Welttag der Übersetzung
Der Faktor Mensch ist unverzichtbar
Urlauberinnen und Urlauber haben "Google Translate" vielleicht schon erfolgreich genutzt – etwa bei Absprachen mit der italienischen Vermieterin: Auf Knopfdruck war der gesprochene Text verschriftlicht und übersetzt. In komplexen Situationen ist der Rückgriff auf ein solches Übersetzungstool mit oder ohne Künstliche Intelligenz (KI) weniger zu empfehlen – zum Teil auch gar nicht zulässig. Bei Gericht müssen Dolmetscherleistungen durch Menschen erbracht werden. Entsprechend ausgebildete Personen seien weiterhin gefordert, wenn es "um Rechte und Pflichten Einzelner gegenüber dem Staat, um Gesundheit, Rechtssicherheit, Vertrauen oder wirtschaftlichen Erfolg" gehe, erläutert Norma Keßler, Präsidentin des Bundesverbands der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ).
Schon der verschriftlichte Ausgangstext für eine Übersetzung sei vielfach fehlerbehaftet, weil nicht immer in klar strukturierten Sätzen gesprochen werde oder schnelle Wortwechsel, eine schlechte Akustik oder Dialekte vorliegen könnten. "Die 'Black Box' KI nutzt dann oft nicht nachvollziehbare 'Umgehungsstrategien', das heißt, sie verwechselt Wörter, erfindet neue oder lässt einfach weg, was sie nicht verarbeiten kann." Die KI errechne eben nur die Wahrscheinlichkeit von Wortfolgen. Die so entstandene Übersetzung lasse sich vielleicht mit etwas gutem Willen verstehen, ein gerichtliches Urteil darauf zu stützen, sei aber fahrlässig, so Keßler. Ebensowenig könne eine KI-Verdolmetschung das Recht auf Gehör für fremdsprachige Prozessbeteiligte sicherstellen.
Der "Faktor Mensch" in der Übersetzungsleistung
Eine besondere Herausforderung für die automatisierte Übersetzung seien kleine Sprachen und Dialekte, weil hier weniger zweisprachige Trainingsdaten vorliegen würden. Doch auch bei den "ressourcenstarken" Sprachen stoße KI an ihre Grenzen – und zwar immer dann, wenn nicht verbalisierter Kontext vorliege, erklärt die BDÜ-Präsidentin: "Das sind Mehrdeutigkeiten, Anspielungen, Wortspiele, Witz und Ironie, aber auch Mimik, Gestik, die Umgebung, das Wissen über Situationen und Personen, kulturelle Hintergründe, die konkrete Situation, Gefühle, Unausgesprochenes, Gewünschtes – also die vielen Dinge, die eine gelungene schriftliche oder mündliche Kommunikation auch ganz ohne KI nicht immer leicht machen."
Ebenfalls weniger trainiert seien KI-Systeme auf die von Land zu Land unterschiedlichen Systematiken und Strukturen, zum Beispiel unterschiedliche Rechts- oder Gesundheitssysteme. Gerade in den Wissenschaften bestünde die Gefahr, dass die Kategoriebildung oder die Definition eines Forschungsgegenstandes falsch verstanden werde. "Wenn es im Englischen beispielsweise nur einen Überbegriff gibt, aber das sehr genaue Deutsche natürlich gleich mehrere spezifischere Begriffe unterscheidet, ist man schnell mal 'aus Versehen' in der falschen Denkschule oder gar Disziplin", so Keßler.
Obwohl der "Faktor Mensch" für eine sichere mehrsprachige Kommunikation also unverzichtbar bleibe, würden die elektronischen und digitalen Tools für die tägliche Arbeit von Übersetzern und Dolmetscherinnen inzwischen eine wesentliche Rolle spielen. Es müsse eben nicht mehr mit dem sprichwörtlich weißen Blatt begonnen werden. "Trotzdem muss ein Ausgangstext genau analysiert und auf den jeweiligen nicht explizit verbalisierten Kontext überprüft werden, um – je nach Anforderung – einen rechtssicheren Vertrag, einen packenden Roman, einen überzeugenden Werbeslogan oder ein normkonformes Maschinenhandbuch in einer neuen Sprache entstehen zu lassen", erklärt Keßler. Routineaufgaben, wie das Notieren schnell gesprochener Zahlenreihen, könnten aber sehr gut von einem KI-Tool übernommen werden. So könnten sich die Übersetzerinnen und Dolmetscher "auf ihre nicht 'algorithmisierbaren' Leistungen" konzentrieren.