Illustration einer diversen Menschengruppe mit verschiedenen Meinungen
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Meinungsforschung
Gefühl für Mehrheiten oft nicht vorhanden

Die Politik sollte mehr auf Umfragen schauen, findet eine Meinungsforscherin. Auch weil laute Minderheiten zahlenmäßig oft überschätzt würden.

03.05.2022

Nach Ansicht von Meinungsforscherin Renate Köcher haben viele Menschen in Deutschland das Gefühl für Mehrheiten verloren. "Einfach weil bestimmte Gruppen in der Gesellschaft sehr aktiv sind und dann auch in den Medien weit überproportional Beachtung finden", sagte die Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach der Deutschen Presse-Agentur. Unter anderem wegen Filterblasen in sozialen Netzwerken gehe sie davon aus, dass es mehr "stille Mehrheiten" und "laute Minderheiten" gebe als früher.

"Leute, die sich weit rechts einordnen, sind beispielsweise oft im Netz sehr aktiv", sagte Köcher. "Und mir ist immer wieder untergekommen, dass die quantitative Bedeutung dieser Gruppierungen deswegen überschätzt wurde."

Dabei gebe es schon lange einen Anteil von etwa zehn Prozent der Deutschen, die "völlig unzufrieden" seien – und sich in letzter Zeit eben bei der AfD sammelten. "Das ist nichts Ungewöhnliches", sagte Köcher. "Da ich hier täglich mit Bevölkerungsumfragen arbeite, bin ich eigentlich wesentlich entspannter, als wenn ich jetzt nur Medien nutzen würde, um mir diese Gesellschaft zu erschließen."

Mit Umfragen die Bevölkerung besser verstehen

Sie wünsche sich zudem, dass Politiker bei der Umsetzung ihrer Agenda die Meinungsforschung stärker einbeziehen – um die Situation und Interessen der Bevölkerung besser zu verstehen, betonte Köcher. So werde das Programm der Ampel-Regierung Umfragen zufolge vor allem von der Oberschicht goutiert. In unteren sozialen Schichten herrsche dagegen Sorge vor, finanziell überfordert zu werden. "Die Mehrheit geht davon aus, dass diese Transformationsprozesse die sozialen Unterschiede vergrößern werden", sagte Köcher.

Umfragen könnten in diesem Fall zeigen, "wo sind rote Linien und was kann man tun, um die Bevölkerung, soweit es nur irgendwie geht, mitzunehmen", sagte Köcher. Die Meinungsforscherin warnte in diesem Zusammenhang vor "einer Amerikanisierung der Gesellschaft, wo soziale Unterschiede ein beunruhigendes Ausmaß haben, die aber einfach hingenommen werden".

Das Institut für Demoskopie in Allensbach am Bodensee wurde am 8. Mai 1947 von der Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann gegründet und führt seit 1950 auch im Auftrag der Bundesregierung Umfragen durch. Bekannt wurde das Institut durch seine seit 1957 erarbeiteten Wahlprognosen, die vor jeder Bundestagswahl veröffentlicht werden.

dpa