Reichsflaggen und ein Q in den selben Farben halten Demonstranten vor dem Brandenburger Tor. Q steht für QAnon.
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Wissenschaftskommunikation
"Der Ton hat sich verschärft"

Professor Michael Butter klärt über Verschwörungstheorien auf. Dafür erhält er viel Lob, wird aber auch zunehmend angefeindet. Wie geht er damit um?

Von Claudia Krapp 23.04.2021

Forschung & Lehre: Herr Professor Butter, Sie sind der erste Preisträger des von der Universität Tübingen neu eingerichteten Preises für Wissenschaftskommunikation. Die Auszeichnung haben Sie für Ihr "mutiges Eintreten gegen Verschwörungstheorien" erhalten. Warum braucht es dafür Mut?

Michael Butter: Ich sehe mich selbst nicht als mutig. Damit, dass ich in der Öffentlichkeit über Verschwörungstheorien spreche, habe ich mir aber nicht nur Freunde gemacht. Ich bekomme viele böse E-Mails und auf Youtube existieren Videos, in denen ich ausschweifend beschimpft werde. Ein Meme zeigt mich und einen Haifisch mit dem Kommentar "Butter bei die Fische". Das ist schade, denn nach meinem Selbstverständnis habe ich eher eine moderate und differenzierte Position zu dem Thema und warne nicht verallgemeinernd. Mein Ziel ist es eher aufzuklären als zu warnen. Aber das Thema polarisiert natürlich und die Feinheiten meiner Äußerungen sind im öffentlichen Diskurs wahrscheinlich öfter mal untergegangen.

Portraitfoto von Prof. Michael Butter
Michael Butter ist Professor für Amerikanistik an der Universität Tübingen. Er beschäftigt sich seit Jahren mit Verschwörungstheorien und klärt öffentlich über die Zusammenhänge auf. privat

F&L: Sind die Reaktionen im Netz auf Ihre Person so bedrohlich, dass Sie Schutzmaßnahmen ergriffen haben?

Michael Butter: Im vergangenen Jahr hat tatsächlich jemand anderes wegen einer an mich gerichteten Bedrohung Anzeige erstattet. Letztlich war es aber eher eine hochgradige Beleidung, so dass die Polizei und ich das nicht weiter verfolgt haben – auch um dem Täter nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig zu schenken. Ich habe die Reaktionen bislang nicht als ernste Bedrohung gesehen. Das mag aber auch daran liegen, dass Verschwörungstheoretiker oft titelhörig sind und mir als älterem, weißen Professor wahrscheinlich weniger Hass entgegen schlägt als es beispielsweise eine jungen Doktorandin erleben würde, die sich in dem Feld bewegt. Sie würde vermutlich viel stärker sexualisierte Reaktionen bekommen. Aber auch der Ton meiner "Haterpost" hat sich mit der Corona-Krise insgesamt nochmal verschärft. Einsendungen, die früher eher ein verbales Kopfschütteln als Reaktion auf einen meiner Vorträge waren, beginnen heute mit "Du Faschist".

F&L: Sie haben schon 2018 von einer Renaissance der Verschwörungstheorien gesprochen. Damals kursierten die Diskussionen um diese vor allem unter dem Begriff Fake News. Inwiefern hat die Corona-Pandemie die Entwicklung verändert?

Michael Butter: Die Corona-Krise hat den Tonfall und die Intensität der Debatte verschärft. Das liegt daran, dass die Pandemie ein noch stärkeres Bedrohungsszenario darstellt für Personen, die glauben, dass in unserer Gesellschaft alles Lug und Betrug ist. Anders als zum Beispiel 9/11 trifft uns die Pandemie ja im täglichen Leben. Gleichzeitig ist das Thema deutlich sichtbarer geworden und ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt. Von Verschwörungstheorien hat man vor 10 bis 15 Jahren so gut wie gar nicht gehört, vor der Krise schon regelmäßig und heute fast jeden Tag. Entsprechend haben sich auf beiden Seiten der Debatte deutlich mehr Menschen positioniert. Die Fronten sind heute noch verhärteter.

