Helmholtz-Statue vor der Humboldt Universität Berlin
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Über Hermann von Helmholtz (1821-1894)
Der Reichskanzler der Physik

Am 31. August 2021 jährt sich der Geburtstag des Wissenschaftlers Hermann von Helmholtz zum 200sten Mal. Wer war der Mann und was trieb ihn an?

Von Ernst Peter Fischer 31.08.2021

Es war Kaiser Wilhelm I., der den am 31. August 1821 in Potsdam geborenen Hermann Helmholtz 1883 in den Adelsstand erhoben hat, kurz nachdem der als Mediziner ausgebildete, als Sinnesphysiologe erfolgreiche, als Philosoph beeindruckende, als Physiker überragende und sich in vielen populär gehaltenen Schriften um die Vermittlung seines Wissensschatzes bemühten Universalgelehrte zusammen mit Industriellen und Freunden eine Denkschrift verfasst hatte, in der vorgeschlagen wurde, ein "Institut für die experimentelle Förderung der exakten Naturforschung und Präzisionstechnik" zu gründen. Aus dem Plan ist die "Physikalisch-Technische Reichsanstalt" hervorgegangen, zu deren Präsidenten der preußische Staat Hermann von Helmholtz 1887 berief und ihm dafür sogar ein exorbitantes Salär zubilligte. Es schien dem "Reichskanzler der Physik" zuzustehen, wie Helmholtz respektvoll genannt wurde.

Angefangen hat alles viel kleiner. Da der Knabe Herrmann als Sohn eines Berliner Gymnasialprofessors für alte Sprachen in einem Haus voller Bücher aufwuchs, wurde er zunächst auf der Schule mit dem Lateinischen und Griechischen vertraut gemacht. Als sich der Jugendliche Hermann für ein Studium der Naturwissenschaften entschied, zeigte sich sein Vater nicht begeistert.

Während seiner Studienjahre hörte Helmholtz Vorlesungen des Physiologen Johannes Müller, der seine Studenten mit den Lebensvorgängen vertraut machte. Helmholtz zeigte sich so begeistert von diesen Themen, dass er ein Mikroskop erwarb und mit einer Arbeit promoviert wurde, die winzige Verbindungen zwischen Zellen erkundete, die zu deren Entwicklung beitrugen.

"Helmholtz suchte nach einer Größe, die hinter allen Lebenserscheinungen stecken könnte."

Vom Herbst 1845 an bemühte sich Helmholtz, nach der Promotion noch das medizinische Staatsexamen abzulegen, und im Jahr danach ließ er Freunde wissen, er werde nun "hauptsächlich Konstanz der Kräfte treiben". Er versuchte vertrautes philosophisches Denken und neues wissenschaftliches Wissen unter einen Hut zu bringen. In der "Konstanz" steckte eine Grundhaltung, die Helmholtz den Schriften von Kant entnommen hatte, der zu den Bedingungen der Möglichkeit, überhaupt so etwas wie Physik zu treiben und dabei Naturgesetze zu finden, die Annahme zählte, dass zu allen natürlichen Veränderungen Invarianzen gehören. Helmholtz suchte nach einer Größe, die hinter allen Lebenserscheinungen stecken könnte, und er lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Kraft, mit der Bewegungen in Gang gesetzt werden. Als Helmholtz klar wurde, dass Muskelbewegungen – etwa beim Zittern vor Kälte – für körpereigene Wärme sorgen, fasste er seine Überlegungen 1847 in einer philosophisch-physikalischen Arbeit "Über die Erhaltung der Kraft" zusammen. In ihr heißt es explizit: "In allen Fällen der Bewegung freier materieller Punkte unter dem Einfluss ihrer anziehenden und abstoßenden Kräfte … ist der Verlust an Quantität der Spannkraft stets gleich dem Gewinn an lebendiger Kraft, und der Gewinn der ersteren gleich dem Verlust der letzteren. Es ist also stets die Summe der vorhandenen lebendigen und Spannkräfte konstant", wie er eigens kursiv setzen ließ, wobei ein moderner Text die Spannkraft "potentielle Energie" nennen würde.  

Historiker billigen dieser Arbeit zu, einen Paradigmawechsel vorgenommen zu haben, der heute seinen Niederschlag in jedem Physikbuch gefunden hat. Das heißt, in der modernen Version von Helmholtz' Einsicht ist von der "Erhaltung der Energie" die Rede, was die Physiker als ihren Ersten Hauptsatz der Thermodynamik präsentieren, den sie universal formulieren: "Die Energie der Welt ist konstant".

Zu der Erhaltung der Kraft gehört eine Ergänzung. Sie besteht darin, dass Helmholtz sich beim Schreiben seiner berühmten Arbeit in die 20jährige Olga von Velten verliebt hatte, und zwar derart heftig, dass er zunächst den langen Titel "Über die Erhaltung der Kraft, eine physikalische Abhandlung zur Belehrung seiner theuren Olga, bearbeitet von Dr. Helmholtz" vorsah. Im August 1849 heiraten die beiden, als Helmholtz endlich genug Geld verdiente, um eine Familie ernähren zu können, und Olga schenkte ihm zwei Kinder, erst die Tochter Catharina, die 1850 geboren worden ist, und zwei Jahre später den Sohn Richard.

