Iwan D'Aprile
privat

Theodor Fontane
Das weite Feld

Zum 200. Geburtstag von Theodor Fontane spricht Iwan D'Aprile über das umfassende Werk des deutschen Schriftstellers aus dem 19. Jahrhundert.

Von Friederike Invernizzi 30.12.2019

Forschung & Lehre: Herr Professor D’Aprile, im "Stechlin", einer der bekanntesten Romane Fontanes, wird der alte Major von Stechlin direkt zu Beginn folgendermaßen beschrieben: "Sein schönster Zug war eine tiefe, so recht aus dem Herzen kommende Humanität, und Dünkel und Überheblichkeit waren so ziemlich die einzigen Dinge, die ihn empörten. Er hörte gern eine freie Meinung, je drastischer und extremer, desto besser. … Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilig". War Fontane in dieser Selbstbeschreibung einer eigenen Zeit als kritischer Durchdringer und Denker weit voraus?

Iwan D'Aprile: Abgesehen davon, dass man die Aussagen von Romanfiguren natürlich nicht unmittelbar als Stellungnahmen ihres Autors verstehen kann, ist dies eine jener Wendungen, an denen aus dem Dauergerede der rund 100 Protagonisten des "Stechlin" Fontanes Modernität aufblitzt – ähnlich wie in den "Angstapparaten aus Kalkül" in "Effi Briest" – und bei denen man staunt, es mit einem Roman aus dem 19. Jahrhundert zu tun zu haben. Innerhalb des Romanzusammenhangs, der ja die Ungleichzeitigkeiten innerhalb des globalen Kommunikationszusammenhangs einer sich rasant wandelnden und zunehmend vernetzten Welt, der auch die "letzten Waldwinkel der Provinz" erfasst hat, thematisiert, steht sie für eine mögliche Haltung gegenüber den Umbrüchen der Zeit: vor allem im Kontrast zu Dubslavs Schwester Adelheid und den Stiftsdamen im Kloster Wutz, die sich als Hüter der vermeintlich absoluten Wahrheiten der Orthodoxie gegen alle Veränderungen und Nachrichten "von draußen" abschotten, aber auch gegenüber der Großmannssucht des neuen Kaiserreichs, die sich nicht zuletzt in von Fontane als literarisches Material besonders geschätzten Reklameslogans wie "Allen voraus" oder "Es ist erreicht", mit denen der kaiserliche Hoffriseur Haby seine Bartpflegeprodukte anpries, äußert. Deshalb legt Fontane den Satz bewusst einer Figur in den Mund, die nicht nur alt ist, sondern auch zu einem Stand gehört, der "schon vor den Hohenzollern da war". Liest man den "Stechlin" als vielstimmiges Epochenporträt der Jahrhundertschwelle, als "Zeitbild" wie Fontane es ausdrückte, so verdichten sich in solcher Figurenrede poetologischer Selbstkommentar (keine der Einzelstimmen des Romans äußert unanfechtbare Wahrheiten), Selbstcharakterisierung der Figur (trotz meines Alters und Standes bin ich offen gegenüber Veränderungen) und Aussage innerhalb der Romanhandlung. Fontane hat solche aufscheinenden Verdichtungspunkte an der Oberfläche des Dauergeplauders und vermeintlichen "small talks" sehr bewusst gesetzt. Diese kunstvollen und scheinbar beiläufigen Korrespondenzen zwischen den verschiedenen Bedeutungsebenen gehören sicher zu den Stärken des Romanautors Fontanes.

F&L: Welche Bedeutung kann das umfassende Werk Fontanes in der heutigen Zeit angesichts von wachsender Radikalisierung und globalen Nationalismus haben?