F&L: Würden Sie sagen, die Bedrohungslage hat zugenommen?

Michael Butter: Im Großen und Ganzen hat sich die Gefahrenlage durch Verschwörungstheorien nicht geändert. Aber die Leute sind heute emotionalisierter und dadurch auch eher zu Gewalt bereit. Die Querdenker-Bewegung hat sich im vergangenen Jahr beispielsweise auf der Straße zunehmend radikalisiert. Verschwörungstheorien können also, wie dort anschaulich zu sehen ist, zu Gewalt gegen Sicherheitskräfte, Journalisten und Unbeteiligte führen. Auch die Tötungen in Halle und Christchurch sind Beispiele für extreme Handlungen von Personen, die sich durch Verschwörungstheorien berufen fühlten, "einzugreifen". Auch bei den Querdenkern ist nicht auszuschließen, dass irgendwann einer von ihnen mit der Waffe loszieht. Neu ist hingegen die Bedrohungslage auf medizinischer Ebene, wenn Menschen unter Nichteinhaltung der Hygieneregeln andere Menschen in Infektionsgefahr bringen. Zusätzlich sind Querdenker und andere Verschwörungstheoretiker eine Gefahr für und ein Angriff auf die Demokratie. Für eine nachhaltige Gefährdung halte ich die Bewegung allerdings hierzulande weiterhin für zu klein. Anders sieht es in den USA aus: Der Sturm auf das Kapitol war eine ernstzunehmende Folge von Verschwörungstheorien. Dort haben sie zu gewaltbereiten und demokratieverachtenden Menschen geführt, die sich epidemiologisch bedenklich angesammelt haben und mit politischer und medialer Unterstützung zu einem strategischen Angriff übergegangen sind.

"Die Leute sind heute emotionalisierter und dadurch auch eher zu Gewalt bereit."

F&L: Wer sich auf verschwörungstheoretischen Webseiten umschaut, ist mitunter irritiert, wie viele verschiedene Narrative und Akteure dort nebeneinander stehen. Medial sichtbar sind derzeit aber vor allem die Corona-Leugner und Impfgegner. Hat sich der Fokus dieser thematisch bunten Mischung verschoben?

Michael Butter: Corona hat zu Beginn der Pandemie alles beherrscht und ist noch immer das dominante Thema unter den Verschwörungstheoretikern. Seit letztem Herbst verschieben sich die Dinge aber und mittlerweile gibt es wieder mehrere Schauplätze in diesem Weltbild. Per se ist in dieser Parallelwelt alles im Fluss, wobei die Geschichten nie neu sind, nur mit anderen Nuancen erzählt werden. Auch in der Pandemie wurde Corona im Prinzip nur als neuestes Kapitel an bestehende Geschichten über die "Bösen" angefügt. Umgekehrt hängen an Corona-Erzählungen viele andere Geschichten. Verschwörungstheorien zum Impfen, zu Bill Gates und 5G gab es beispielsweise schon vorher; ebenso die Erzählung, die Regierung wolle den Bürgern die Grundrechte wegnehmen und das Bargeld abschaffen. Corona folgt auf diese vermeintlichen Inszenierungen, sozusagen als neueste Strategie zur Zielerreichung. Einigkeit über die "wahren" Zusammenhänge herrscht dabei selbst unter den Anhängern der Theorien nicht.

F&L: Sind wegen der akuten Betroffenheit in der Corona-Krise heute mehr Menschen geneigt, sich den Aluhut überstülpen zu lassen?

