immer wieder verfielen.

Spagat zwischen Geist und Macht

Heisenberg gehörte dann auch nach dem Krieg in der Bundesrepublik zu den "Göttinger 18" (Atomforschern), die sich 1957 gegen die damals diskutierte Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen wandten. Die Ambivalenz der Wissenschaftler in der NS-Zeit - einerseits warnen, andererseits weiterforschen - kennzeichnet den Spagat des "Clubs der Nobelpreisträger" zwischen Geist und Macht, Distanz und Anbiederung zu den NS-Machthabern. So nennt der Buchautor die "zumindest in den ersten Jahren schwachen Reaktionen auf die Judenverfolgung" ein "trauriges Kapitel". Jahrelang habe die Forschergemeinde der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft "mehr oder weniger achselzuckend zugesehen, wie ihre als jüdisch klassifizierten Kollegen - 126 an der Zahl! - von den Nationalsozialisten systematisch ausgegrenzt, entrechtet und enteignet wurden".

Also "Durchmogeln, Wegducken, Mitmachen, Aushalten", wie auch ein Kapitel des Buches überschrieben ist. Über dem Kamin im Clubzimmer des Harnack-Hauses hängt längst ein Ölgemälde des "Führers", die NS-Vertreter gewinnen immer mehr Einfluss. Die Forschung soll sich jetzt am "volkswirtschaftlichen oder kriegstechnischen Nutzen" orientieren. Am Institut für Anthropologie (das Gebäude gehört heute zum Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU) wird gegen Ende der Nazizeit sogar "mit Körperteilen und Präparaten aus den Konzentrationslagern experimentiert", wie es im Buch heißt. KZ-Arzt Josef Mengele schickte Leichenteile von KZ-Häftlingen aus Auschwitz nach Dahlem, später wird daher auch von einer "Dahlem-Auschwitz-Connection" gesprochen.

Als ein Gegenbeispiel nennt der Autor die gemeinsame Aktion Berliner Forscher verschiedener Fachrichtungen für eine illegale Ausreise Lise Meitners, die sich dadurch im Juli 1938 in Schweden in Sicherheit bringen konnte. Noch drei Monate zuvor hatte sie im Harnack-Haus den 80. Geburtstag von Max Planck gefeiert. Albert Einstein hatte schon 1932 Deutschland und damit auch sein geliebtes Sommerhäuschen am Schwielowsee in Caputh verlassen.

Nach der Kapitulation

Nach der deutschen Kapitulation werden im Harnack-Haus "Kulturschaffende" vom sowjetischen Stadtkommandanten empfangen. Später richten sich die amerikanischen Besatzungssoldaten im Harnack-Haus einen "Bavarian Room" und eine "Marine Bar" ein. 1946 quartiert sich der Dramatiker Carl Zuckmayer ("Des Teufels General") im Harnack-Haus ein. Zur Potsdamer Konferenz der alliierten Siegermächte sind zeitweise US-Präsident Harry S. Truman und General Dwight D. Eisenhower, Trumans Nachfolger im Präsidentenamt, zu Gast. 1956 findet in Dahlem der Filmball zur Berlinale statt. Die neugegründete Freie Universität Berlin (FU) baut ihren Campus in der Nachbarschaft aus. Von den Studentenunruhen 1968 bleibt auch das Harnack-Haus nicht verschont, als Studenten vor dem Gebäude gegen den Vietnamkrieg demonstrieren.

Nach dem Fall der Mauer 1989 wird es stiller im Harnack-Haus. 1994 ziehen die alliierten Besatzer aus Berlin ab. Das inzwischen aufwendig renovierte Harnack-Haus mit einer "Einstein-Lounge" ist wieder Tagungszentrum und Gästehaus, in dem auch eine historische Dauerausstellung gezeigt wird.

dpa