Iwan D'Aprile: Fontanes Werke wurden unmittelbar nach seinem Tod, als der globale Nationalismus auf die Katastrophe des Ersten Weltkriegs zusteuerte, als Gegengift gelesen. Das ist der Tenor etwa bei Thomas Mann, Max Liebermann und vielen anderen. Anlässlich der feierlichen Einweihung des – bezeichnenderweise von einer Privatinitiative gestifteten – Berliner Fontanedenkmals im Jahr 1910 nutzte der Literatur- und Sprachwissenschaftler Konrad Burdach die Eröffnungsrede, um das Denkmal als Zeichen transnationaler Kultur gegen die inzwischen unübersehbaren internationalen militärisch-imperialistischen Spannungen und den chauvinistischen Nationalismus des Kaiserreichs zu positionieren, indem er darauf hinwies, dass Fontanes Werk sein Bestes "der Mischung deutscher, englischer und französischer Bildung" danke. Versöhnung und Dialogizität über die verhärteten Fronten hinaus und Betrachtung der Dinge von beiden Seiten der Frontlinie aus sind Merkmale, die bis heute etwa von Alexander Kluge oder dem Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier in seiner Festrede zum 200. Geburtstag an Fontanes Romanen hervorgehoben werden. Darüber hinaus finde ich gerade die Widersprüchlichkeit und die biographischen Brüche bei Fontane interessant und aktuell – er bewegte sich in einem Zeitalter rasanter Umbrüche und Veränderungen, oft in mehr oder weniger prekären Verhältnissen, mit sehr wechselnden Erfolgen und auch fragwürdigen Kompromissen oder opportunistischen Entscheidungen. Fontane war auch ein unermüdlicher Projektemacher, der sich diesen Veränderungen bis ins hohe Alter als ein lebenslang Lernender immer wieder neugierig gestellt hat.

Theodor Fontane: Lebenslauf und Werke

Theodor Fontane wurde am 30.12.1819 in Neuruppin geboren. Er stammte aus einer in Preußen heimisch gewordenen Hugenottenfamilie. Sein Vater war Apotheker. Fontane besuchte das Gymnasium Neuruppin (1832) und die Gewerbeschule Berlin (1833). Von 1836 bis 1840 absolvierte er eine Apothekerlehre in Berlin.

Fontane gab 1849 seinen Apothekerberuf auf; er arbeitete dann mit Unterbrechung bis 1859 als freier Mitarbeiter im Büro eines Ministeriums. Von 1855 bis 1859 lebte er in England als Berichterstatter. Von 1860 bis 1870 arbeitete er als Redakteur der Berliner "Kreuz-Zeitung". Von 1870 bis 1889 war er Theaterkritiker bei der "Vossischen Zeitung", 1876 Sekretär der Akademie der Künste Berlin und freier Schriftsteller. Fontane starb am 20.9.1898 in Berlin.

Auswahl wichtiger Werke Fontanes:

  • 1878 Vor dem Sturm
  • 1882 L'Adultera
  • 1885 Unterm Birnbaum
  • 1888 Irrungen, Wirrungen
  • 1892 Frau Jenny Treibel
  • 1894 Meine Kinderjahre (Autobiographie)
  • 1895 Effi Briest
  • 1899 Der Stechlin

F&L: Theodor Fontane hat Zeit seines Lebens sehr unter seiner bis ins späte Alter dauernden Erfolglosigkeit als Schriftsteller gelitten. "Ich würde, wenn ich es könnte, das Schreiben morgen aufgeben" formulierte er seiner Frau Emilie gegenüber…heute ist er einer der meistgelesenen Romanautoren des 19. Jahrhunderts. Wie ist es dazu gekommen?