Michael Butter: Auch wenn es uns anders vorkommt, hat die Zahl der Menschen, die für Verschwörungstheorien empfänglich sind, in Deutschland nicht zugenommen. Eine Reihe von aktuellen quantitativen Erhebungen hat gezeigt: Das sind weiterhin rund ein Drittel der Bürger. Den harten Kern macht wiederum ein Drittel derjenigen aus, die empfänglich sind, also etwa zehn bis zwölf Prozent der Bevölkerung. Diese Menschen sind vor Corona nicht unbedingt öffentlich in Erscheinung getreten oder aufgefallen, waren aber schon da. Leute, die wir heute bei den Querdenkern sehen, waren beispielsweise vor fünf oder sechs Jahren schon bei den eher dezentralen Mahnwachen für den Frieden aktiv. Die Querdenken-Bewegung mag also neu sein, die Quellen, aus denen sie sich speist, sind aber schon lange da.

F&L: Ist Wissenschaftskommunikation, wie Sie sie betreiben, eine notwendige Folge bei einem gesellschaftsbasierten Forschungsthema wie Verschwörungstheorien?

Michael Butter: Als Wissenschaftler ist man weder verpflichtet noch gut beraten, sich ein Forschungsthema von öffentlichem Interesse auszusuchen. Denn welche dies sind, ändert sich ständig. Aber wenn man an solch einem Thema arbeitet und aus Steuergeldern finanziert wird, sollte man die Öffentlichkeit an seinen Erkenntnissen teilhaben lassen. Basierend darauf kann man als Wissenschaftler zu einem differenzierten Bild beitragen. Darum bemühe ich mich in der Debatte zu Verschwörungstheorien, die oft zwischen Verharmlosung und Übertreibung hin und her pendelt. Ich halte Aufklärung für eine gute Strategie, um mittelfristig die Gefahren, die von Verschwörungstheorien ausgehen können, zu minimieren. Mit Menschen, die in ihren Überzeugungen schon sehr festgefahren sind, ist es zwar schwer, in den Dialog zu treten. Ihren Angehörigen und Freunden jedoch hilft es, wenn man ihnen Ratschläge zum direkten Umgang mit Verschwörungstheoretikern gibt. Zum Beispiel dass es sich oft lohnt, nachzufragen und den Kontakt aufrecht zu erhalten, aber auch, dass es manchmal besser ist, den Kontakt abzubrechen, wenn man Grenzen des Sagbaren überschritten sieht. Durchaus empfänglich für objektive Faktenchecks sind außerdem Menschen, die zwar mit Verschwörungstheorien liebäugeln, aber noch nicht gänzlich überzeugt sind. Auch präventive Aufklärung, das sogenannte Prebunking, ist wirksam. Meine Informationsveranstaltungen tragen daher hoffentlich dazu bei, die Empfänglichkeit für Verschwörungstheorien zu senken.

"Ich halte Aufklärung für eine gute Strategie, um mittelfristig die Gefahren, die von Verschwörungstheorien ausgehen können, zu minimieren."

F&L: Was war Ihr Anreiz, in den öffentlichen Diskurs einzusteigen?

Michael Butter: Im Zuge der Ukraine-Krise kamen 2014 mehrfach Journalisten auf mich zu und wollten etwas über Verschwörungstheorien wissen. Zunächst habe ich abgelehnt, da ich ja Amerikanist bin und nicht Experte für deutsche Verschwörungstheorien. Da aber damals niemand anders in Deutschland die Fragen beantworten konnte, habe ich mich näher damit befasst und bin sukzessive tiefer eingestiegen. Für die Vorarbeiten, die Forschung aus den 1990er und 2000er Jahren, deren Erkenntnisse ich nun mitverbreite, hat sich zuvor niemand interessiert. Ich habe in diesem Sinne nicht bewusst entschieden, welche Themen ich in die Öffentlichkeit tragen will, sondern habe auf eine Nachfrage reagiert und tue das solange das Interesse anhält. Dabei lerne ich selbst immer noch dazu.

F&L: Sie teilen Ihr Wissen mit der Öffentlichkeit und mit Politikern, vorwiegend auf Einladung bei Vorträgen und in Interviews. Diese werden in sozialen Medien zitiert und geteilt. Die direkte und persönliche Ansprache der Öffentlichkeit, beispielsweise über einen eigenen Twitter-Account, praktizieren Sie aber nicht. Warum?

