Taucher bei Korallenriff
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Interview mit Jacopo Pasotti
Eingetaucht in die Wissenschaft der Urlaubswelt

Die ersten Bundesländer starten in die Sommerferien. Ein Reisejournalist hat Wissenswertes rund um den Urlaub gesammelt. Kritisch wie unterhaltsam.

Von Katrin Schmermund 24.06.2018

Forschung & Lehre: Herr Pasotti, Sie haben als Fotograf und Autor schon alle Kontinente bereist und waren in zahlreichen Ländern. Was macht Reisen für Sie aus?

Jacopo Pasotti: Es begeistert mich, möglichst viele Orte zu sehen, die Menschen dort und ihre Kulturen kennenzulernen. Privat bleibe ich aber trotzdem meist relativ nah in meiner Umgebung, um nicht fliegen oder lange Strecken mit dem Auto fahren zu müssen. Wenn ich weit reise, dann mit viel Zeit und bestenfalls an nur einen Ort.

F&L: In ihrem Buch "Wohin weht der Wind? Wissenschaft für unterwegs" drehen sich viele Themen um das umweltbewusste Reisen. Wollen Sie Ihre Leserinnen und Leser bekehren?

Jacopo Pasotti: Das Thema liegt mir am Herzen, aber ich möchte nicht für eine bestimmte Art des Urlaubs werben. Das Buch soll die Fragen aller Urlauber beantworten; sei es, wo sie die entferntesten Kulturen kennenlernen, wie die Taschenkontrolle am Flughafen funktioniert oder wie sich die Zeitzonen entwickelt haben.

F&L: Woher kam die Idee für das Buch?

Jacopo Pasotti: Wie auch bei anderen Themen ist beim Reisen alles mit Wissenschaft verknüpft. Wir verdanken es Wissenschaft und Technik, dass wir innerhalb weniger Stunden in Neu-Delhi sein können. Hinter all den Erkenntnissen über Landschaften und Kulturen stecken Wissenschaftler, die diese untersuchen. Durch meine ganzen Reisen habe ich so viele Eindrücke gewinnen können und hatte gleichzeitig noch so viele Fragen, die ich mir erklären lassen wollte. Herausgekommen ist ein bunter Gedankenstrom aus Fächern wie Geografie, Technik und Ökonomie, Biologie wie Psychologie, den ich versucht habe, möglichst geordnet aufzuschreiben.

"Wissenschaft für unterwegs" von Jacopo Pasotti

Gibt es Kulturen, zu denen wir noch keinen Kontakt hatten?
Es gibt sie noch immer, die sogenannten "unkontaktierten Völker". Ihrer Zahl kann man sich jedoch nur annähern. In Brasilien zum Beispiel hat die Regierung per Luftaufnahmen und durch die Befragung von Ureinwohnern versucht, diese zu bestimmen. 77 unkontaktierte Gemeinschaften soll es dort demnach geben. Insgesamt geht der "New Scientist" von rund hundert solcher Kulturen weltweit aus, die meisten in Südamerika und Neuguinea.
Wie haben sich die Zeitzonen entwickelt?
Die heute üblichen insgesamt 24 Zeitzonen gehen auf die Internationale Meridian-Konferenz in den USA zurück. Diese fand 1884 statt und sollte die zuvor geltende natürliche Zeitmessung anhand der Sonnenzeit in ein System umwandeln, dass die internationale Koordinierung erleichtern und national eingeführte Zeitmessungen ablösen sollte. Der durch Greenwich verlaufende Meridian wurde zum Nullmeridian erklärt und die Zeitzone 0 (UTC ± 0) auf 7° 30' östlich und westlich festgelegt. Danach folgen alle 15° weitere Zeitzonen, in der jeweils eine Stunde abgezogen wird bis auf Höhe des 180°-Meridians - auf der anderen Seite genau anders herum.
Töten scharfe Gerichte tatsächlich Bakterien ab?
Die antibakterielle Wirkung bestimmter Gewürze zum Kochen konnte wiederholt nachgewiesen werden. Besonders stark sei sie bei Knoblauch, Zwiebeln, Piment und Oregano. Etwas schwächer wirkten Thymian, Zimt, Kreuzkümmel und Estragon. Chili, Pfeffer, Ingwer, Anis und der Saft von Zitronen und Limetten haben laut Studien ebenfalls eine leicht antibakterielle Wirkung. Auch Tee sei desinfizierend. Besonders typisch sind scharfe Gerichte in den tropischen Regionen, weil sich Bakterien in diesen Klimazonen stärker verbreiten und den Verfall von Speisen beschleunigen.
Stimmt es, dass Männer einen besseren Orientierungssinn haben?
Verschiedene Studien kamen zu dem Schluss, dass sich Männer besser in komplexen Räumen zurechtfinden als Frauen. Dabei gingen Frauen anders an die Wegsuche heran als Männer. Sie orientierten sich an Wegmarken, während Männer die Himmelsrichtungen zur Hilfe nahmen. So kamen sie schneller voran, weil sie unterwegs Abkürzungen einschlugen. Ein Forscherteam der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens brachte Hormone mit ins Spiel und fand heraus, dass sich Frauen mit einem höheren Testosteron-Spiegel besser zurechtfänden als diejenigen ohne eine künstliche Zusage des Hormons.