In Kants Königsberg

Die März-Revolution von 1848 mit den dazugehörigen politischen Unruhen konnten Helmholtz nicht aufregen. Er fand eine Stelle an der Universität in Königsberg und konnte in der Stadt Kants mit Experimenten zur Physiologie der Sinne beginnen und bald die Geschwindigkeit messen, mit der sich Erregungen entlang von Nervenbahnen bewegen. Als sich Helmholtz der Sinnesphysiologie zuwandte, griff er Versuche von Ernst Brücke auf, der zuvor versucht hatte, die Netzhaut des Auges und die sie versorgenden Blutgefäße in den Blick zu bekommen. Helmholtz gelang die "Construktion des Augenspiegels", über die er voller Stolz berichtete, weil diese seine Erfindung "für meine äußere Stellung vor der Welt … sehr entscheidend" war. Und tatsächlich: Bald gehörte der Augenspiegel zur Grundausstattung von Kliniken der Inneren Medizin.

Neben der "populärsten meiner wissenschaftlichen Leistungen" – so Helmholtz selbst über den Augenspiegel – galt die Aufmerksamkeit in den Königsberger Jahren der Theorie der Farben und der Eigenschaft der Augen, die man Akkomodation nennt und mit der die Fähigkeit der Sehorgane gemeint ist, ihr Blicken auf die verschiedenen Entfernungen einzustellen. So nach und nach konnte Helmholtz immer besser Auskunft "Über das Sehen des Menschen" geben, und als die Stadt Königsberg im Februar 1855 ihrem größten Sohn ein Denkmal errichtet hatte, wurde Helmholtz gebeten, bei dessen Einweihung zu sprechen, und er wählte die oben genannte Überschrift für seine Rede. In ihr macht Helmholtz klar, dass das (physikalische) Licht in der Welt noch längst nicht das (bewusste) Sehen im Kopf ist und diese Qualität erst auf dem Weg von außen nach innen erreichen muss. Die Signale schleichen dabei durch die Nervenleitungen und nehmen nacheinander erst einen biochemischen und dann einen neuronalen Charakter an – ein Wandel, der der Wissenschaft eine Fülle von Aufgaben beschert, wenn sie das Sehen verstehen will.

"1858 trifft Helmholtz am Neckar ein, und er wird dort [...] den Grundstein für eine Glanzzeit der Naturwissenschaften legen."

Zu den weiteren Stationen im Leben von Helmholtz gehören die Universitäten in Bonn und Heidelberg. Ende September 1858 trifft Helmholtz am Neckar ein, und er wird dort zusammen mit Robert Bunsen und Gustav Robert Kirchhoff den Grundstein für eine Glanzzeit der Naturwissenschaften legen. Der Amtsantritt in Heidelberg wird allerdings durch den Tod seines Vaters und seiner ersten Frau Olga überschattet, was bedeutet, dass er mit zwei Kindern allein zurechtkommen muss.     

Helmholtz brauchte ein Jahr, um sich zu erholen, aber spätestens im Sommer 1860 wendet er sich wieder der Welt zu. Er begegnet der 26jährigen Anna von Mohl, und 1861 heiraten die beiden. Anna von Helmholtz wird von nun an einen wissenschaftlichen und künstlerischen Salon führen und drei Kinder zur Welt bringen, die Söhne Robert und Friedrich und zwischen den beiden die Tochter Ellen.

1871 wechselt Helmholtz nach Berlin. In den Heidelberger Jahren war er "gegen die Physiologie gleichgültig geworden", wie er Emil Du Bois-Reymond im April 1870 geschrieben hat, und er hatte "nur noch eigentliches Interesse für die mathematische Physik", aus der im 20. Jahrhundert die Theoretische Physik mit ihren großen Vertretern namens Planck und Einstein geworden ist. In der Physik sah Helmholtz größere Herausforderungen als in der Physiologie, wobei ihm die "nur sehr unvollkommene Annäherung" des Naturforschers "an die Wirklichkeit" wohl bewusst war.

In einem Alter, in dem die meisten Akademiker nur noch auf ihr Lebenswerk zurückblicken, übernahm der 66jährige Helmholtz eine Aufgabe, die ihn noch einmal ausfüllte. Von 1887 bis zu seinem Tode leitete er die Physikalisch-Technische Reichsanstalt in Berlin, zu deren Entstehen Helmholtz neben Werner Siemens wesentlich beigetragen hatte.

"In einem Alter, in dem die meisten Akademiker nur noch auf ihr Lebenswerk zurückblicken, übernahm der 66jährige Helmholtz eine Aufgabe, die ihn noch einmal ausfüllte."

Als Kaiser Wilhelm II. Helmholtz 1891 zu seinem 70sten Geburtstag gratulierte, schrieb er, dass sein "stets den reinsten und höchsten Idealen nachstrebender Geist in hohem Flug alles Getriebe von Politik und damit verbundenen Parteien weit hinter sich zurückließ". Leider waren die letzten Lebensjahre von Helmholtz durch eine "tief und schmerzlich" empfundene Vereinsamung geprägt. Sein Sohn Robert starb 1889, der Freund Werner von Siemens wurde 1892 begraben, der überragende Schüler Heinrich Hertz und der verehrte Kollege August Kundt schieden beide 1894 aus dem Leben, und all dies deprimierte Helmholtz tief. "Seine Gedanken gehen wirr durcheinander", wie seine Frau Anna ihrer Schwester im Sommer 1894 schrieb, "Es ist immer, als wäre seine Seele weit, weit weg in einer schönen edlen Sphäre, wo nur Wissenschaft und ewige Gesetze herrschen." Dann stürzte Helmholtz, erlitt Schlaganfälle, und im September 1894 starb der große Mann in Berlin. Sein Denkmal steht vor der heutigen Humboldt Universität. Man sollte daran nicht ohne Gruß vorbeigehen.