Michael Butter: Meiner Einschätzung nach würde ernsthaftes Twittern viel Zeit in Anspruch nehmen. Für einen konstruktiven und professionellen Umgang mit Kommentaren bräuchte ich aus Zeitgründen aber wohl eine Hilfskraft und die sehe ich derzeit an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt. Außerdem zwingt das Format sehr stark zur Vereinfachung, was der Argumentation nicht immer dienlich ist. Bisher habe ich es mir daher verkniffen, in Twitter-Debatten laut zu widersprechen, wenn dort Unsinn verzapft wird. Das mag sich ändern irgendwann. Im Rahmen eines ERC-Projekts teile ich über den Projekt-Account zumindest schon Forschungsergebnisse.

F&L: Was raten Sie Wissenschaftlern, die Scheu vor polarisierenden Vereinfachungen in öffentlichen Debatten haben?

Michael Butter: Ich halte eine sichere Arbeitsstelle für eine gute Grundlage, um Scheuklappen abzulegen. Personen, die in ihrer Karriere noch nicht so gefestigt sind, haben verständlicherweise größere Skrupel, zu überspitzen und damit zu polarisieren. Im öffentlichen Diskurs muss man Dinge aber manchmal vereinfachen, um die übergeordnete Entwicklung klar zu machen. In der verkürzten Zusammenfassung finden eben nicht alle Nuancen der Forschung Platz. Diese Herangehensweise ist für die Öffentlichkeit im Übrigen ebenso wirksam wie für eine universitäre Vorlesung, die Übergänge zur Lehre sind hier fließend.

F&L: Nun wurden Sie explizit für Ihre "breit angelegte Kommunikation" gelobt. Was verstehen Sie selbst darunter und wie sichern Sie sich ab, dass Sie auch die "Breite" erreichen?

Michael Butter: Generell bewege ich mich, wie jeder Mensch, in einer Blase. Zu meinen Vorträgen kommen auch eher Leute, die kritisch gegenüber Verschwörungstheorien eingestellt sind. Viele meiner Vorträge sind aber hinterher auf Youtube anschaubar. Das verstehe ich als indirekte Hilfe für alle Interessierten, die nach Argumenten suchen – entweder um selbst Verschwörungstheorien mit Fakten zu vergleichen oder um gut vorbereitet mit Verschwörungstheoretikern in Dialog treten zu können. Zudem schreibe ich viele Artikel und erhalte dazu fast täglich Zuschriften, positiv wie negativ. Manchmal diskutiere ich dann auch mit den Lesern, obwohl die meisten schon eine feste Position haben. Aber auch wenn ich so niemand überzeuge, signalisiere ich, dass ich sie ernst nehme. Und, das zeigt die Reaktion, das stößt oft auf positive Resonanz.

F&L: Halten Sie Preise für Wissenschaftskommunikation für einen hinreichenden Anreiz?

Michael Butter: Als ich mit der Wissenschaftskommunikation angefangen habe, haftete dem noch ein anrüchiges Image an, gerade als Geisteswissenschaftler. Ich finde solche Preise daher gut als Signal der Hochschulen, dass Wissenschaftskommunikation erwünscht ist. Mein Eindruck ist, dass Hochschulleitungen inzwischen mehrheitlich hinter der Wissenschaftskommunikation stehen. Um diese zeitlich mit Forschung und Lehre qualitativ hochwertig unter einen Hut zu bekommen, wäre zusätzlich aber auch mehr Unterstützung hilfreich, sowohl durch Personal als auch durch eine Anerkennung der Leistung in Berufungsverfahren. Mindestens als Zusatzqualifikation müsste Wissenschaftskommunikation hier gewürdigt werden. Insbesondere für den wissenschaftlichen Nachwuchs wäre das ein Anreiz, die Ressourcen beim Aufbau ihrer Karriere entsprechend einzuteilen. Fest einfordern würde ich diese aber nicht, denn nicht jedes Forschungsthema ist dafür geeignet.