Iwan D'Aprile: Fontanes langer und "verspäteter" Weg zum Romancier ist oft beschrieben worden. Nachdem er im Alter von Ende 50 als Romanautor debütiert hat, stellte sich eine nennenswerte überregionale Anerkennung erst nach "Irrungen, Wirrungen" in den späten 1880er Jahren beziehungsweise zum 70. Geburtstag ein. Ein Verkaufserfolg zu Lebzeiten war – wenn auch nur in Maßen – dann erst "Effi Briest" drei Jahre vor seinem Tod und nachdem er jahrelang keinen Abnehmer für das Manuskript gefunden hatte. Dass er heute als Klassiker des Realismus gilt, hat sicher mit der Wertschätzung des alten Fontane durch die neue Literatengeneration zu tun: noch zu seinen Lebzeiten wurde er zum literarischen Vorbild für Autoren wie Gerhart Hauptmann, die Brüder Thomas und Heinrich Mann oder Kritiker wie Alfred Kerr – alle mehr als 40 jünger als Fontane haben sie das Zukunftspotenzial seines Werks erkannt. Ein wirkliches Massenpublikum erreichten Fontanes Romane erst, nachdem der Verleger Samuel Fischer Fontanes Kindern zehn Jahre nach dessen Tod die Rechte an den Romanen abkaufte und sie in seiner "Bibliothek zeitgenössischer Romane" vertrieb – nun erzielten sie Auflagenzahlen von mehr als 100.000 Exemplaren. Bei alledem ist aber nicht zu vergessen, dass Fontane vor seinen Romanen schon unentwegt geschrieben hat: als Revolutionsreporter für demokratische Zeitungen und Wahlmann für das Frankfurter Paulskirchenparlament, als Auslandskorrespondent in der führenden Weltmetropole London und Kriegshistoriker für die preußische Regierung, als passionierter Tourist und Eisenbahnreisender, als Theater- und Kunstkritiker in der neuen Reichshauptstadt Berlin. Auch vor den Romanen entstehen mit Balladen oder Reiseberichten (von "Jenseits des Tweed" bis zu den "Wanderungen durch die Mark Brandenburg") schon Texte, die heute noch rezipiert werden. Dass Fontanes Romane bis heute als "realistische" literarische Porträts des Kaiserreichs gelesen werden können, hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass in sie die Lebenserfahrung eines ganzen Journalisten- und Literatenlebens am Puls der Zeit eingegangen ist.

F&L:
In einem Brief vom September 1843 eines jungen Apothekerkollegen wird der junge Fontane als zwar liebenswürdig, aber ohne inneren Halt und Grundsätze beschrieben, mit "Wissenschaft habe er gar nichts am Hut"… war Fontane zunächst ein oberflächlicher Autor, der nicht am tiefen Durchdringen des Stoffes interessiert war?

Iwan D'Aprile: Fontane hat zeit seines Lebens mit den Vorurteilen gegenüber einem ehemaligen Apotheker zu tun gehabt. Von den literarischen Großsprechern seiner Zeit wie etwa Gustav Freytag oder Karl Gutzkow fühlte er sich "immer nur von oben herab" behandelt. Er hatte kaum die Schule besucht, kein Abitur und kein Studium. Seine literarische Bildung hat er sich weitgehend autodidaktisch durch die aufkommenden Massenmedien wie Zeitungen, Literaturzeitschriften und populäre Lexika oder in Lesecafés und Literaturvereinen angeeignet. Während dies im noch weitgehend akademisch dominierten Literaten- und Journalistenberuf einen Makel darstellte, entsprach seine literarische Sozialisation dem Großteil des Lesepublikums des 19. Jahrhunderts – die Abiturquote lag damals in Preußen bei 2,5 Prozent, bei den Frauen, die den Hauptteil des Lesepublikums ausmachten, sogar bei null Prozent – sie waren völlig aus der höheren Bildung ausgeschlossen. Man kann sagen, dass Fontane aus der Not eine Tugend gemacht hat. Unterhaltung und vermeintliche Oberflächlichkeit waren für ihn keine Gegensätze zum Anspruch auf künstlerischen Wert. An der Zeitungssprache der britischen "Times" etwa begrüßte er den "völligen Sieg des Feuilleton-Styls über die letzten Reste des Kanzlei-Styls und ähnlicher mißgestalteter Söhne und Töchter lateinischer Klassicität" – also die Merkmale des noch weitgehend belehrenden akademischen Parteijournalismus in deutschsprachigen Zeitungen. Und während mancher Philosoph über die aufkommende Zeitungssprache als "Schweinedeutsch" die Nase rümpfte, verdoppelte er in seinen Romanen literarisch sehr kunstvoll den aktuellen Mediendiskurs seiner Zeit. Sicher war Fontane eher ein Beobachter und Pragmatiker, denn ein Theoretiker und Programmatiker. Für die Entwicklungstendenzen, Ungleichzeitigkeiten und "strukturellen Heucheleien" (Bourdieu) des 19. Jahrhunderts aber hatte er ein mindestens ebenso feines Sensorium wie mancher vermeintlicher Tiefdenker.