Einige Wissenschaftler sehen den Grund für die Unterschiede in der Evolutionsbiologie: Männer hätten gejagt und sich auf großen Distanzen zurechtfinden müssen. Frauen seien dagegen darauf gepolt gewesen, beim Sammeln in kürzerer Entfernung Dinge zu erkennen. Darin seien sie laut Studien auch heute noch besser. Es deutet sich an, dass sich der Orientierungssinn durch den zunehmenden Einsatz von GPS-Geräten insgesamt verschlechtert.
Wie umweltschädlich sind Flugzeug, Auto und Bahn?
Das Flugzeug gilt laut "World Tourism Organization" als der größte Energieverbraucher unter den Verkehrsmitteln. Ein Inlandsflug von Stuttgart nach Hamburg produziert laut Berechnungen zum Beispiel 160 Gramm Kohlendioxidäquivalente pro Fahrgast und Kilometer. Dabei berücksichtigt die Maßeinheit "Äquivalente" neben Kohlendioxid zum Beispiel auch das Treibhausgas Methan. Bei einem Interkontinentalflug sei der Verbrauch pro Kilometer mit rund 110 Gramm etwas geringer. Der Austoß nehme mit zunehmender Flughöhe leicht ab, weil der Luftwiderstand niedriger sei. Zudem sei der Verbrauch vor allem bei Start und Landung hoch. Dies verschlechtert die Bilanz von kurzen Flügen.

Ein ICE komme im Vergleich pro Fahrgast und Kilometer im Schnitt auf gerade mal 10 Gramm, ein Bus auf circa 30 und ein Auto mit vier Insassen auf 40 bis 50 Gramm. Fahre man alleine mit einem Dieselauto seien es circa 245 Gramm, bei einem Benziner 300 Gramm. Nicht eingerechnet ist bei diesen Berechnungen zum Beispiel der produzierte Feinstaub. Insgesamt sind Flugverkehr und Schifffahrt für etwa drei Prozent der Schadstoffemissionen weltweit verantwortlich. Etwa die Hälfte davon entfallen auf die Luftfahrt – zu 80 Prozent Tourismus-Flüge.
Was zeigen die Monitore bei der Taschenkontrolle am Flughafen?
Die Taschenkontrolle funktioniert über Röntgenstrahlen. Strahlen dringen in das Gepäck ein und die Maschine erkennt an der unterschiedlichen Absorption dieser Strahlen, was sich im Gepäck befindet. Die Maschine bildet jedoch nicht alle einzelnen Schichten der Gegenstände im Gepäck ab, sondern visualisiert anhand voreingestellter Filter nur besonders energiereiche Strahlen, die in unterschiedlichen Farben dargestellte werden. Das Sicherheitspersonal interessiert sich vor allem für die Farbe der organischen Stoffe, da hieraus Sprengstoffe gebaut werden können.

F&L: Was ist Ihnen von der Recherche für Ihr Buch besonders im Gedächtnis geblieben?

