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50. Geburtstag
Der "Tatort" im Visier der Wissenschaft

Der "Tatort" ist eine der Kultsendungen im deutschen Fernsehen. Am 29. November feiert die auch wissenschaftlich erforschte Reihe 50. Geburtstag.

28.11.2020

Am "Tatort" scheiden sich die Geister. Für die einen ist er Kult, für die anderen ein zu belächelndes Relikt aus Zeiten des Röhrenbildschirms. Nichtsdestotrotz können sich die Sonntagabend-Erstausstrahlungen über ein Millionenpublikum freuen. Experten sehen den Grund gerade darin, dass es eben nicht DEN "Tatort" gibt.

Manche "Tatort"-Standorte seien insbesondere für ihre hervorragenden Drehbuchautoren bekannt, andere für ihre Experimentierfreude, sagt die Kulturanthropologin Professorin Regina Bendix von der Universität Göttingen. Der Zuschauer habe somit eine Auswahl. "Tatort" ist nicht gleich "Tatort"."

Gerade diese Abwechslung mache den "Tatort" aus, sagt der Germanist Professor Stefan Scherer vom Karlsruher Institut für Technologie. Folgen von Regisseur Dominik Graf etwa, der auch einen Teil der Jubiläumsdoppelfolge verantwortet, überforderten viele.

"Wenn man zehn Millionen Zuschauer haben will, muss man eine Mischkalkulation machen". Für jüngere, Netflix-erprobte Generationen müsse etwas dabei sein, dass sich am Kino orientiert. Die Wiesbadener Folgen um Ulrich Tukur oder das Weimarer Team um Christian Ulmen und Nora Tschirner seien Beispiele. Großeltern sei das womöglich zu schnell, die bräuchten eher Kammerspielartiges.

Anpassung an jüngere Generationen und Sehgewohnheiten

Durch den regen Wandel könnten auch neue Herangehensweisen gut getestet werden, sagt Dr. Christian Hißnauer vom Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität (HU) Berlin. Wenn etwas dann beim Publikum nicht ankomme, wie etwa der Saarbrücker Ermittler Jens Stellbrink (Devid Striesow), könne es schnell abgestellt werden. "Gleichzeitig stabilisieren die Altbekannten das Format."

Auch Dr. Hendrik Buhl vom Institut für Information und Medien, Sprache und Kultur an der Uni Regensburg, findet, die ARD habe alles richtig gemacht, dass sie die Reihe im Laufe der Zeit breiter aufstellte und beispielsweise mit den Til-Schweiger-"Tatorten" mehr Action bot. "Das ist der Versuch, andere Milieus zu erreichen." Der Wandel sorge für Erneuerung. Zugleich funktioniere der "Tatort" nach wie vor dank der einfachen Formel: Mord-Detektion-Aufklärung. Den "Tatort" bezeichnet Buhl als "letztes fiktionales Fernsehereignis", als "eines der letzten medialen Lagerfeuer, vor denen sich die Nation versammelt".

Das liegt aus Bendix' Sicht auch am Sendeplatz am Sonntag um 20.15 Uhr: "Der markiert das Ende des Wochenendes." Da sei oft Zeit zum generationsübergreifenden, gemeinsamen Gucken. "'Tatort' wirkt – für manche – vergemeinschaftend. Menschen tauschen sich mit Familie und Freunden oder auch am Arbeitsplatz darüber aus", sagt sie. Dass dabei auch gelästert werde, tue wenig zur Sache: "Es bilden sich Vorlieben heraus für ein Ermittlerduo, Antipathien für ein anderes, Neugierde, wie ein neuer "Tatort"-Ort sich entwickeln wird, und Genuss, gemeinsam mit einem altvertrauten 'Tatort'-Team zu altern."

Anders sieht es etwa Hißnauer: Der Sendeplatz passe für viele nicht mehr in den Tagesablauf. Viele guckten heute zeitversetzt. Das habe auch Folgen für den "Tatort" als Gesprächsthema: "Man kann sich nicht mehr sicher sein am Montagmorgen, dass das Gegenüber ihn auch geguckt hat." Das sei früher anders gewesen. "Da wusste man, dass der Kollege 'Wetten, dass..?' oder 'Tatort' geguckt hatte."

Buhl betont ebenfalls, dass die "Erzählform der Stunde" die horizontal erzählte Serie sei. "Vielleicht sollte es den 'Tatort' daher auch in Form von Miniserien geben, eventuell sogar mit eigenen Teams dafür, die dann über mehrere Folgen einen Fall lösen." Das entspreche mehr der Netflix-Generation und den neuen Sehgewohnheiten. Zudem liege ein wichtiger Faktor auf der Mediathek und ähnlichen Nutzungsformen: "Wenn man junge Zuschauer halten will, dann online."

dpa