Die Fotografin Herlinde Koelbl steht vor großen Schwarz-weiß-Fotografien in der Ausstellung zu ihrem Buch "Faszination Wissenschaft".
Stefan Höderath

Buchbesprechung
Eine Handvoll Forschung

Die Fotokünstlerin Herlinde Koelbl hat herausragende Wissenschaftler portraitiert. Dafür fassten diese ihre Forschung auf ihrer Hand zusammen.

Von Ina Lohaus 11.12.2020

Ist es möglich, die "Essenz" der eigenen Forschung in Handgröße auf den Punkt zu bringen? Die renommierte Fotokünstlerin Herlinde Koelbl hat 60 Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler gebeten, das zu tun, um sie dann mit dem Zitat, der Formel oder dem Symbol auf der Hand zu portraitieren. "Make Malaria History", "What is Dark Energy?",  "Nanotech is small but powerful!”, "Dream big Dreams", "Go wild!" heißt es auf den Händen der "wegweisenden" Forscherinnen und Forscher, die in dem neu erschienenen Bildband versammelt sind. Sie alle haben sich international einen Namen gemacht, und die meisten wurden mit herausragenden Preisen ausgezeichnet, 19 von ihnen mit dem Nobelpreis. Die Fotos bieten eine spannende Momentaufnahme sowohl von der Persönlichkeit der Portraitierten als auch von dem, was sie in ihrer Forschung für wesentlich halten.

Herlinde Koelbl nähert sich den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern jedoch nicht allein durch ihre Fotos, sondern auch durch einfühlsame Gespräche, die sie mit ihnen geführt hat. Der Astronom, die Neurowissenschaftlerin, der Quantenphysiker erzählen darin unter anderem von ihrer Forschung. Was haben sie entdeckt? Welche Ideen verfolgen sie? Herlinde Koelbl will von ihnen wissen, welche Antriebskräfte für sie maßgebend sind. Auffallend häufig wird geäußert, es sei wichtig, für das zu brennen, was man tut, davon besessen zu sein, enthusiastisch und begeistert zu sein, positiv zu denken, hartnäckig zu arbeiten, optimistisch zu bleiben. Die Fragen zielen insbesondere darauf ab zu erfahren, wie die Forscherinnen und Forscher zu dem wurden, was sie heute sind. Wie hat sie das Elternhaus geprägt, welche Rolle haben sie unter Gleichaltrigen gespielt? Interessant sind gerade auch die manchmal krummen Wege in die Wissenschaft, zum Beispiel bei dem chinesischen Glaziologen Tandong Yao, dessen Mutter Analphabetin war.

Portraitband zeigt Lebenswelt von Wissenschaftlern

In ihren Antworten geben die Interviewten Auskunft darüber, wie sie Familie und Wissenschaft unter einen Hut bringen. Die Forscherinnen berichten, wie es ihnen als Frau in der Wissenschaft ergangen ist. Was können alle Portraitierten jungen Frauen und Männern mit auf den Weg geben, die sich für eine Karriere in der Wissenschaft interessieren? Welche Erfolgsfaktoren spielen eine wichtige Rolle? Es sind zumeist sehr persönliche Antworten, die Herlinde Koelbl auf ihre Fragen erhält und die die Interviews so lesenswert machen – zum Beispiel wenn Ottmar Edenhofer erzählt, warum er als junger Mensch Jesuit geworden, aber nach sieben Jahren wieder aus dem Orden ausgetreten ist, oder Wolfgang Ketterle von Angstsituationen in seinem Leben spricht. Die Intensität der Gespräche gibt Aufschluss darüber, dass es der Fotokünstlerin gelungen sein muss, das Vertrauen ihrer Gesprächspartner zu gewinnen, um dadurch Wissenschaft lebendig machen zu können.

Foto von Emmanuelle Charpentier
Emmanuelle Charpentier, Chemie-Nobelpreis 2020 Herlinde Koelbl/Knesebeck Verlag
Foto von Stephan Hell
Stephan Hell, Chemie-Nobelpreis 2014 Herlinde Koelbl/Knesebeck Verlag
Cover des Buchs "Faszination Wissenschaft" von Herlinde Koelbl
Herlinde Koelbl: Faszination Wissenschaft. 60 Begegnungen mit wegweisenden Forschern unserer Zeit. Knesebeck Verlag 2020, 35,- Euro. Herlinde Koelbl/Knesebeck Verlag

Es gehört zu ihren Markenzeichen, dass Herlinde Koelbl ihre Fotokunst mit tiefgehenden Gesprächen kombiniert. Oft sind es Langzeitprojekte, die sie verfolgt. Von 1991 bis 1998 hat sie zum Beispiel Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft in Abständen fotografiert und interviewt, zu denen auch Angela Merkel, Gerhard Schröder und Joschka Fischer gehörten. "Spuren der Macht" hieß die daraus entstandene Ausstellung, deren Titel verrät, wonach sie in ihrer Studie gesucht hat.

Die nun von ihr portraitierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler  werden von Herlinde Koelbl auch nach ihrer Botschaft für die Welt gefragt. In ihren Antworten spielt, wie sollte es anders sein, die Wissenschaft eine zentrale Rolle – denn, so formuliert es der Nobelpreisträger Eric Kandel, "Wissenschaft ist unsere Hoffnung für die Zukunft".

Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften präsentiert in ihren Räumen am Berliner Gendarmenmarkt noch bis zum 12. Februar 2021 die Ausstellung "Faszination Wissenschaft".