Jacopo Pasotti: Ich habe mich zum ersten Mal genauer mit der Psychologie des Reisens beschäftigt. Zum Beispiel kennt jeder das Gefühl, dass die Heimreise gefühlt kürzer ist als die Hinreise. Dazu gibt es verschiedene Studien. Lange Zeit wurde in der Wissenschaft von einem sogenannten "Heimreise-Effekt" gesprochen – man kenne die Route von der Hinreise und bereitet sich auf deren Länge vor. Niederländische Psychologen haben die Studie dann vor einiger Zeit mit unterschiedlichen Routen für Hin- und Rückfahrt durchgeführt und festgestellt, dass auch dann die Rückreise als rund 20 Prozent kürzer empfunden wird. Erklärt haben sie das dann mit der Erwartungshaltung der Menschen an die Reise selber: die Ungeduld auf dem Hinweg, das lang ersehnte Urlaubsziel zu erreichen, und die mentale Vorbereitung auf eine kräftezehrende Tortur auf dem Rückweg.

F&L: Sie schreiben, dass das Schönste am Reisen die Planung ist, warum?

Jacopo Pasotti: Ich finde es wichtig, mit einem Motiv zu verreisen. Wo möchte ich hin? Was möchte ich sehen? Was muss ich dafür mitnehmen und auf welche Risiken muss ich mich gegebenenfalls einstellen? Viele Menschen brechen, auch berufsbedingt, in Hektik in den Urlaub auf und reisen nach vorgegeben Touren, bei denen sie in möglichst kurzer Zeit möglichst viel sehen. Das muss natürlich jeder selbst entscheiden, aber ich bin überzeugt davon, dass man mehr vom Reisen für sich mitnimmt, wenn man sich vorher mit seinem Ziel auseinandersetzt und dann auch ausreichend Zeit hat, Land und Kultur wirklich kennenzulernen.

F&L: Gibt es einen Ort, den Sie auf jeden Fall noch entdecken wollen?

Jacopo Pasotti: Ich würde mir gerne die Korallenriffe rund um Bunaken, ein Teil der indonesischen Insel Sulawesi, anschauen. Dort soll es die größte marine Biodiversität geben. Ich stelle es mir sehr beeindruckend vor. Die meisten Biogeografen, die sich mit der Verbreitung von Tier- und Pflanzenarten beschäftigen, reisen mindestens einmal in ihrem Leben dorthin.

Spannende Orte für "Wissenschaftstourismus"

Bunaken (Indonesien)
Die Korallenriffe um Bunaken sollen an einem Ort so viele Arten wie nirgendwo anders auf der Welt beheimaten. Das Highlight für viele Taucherinnen und Taucher ist das Zwergseepferdchen (Hippocampus bargibanti). Die Gegend wird auch "Wallacea" genannt, wie Jacopo Pasotti erklärt. Der britische Naturforscher Alfred Russel Wallace (1823-1913) hatte hier eine Linie definiert, die asiatische und australisch-papuanische Arten voneinander trennt. Man spricht auch heute noch von der Wallace-Linie, die mittlerweile aber etwas anders positioniert wurde.
CERN (Genf, Schweiz)
Das größte und wichtigste Physiklabor der Welt ist Standort von sieben Teilchenbeschleunigern – der größte davon mit einem Umfang von 27 Kilometern. Das Labor hat die Entdeckung zahlreicher subatomarer Teilchen ermöglicht. Dazu gehört auch das Higgs-Boson. 2013 haben Peter Higgs und Francois Englert dafür den Nobelpreis für Physik erhalten.
Exploratorium (San Francisco, USA)
Es ist das "Science Center schlechthin" schreibt Jacopo Pasotti in seinem Buch. In dem Museum können Besucherinnen und Besucher wissenschaftliche Erkenntnisse interaktiv erfahren. Besonders viel dreht sich um die Naturwissenschaften – vom Leben ohne Farben über die Stärke von Erdbeben bis zur Relativitätstheorie. Das Exploratorium wurde 1969 von Physiker Frank Oppenheimer, dem Bruder von Robert Oppenheimer, gegründet.
Spitzbergen (Svalbard, Norwegen)
Das "Global Seed Vault" ist eine Art Tresor, in dem Samen aus der ganzen Welt aufbewahrt werden. In Spitzbergen werden sie für den Fall konserviert, dass es bestimmte Sorten einmal nicht mehr geben sollte. Besichtigt werden kann nur das örtliche Naturkundemuseum. Die Gegend hat aber landschaftlich auch so einiges zu bieten.