August 1969: Zuschauer und Zuhörer beim "Woodstock Festival".
picture alliance/United Archives

50 Jahre Woodstock
"Ein wunderbares Chaos"

Vor fünfzig Jahren fand im Staat New York das Woodstock-Festival statt. Legendär und prägend bis heute, organisatorisch ein Fiasko.

Von Felix Grigat 15.08.2019

Für Theodor W. Adorno wäre das legendäre Festival in Woodstock im August 1969, hätte er davon noch Kenntnis nehmen können, vermutlich ein wunderbares Beispiel für das "Banale und Vulgäre" der "leichten Musik" gewesen, die Zuhörer eine Menge von "Unmündigen", eine "lonely crowd", solche, die des "Ausdrucks ihrer Emotionen und Erfahrungen nicht mächtig sind". Kritiker, die es kannten, aber nicht dabei waren, sind auch fünfzig Jahre danach überzeugt: Es war einfach nur ein "großer Medienschwindel" (Alan Posener), gar der Grund für den "Niedergang der USA" in den darauf folgenden Jahrzehnten (Steve Bannon).

Dagegen allerdings stehen die Musiker, die dabei gewesen sind. Für Neil Young war es ein großartiges Zusammenfinden von Musikern und Zuhörern. Für den Gitarristen Carlos Santana, der dort auftrat, war es "eine durch und durch positive Erfahrung – ein wunderbares Chaos.

Woodstock hat mein Leben verändert", gestand er in einem Interview mit dem Spiegel. Er erinnere sich an ohrenbetäubendes Knattern der Hubschrauber über einem endlosen Menschenmeer. "Mit Autos kam man nicht weiter, der Highway neben dem Gelände war komplett zugeparkt. Überall war Schlamm, es hatte fürchterlich geregnet, so sahen die Leute auch aus. Die Veranstalter waren komplett überfordert, dann wurde sogar die Umzäunung niedergerissen, massenhaft Fans kamen ohne Ticket rein. Als das The Grateful Dead, die Bill Graham managte, und The Who mitbekamen, wollten die gleich wieder abreisen – sie fürchteten um ihre Gage. Kohle spielte eben auch eine entscheidende Rolle".

Im gleichen Interview betonte Santana einen "fast religiösen Geist" in diesen Tagen. Man habe spüren können, dass man nicht allein war, dass viele andere Menschen dieses besondere Lebensgefühl teilten. "Love and Peace. Ich hielt immer Haight-Ashbury und die Hippies für eine Minderheit – in Woodstock merkte ich: Das war nicht so. Über eine halbe Million Gleichgesinnter war gekommen, um das Leben zu feiern."

Eine Horrorvorstellung für Steve Bannon, den einstigen Chefstrategen Donald Trumps, der in seinem 2010 veröffentlichten Film "Generation Zero" einen klaren Schuldigen für den vermeintlichen moralischen und wirtschaftlichen Niedergang der USA ausmachte. Schuld an dem Kollaps seien die gesellschaftlichen Neuerungen der Sechzigerjahre. Ausgerechnet in Woodstock hätte sich, so fasst "Der Spiegel" die Sicht von Bannon zusammen, "eine rücksichtslose und egoistische Generation die kulturelle Vorherrschaft gesichert, ihr Weltverbesserungswahn hätte Werte wie Religion und Familie, Disziplin und Arbeit durch einen Kult des Egos ersetzt".

Für Neil Young war es wiederum wichtig, zu diesem "Publikum eine Verbindung herstellen" zu können. "Das war mein persönlicher Antrieb. Das, was sich in der Woodstock-Ära zwischen der Band auf der Bühne und den Zuschauern entwickelte, war noch etwas völlig anderes als das, was man von heutigen Großveranstaltungen kennt. Wir wollten noch wirklich durch unsere Musik mit dem Publikum kommunizieren", sagte er gegenüber der "Welt".

Auf jeden Fall pilgerten Hundertausende zu dem dreitägigen Musikfestival, das für viele zum Sinnbild der Hippie-Bewegung und einer ganzen Generation wurde. In Bethel, circa dreißig Kilometer von Woodstock entfernt, versammelten sich trotz Regen und Schlamm Kriegsgegner und Hippies, die Materialismus ablehnten und mit Drogen wie Marihuana und LSD experimentierten. Gemietet hatten die Veranstalter das Gelände, das gut zwei Autostunden nördlich von New York liegt, vom Milchbauern Max Yasgur. Von dem massenhaften Andrang waren sie fast umgehend überfordert und auf Hilfe von Freiwilligen angewiesen.

2018 haben Archäologen die Stätte des Festivals teilweise ausgegraben. Die Experten der Binghamton University wollten damit unter anderem die Lage der Bühne bestimmen, auf der Bands wie The Who und Jefferson Airplane sowie Jimi Hendrix, Janis Joplin und Joan Baez spielten. Die Stätte sei "historisch höchst bedeutend", sagte Direktor Wade Lawrence vom Bethel Woods Center. Im Jahr 2017 wurde das 15 Hektar große Gelände bereits zum Kulturdenkmal erklärt. Doch ist es bis heute für viele weltweit mehr als das: Ereignis und Musik wirken bis heute nach.

Mit Material von dpa