"Fontane war eher ein Beobachter und Pragmatiker, denn ein Theoretiker und Programmatiker."

F&L: Fontane war in seinem umfangreichen Oeuvre ein Meister symbolischer Deutungselemente. Welche Symbole in seinen Werken können wir überhaupt noch verstehen?

Iwan D'Aprile: Leitmotivische Dingsymbole haben tatsächlich in allen Fontane-Romanen eine konstitutive Funktion: von der Schaukel in "Effi Briest" über das schief hängende Ahnengemälde und die Bonbonreklame in den "Poggenpuhls" und das Palmenhaus in "L’Adultera" bis zu den gelben Immortellen in "Irrungen, Wirrungen". Ein besonders bemerkenswertes Beispiel hierfür ist die Chaiselongue in "Mathilde Möhring", die von der Titelheldin genutzt wird, um den Bummelstudenten Hugo Großmann zum Juraexamen und Bürgermeister zu trimmen. Der Roman ist in den Jahren um 1895 entstanden, also genau zu der Zeit, als Siegmund Freud in Wien beginnt, die Couch als Therapieinstrument einzusetzen. Eine Korrespondenz, die auf das Gespür des Psychologen Fontane verweist. Dass sich in den Dingen eine ganze Mentalitätsgeschichte des späten 19. Jahrhunderts materialisiert, wurde klassisch von Walter Benjamin und zuletzt von Lothar Müller in seinem Buch über "Freuds Dinge" analysiert. Ich würde es eher umgekehrt formulieren: der Zugang zu Fontanes Romanen über ihre Dingsymbolik öffnet sie aus heutiger Perspektive für ein angemessenes Verständnis und lässt ihre Modernität erkennen.

F&L: Das wohl berühmteste Zitat Fontanes stammt aus dem Mund des Vaters von Effi Briest, einem Alter Ego von Fontane: "….das ist ein zu weites Feld." Wie passte diese Aussage in Fontanes Zeit und warum ist dieses Zitat heute nach wie vor für uns so aktuell?

Iwan D'Aprile: Was die Großstädterin Melusine Barby im "Stechlin" den "großen Zusammenhang der Dinge" nennt, umschreibt mit einer agrarischen Metapher der Landadlige Briest, gemischt mit etwas Sokratischer Einsicht in die Begrenzung menschlicher Wissens- und Verfügungsgewalt. Wir wissen aus Fontanes Manuskripten, dass er häufig am Anfang einer Romanidee seine Figuren, noch bevor sie einen Namen bekamen, durch eine charakteristische Redewendung konzipierte. "Immer durch die Mitte", "Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie" et cetera. In "Frau Jenny Treibel" wurde ein solcher Slogan, in diesem Fall der Liedrefrain "Wo sich Herz zu Herzen find’t", dann sogar zum Untertitel des Romans. Das hatte auch mit der Publikationsform der Romane zu tun, die zuerst im Serienformat in Zeitschriften und Zeitungen erschienen sind, weil solche refrainartige Wiederholung den Wiedererkennungswert der einzelnen Folgen steigerte: in jeder Zeitschriftenfolge muss der alte Briest mindestens einmal das weite Feld bemühen. Bezogen auf die Romanhandlung ist die Wendung natürlich höchst ambivalent, weil sich Briest mit ihr zugleich allen Konflikten entzieht und zulässt, dass seine Frau die gemeinsame Tochter an ihren eigenen ehemaligen Geliebten Innstetten verschachert ("Ach lass Luise…"). Solche Sentenzen, deren Grenzen zur Sprachschablone fließend sind, haben bei Fontane fast immer einen doppelten Boden und er setzt noch einmal ein Fragezeichen dahinter. Was nur wenige Jahre nach Fontane Hugo von Hofmannsthal in seinem "Chandos Brief" im kulturkritischen Gestus beschreibt, dass ihm die zur Schablone gewordenen Worte wie vermodernde Pilze im Mund zerfielen, wird bei Fontane humoristisch, manchmal wie im Fall der Bourgeoise Jenny Treibel oder der Gundermanns aus dem "Stechlin" auch satirisch, literarisiert. Dadurch gewinnen die Sentenzen eine Deutungsoffenheit und literarische Energie, die über ihre eigene Zeit hinausweist und dann wiederum noch 100 Jahre nach dem Erscheinen von "Effi Briest" für den Nobelpreisträger Günter Grass so attraktiv bleiben können, dass er seinen Nachwenderoman nicht wie ursprünglich geplant "Treuhand", sondern mit diesem Fontane-Zitat betitelte.

