Große 3D-Darstellung krankheitserregender Viren, die wie Massagebälle in einem grünen Weltall aussehen.
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Dual-Use
DFG-Bericht sieht Gefahr der politischen Vereinnahmung

Nationale Sicherheitsinteressen an der Forschung steigen. Das ist ein Ergebnis des Reports zu sicherheitsrelevanter Forschung von Leopoldina und DFG.

14.11.2024

Die Freiheit der Forschung ist in Zeiten von Kriegen in europäischer Nachbarschaft, Pandemien und sich global zuspitzenden Systemrivalitäten mit veränderten Rahmenbedingungen konfrontiert. Zudem werden Forschung und Innovation immer wichtiger für nationale Sicherheitsinteressen wie Wettbewerbsfähigkeit, Autonomie und Wehrhaftigkeit. Zu diesem Ergebnis kommt der Gemeinsame Ausschuss (GA) von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in ihrem umfassenden Bericht zu sicherheitsrelevanter Forschung

Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass es sicherheitsrelevante Forschungsrisiken in nahezu allen Wissenschaftsbereichen gibt. Er stellt exemplarisch Forschungsfelder vor, welche missbraucht werden könnten, um Menschenwürde, Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Umwelt oder das friedliche Zusammenleben zu schädigen. Die Erforschung von Krankheitserregern oder die Forschung zur generativen künstlichen Intelligenz könne beispielsweise zu Wissen, Produkten oder Technologien führen, die auch für schädliche Zwecke eingesetzt werden könnten ("Dual-Use-Forschung"). Der GA bewertet dabei Forschung als "besorgniserregend", wenn der Missbrauch unmittelbar erfolgen kann und die möglichen Schäden erheblich sind. 

In der aktuellen Weltlage gewinne die Frage an Bedeutung, wie Forschung vor Spionage und fremder Einflussnahme geschützt und gleichzeitig die internationale Wissenschaftskooperation weiter gefördert werden könne. Einerseits werde von der Wissenschaft zunehmend erwartet, im Sinne nationaler Sicherheitsinteressen zu forschen. Andererseits berge dies die Gefahr, dass Wissenschaft politischen Zwecken untergeordnet und internationale Wissenschaftskooperationen eingeschränkt würden, so die Autorinnen und Autoren. Auch hochschuleigene Zivilklauseln würden im Zuge dessen seitens der Politik in Frage gestellt. 

Bericht kritisiert Prozess der politischen Vereinnahmung 

Der Bericht stellt Fortschritte der Selbstregulierung der Wissenschaften im Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung an deutschen Forschungseinrichtungen fest. Im Vorwort wird herausgestellt, dass sich Forschung davor schützen müsse, zum machtpolitischen Spielball zu werden. "Nicht alle Risiken können vollständig ausgeräumt werden, ohne sich gleichzeitig durch aufwendige Dokumentations- und Prüfprozesse sowie daraus resultierende Beschränkungen zu lähmen", heißt es dazu. 

"Nicht alle Risiken können vollständig ausgeräumt werden, ohne sich gleichzeitig durch aufwendige Dokumentations- und Prüfprozesse sowie daraus resultierende Beschränkungen zu lähmen."
Aus dem Bericht von DFG und Leopoldina

Gemäß des Leitgedankens "so offen wie möglich, so restriktiv wie nötig" wolle man in der internationalen Forschungsgemeinschaft beispielsweise Verfahren entwickeln, um weiterhin verantwortungsvolle Forschungskooperationen mit Ländern zu ermöglichen, "die abweichende Werte und Grundsätze, etwa in Bezug auf Menschenrechte und demokratische Prinzipien" aufweisen würden. China habe hier eine besondere Relevanz, wobei das Motiv einer generellen und systematischen Einflussnahme chinesischer Autoritäten auf die Forschungsintegrität im Ausland zwar befürchtet werde, aber bisher nicht empirisch nachgewiesen werden könne. 

Der Tätigkeitsbericht beinhaltet zudem auch die Ergebnisse von Umfragen des Gemeinsamen Ausschusses zur bisherigen Arbeit der Kommissionen für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung (KEF). Demnach wurden den KEFs zwischen 2016 und 2023 insgesamt 124 Fälle von sicherheitsrelevanten Arbeiten gemeldet, über die dann beraten wurde. Lediglich neun Fälle hätten dabei gänzlich ablehnende Voten erhalten. Von diesen Projekten wurde abgeraten. Die Umfragen unter den KEFs zeigten also, dass besorgniserregende sicherheitsrelevante Arbeiten nach wie vor seltene Ausnahmen im akademischen Forschungsbetrieb darstellten. 

Ausblick auf weitere Einschätzungen sicherheitsrelevanter Aspekte 

Der GA berät das deutsche Wissenschaftssystem zu Fragen des Dual-Use. Mit der Verlängerung des Mandats bis 2030 und durch eine strategische Neubesetzung trägt er den Entwicklungen rund um das Thema Risiken internationaler Forschungskooperationen Rechnung. Zukünftig solle dem Bericht zufolge die Implementierung der Empfehlungen des Ausschusses zur Integration sicherheitsrelevanter ethischer Aspekte in Forschung und Lehre vorangetrieben werden.

cva