Das Foto zeigt ein Nashorngraffiti an einer Wand in Kapstadt, Südafrika.
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Populismus
Das "Unternehmen Nashorn"

Was haben Populisten und Nashörner gemeinsam? Nichts? Dann sollten Sie mal genauer hinschauen.

Von Felix Grigat 26.01.2019

Machen wir ein Experiment: Was geschieht wohl, wenn in einer Gesellschaft plötzlich und überall Nashörner auftauchen? Eugène Ionesco hat es in seinem Stück "Die Nashörner" vorgeführt: Zuerst hört der Spaß auf und die Dinge werden ernst. Galoppiert das erste laut schnaubend durch die Straßen, glaubt man noch an eine Täuschung: "...Nashörner, hierzulande, hat man noch nie gesehen...Ihr Nashorn ist ein Mythos." Nach und nach aber steckt die Rhinozeritis die ganze Gesellschaft an: Menschen auf der Straße, Kollegen in Büros, die Nachbarn – alle verwandeln sich in eine Herde tobender, mörderischer gepanzerter Rösser. Geschäfte werden "Wegen Verwandlung geschlossen" - das "Unternehmen Nashorn" beherrscht alles.

Ionesco zeigt zugleich die ganze Palette konformistischer Reaktionen: "Ihnen fehlt der Humor. Man muss die Dinge leicht nehmen. Mit mehr Abstand." Oder: "Eben noch haben Sie uns vorgeworfen, dass wir etwas sehen, was nicht da ist." "Eben noch, ja. Aber jetzt ist das, was nicht da ist, eine Herausforderung geworden." 

Nashörner, so erfahren wir, sind stets in Eile, sind Gefangene des Bedarfs. Sie sind staubaufwirbelnde, sich häufig im Kreis drehende und sprachlose Kreaturen. Über ein "Üm, Üm, brrr..." kommen sie nicht hinaus. Ihnen ist unverständlich, dass etwas eine Daseinsberechtigung haben könnte, das keinen Nutzen hat. Zweckvoll und nützlich muss alles sein. Sie sind wie die Populisten der Gegenwart anti-intellektuell, antipolitisch und polarisierend. Ihr Maßstab ist der "gesunde Menschenverstand". Bei Ionescos sind sie stets darauf aus, "am Ball zu bleiben". Eine Figur bringt es mit ihren letzten menschlichen Worten  auf den Punkt: "Man muss mit der Zeit gehen!" Alle Welt  ist "mit von der Partie", alle Welt will Anteil an der Macht. Was zählt ist der Durchschnitt: "Der Mensch...sprechen Sie dieses Wort nicht mehr aus! Das Humane ist überholt! Sie sind ein alter lächerlicher Schwärmer...Klischees! Sie reden Unsinn." Es sei grundsätzlich besser, "eine Sache von innen als von außen zu kritisieren". Also: "Warum sollte ich nicht ein Nashorn sein? Ich liebe Veränderungen."

Eine Posse? Nein, Nashörner sind keinesfalls liebenswürdig und zahm, es sind Raubtiere. "Die Nashörner" ist ein Stück gegen den Konformismus, über den Totalitarismus, die Macht und den Populismus. Allein der gewöhnliche, aber freie und verantwortungsbewusste Protagonist Behringer entgeht der Verwandlung. Das Normale wird zum Heldentum. Für sich stehen und Andersdenken wird immer absurder. Während die Nashörner zunehmend schöner aussehen, wird Behringer als letzter Mensch in der Nashornherde schließlich zum Ungeheuer. Menschen wie er bleiben einfach am Platz. Sie bleiben „Mensch“ und wollen nicht "Neuer Mensch" werden. Sie wenden sich gegen "Zukunftsglauben als Aberglauben" (Bondy), gegen die einfachen populistischen Lösungen. Die Nashornkrankheit droht allen, so sagt es Ionèsco, die Sinn und Geschmack an der Einsamkeit, am Selbst- und Andersdenken verloren haben, allen, die sich mit dem populistischen Virus infiziert haben.

Vor sechzig Jahren, 1959, wurde das Stück uraufgeführt. Es ist ungebrochen aktuell.