"Fontane hat seine Romanfiguren durch eine charakteristische Redewendung konzipiert."

F&L: Theodor Fontanes wohl berühmtester Roman "Effi Briest" war viele Jahre lang Pflichtlektüre an deutschen Schulen. Welche Bedeutung haben seine gesellschaftskritischen Romane in Zeiten von #Me Too-Debatten und Geschlechtergerechtigkeit?

Iwan D'Aprile: Der bereits von Fontanes hellsichtigen Zeitgenossen wie dem Literaturkritiker Richard Moritz Meyer bemerkte Charakter von Fontanes Romanen als sozialpsychologischen literarischen Experimenten, bei denen die Figuren gleichsam selbstständig in ein Problemfeld geschickt und von einem "beobachtenden" oder "lernenden Erzähler" mehr begleitet als gesteuert werden, gibt ihnen eine Deutungsoffenheit, die bis heute immer neue Interpretationen und Aktualisierungen angeregt hat. In diesem Sinn können Fontanes Romane hinsichtlich gesellschaftskritischer Positionen oder Fragen der Geschlechtergerechtigkeit auch Positionen sichtbar machen, die über das hinausgehen, was Fontane in Briefen oder nichtfiktionalen Texten zu solchen Themen geäußert hat. Die Romane sind dadurch potenziell klüger als ihr Autor, der notwendigerweise in sehr zeitgebundenen Konventionen verhaftet ist, aber sich eben auch intensiv mit aktuellen Literarisierungen von Geschlechterfragen, etwa in den Dramen Henrik Ibsens, auseinandersetzt hat. Wie sich Fontanes Frauenromane auf die heutigen Verhältnisse bezogen lesen lassen, haben zuletzt etwa Daniel Mendelsohn, Ulrike Vedder, Eva Geulen oder Burkhard Spinnen in seinem Buch über "Fontanes zeitlose Heldinnen" eindrücklich aufgezeigt.

F&L: Kann man sagen, dass "Effi Briest" zu den rührendsten und bedauernstwertesten Gestalten in der Literatur zählt?

Iwan D'Aprile: Sicher ist Effi spätestens seit ihrer Nobilitierung durch Samuel Beckett zusammen mit Emma Bovary und Anna Karenina in die Champions League der tragischen Frauenfiguren der Weltliteratur aufgestiegen. Ob sie innerhalb der Rangliste bedauernswerter Fontane’scher Frauenfiguren den Spitzenplatz in Anspruch nehmen kann, ist sicher eine Deutungs- und Geschmacksfrage: Cécile, die als Kinderprostituierte gleich an zwei Fürsten (Vater und Sohn) verkuppelt wurde, seither schwer traumatisiert wie ein leeres Blatt immer nur von ihrem gewalttätigen Ehemann definiert wird und sich am Ende des Romans das Leben nimmt, Roswitha aus "Effi Briest" oder auch Corinna Schmidt, die in "Frau Jenny Treibel" als Ehefrau des blassen Marcell Wederkopp endet, wären sicher gleichermaßen in Frage kommende Kandidatinnen.