Deutschlands Nationalspieler Jamal Musiala spielt einen Fußball während seine Mannschaftskollegen zuschauen.
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Spiel und Wettkampf
Gibt es im Profifußball noch Spielfreude?

Der Profifußball ist von einem harten Wettbewerb geprägt, auch außerhalb der EM. Welchen Einfluss haben finanzielle Ressourcen auf das "Spiel"?

Von Ina Lohaus 19.06.2021

Forschung & Lehre: Herr Reif, ist Spielfreude ein Erfolgsfaktor im Profifußball?

Marcel Reif: Ja, einer der Erfolgsfaktoren auf jeden Fall und zwar bis hin zu den Spitzenspielern. Hannes Wolf, Spie­ler von Borussia Mönchengladbach, sagte kürzlich nach mehreren Niederlagen hintereinander, dass der Mannschaft derzeit ein bisschen Spaß und Freude am Fußball fehlten. Das war seine Erklärung dafür, dass vorhandene Leistung nicht abgerufen werden konnte.

Portraitfoto von Marcel Reif
Marcel Reif war langjähriger Fußballkommentator im öffentlich-rechtlichen Fern­sehen und Sportchef bei RTL. Seit 1999 ist er Chef-Kommentator beim Münchener Abo-Sender Premiere beziehungsweise Sky. privat

F&L: Haben das Geld und der finanzielle Druck im Profifußball die Spielidee korrumpiert?

Marcel Reif: Da muss man zunächst differenzieren. Was heißt Profifußball? Es gibt Profifußball in der dritten und zweiten Liga und selbst in der ersten Bundesliga gibt es immer noch nicht den Profifußball, sondern mindestens drei Ligen in einer: die Abstiegskandidaten, das Mittelmaß und drei, vier Clubs, die eine eigene Art Fußball spielen. Dort ist der finanzielle Druck groß, aber diese Mannschaften können auch finanzielle Ressourcen abrufen, an die andere gar nicht herankommen. Eine Mannschaft wie z.B. Borussia Dortmund, die jahrelang an der Spitze mitspielt und sich die entsprechenden finanziellen Ressourcen erschlossen hat, hat ihr Geschäftsmodell darauf abgestimmt. Wenn sie dann die Champions League einmal nicht erreicht, wie es Borussia Dortmund gerade in dieser Saison droht, ist das Entsetzen groß.

Der Erfolg bringt das Geld, aber der Club braucht auch das Geld. Die Spieler sind dafür da, Erfolg zu haben. Ohne Spielidee und Spielfreude wird es jedoch keinen Erfolg geben. Spielfreude und wirtschaftlicher Druck schließen sich nicht gegenseitig aus, sonst gäbe es keinen erfolgreichen und attraktiven Fußball mehr.

F&L: Glauben Sie wirklich, dass dieser Druck bei den Spielern während des Spiels keine Rolle spielt?

Marcel Reif: Wir können den Spielern nicht unterstellen, dass sie während des Spiels als Wirtschaftsunternehmen funktionieren. Dazu sind sie in dem Moment viel zu sehr mit Fußballspielen beschäftigt.

F&L: Muss nicht der Funke der Spielfreude auf die Zuschauer überspringen, damit der Fußball seinen Unterhaltungswert behält?

Marcel Reif: Ja, und das gleiche gilt umgekehrt. Um mit Freude Fußball zu spielen, das sagen die Spieler immer wieder, fehlt ihnen zurzeit besonders die Interaktion mit den Fans. In leeren Stadien ist es ein anderer Fußball.

F&L: Wo nehmen die Fußballer denn in den leeren Stadien ihre Motivation her?

Marcel Reif: Die richtig guten Spieler können das leere Stadion ausblenden, die weniger guten leiden stärker unter dieser Situation und können ihre Leistung schlechter abrufen. Im leeren Stadion muss jeder Spieler seine Leistung aus sich selbst herausholen. Spitzenfußballer können, unter welchen Bedingungen auch immer, 80 Prozent ihrer Leistung abrufen. Schlechtere Spieler können mit Unterstützung der Zuschauer schon mal statt ihrer 50 Prozent auch 75 Prozent ihrer Leistung bringen. Das ist dann aber immer noch weniger als bei den Spitzenspielern. Bestimmte Mannschaften leben stärker vom Rückhalt ihrer Fans als andere. Der Heimvorteil fällt ohne Zuschauer weg. Deshalb gibt es zurzeit auch sehr viele Auswärtssiege. Jetzt zählt wirklich nur, wer die besten Spieler hat. Die reicheren Clubs haben nun mal die besseren Spieler, und deswegen geht die Schere zwischen den Mannschaften im Moment noch weiter auseinander.

F&L: Können es sich die Spieler im Konkurrenzkampf überhaupt noch leisten, Fair Play zu praktizieren?

Marcel Reif: Die Spiele finden alle in der Öffentlichkeit statt. Selbst beim Training werden die Spieler beobachtet. Das heißt, wenn sie sich aus einem bestimmten Wertesystem hinaus bewegen, weil sie, koste es, was es wolle, den Konkurrenzkampf bestehen wollen, bleibt das nicht unentdeckt. Wenn ein Spieler sehr unfair foult, ist das am nächsten Tag überall ein Thema. Ich glaube nicht, dass der Fair-Play-Gedanke durch die Kommerzialisierung weniger wichtig geworden ist.

F&L: Würden Sie zustimmen, dass die Kollektivleistung im Profifußball auf dem Vormarsch und die individuelle, vielleicht auch künstlerisch/spielerische Komponente auf dem Rückmarsch ist?

Marcel Reif: Die Kollektivleistung stand lange im Vordergrund. Nur die Mannschaft zählte. Jeder, der individuell hervorstach, machte sich verdächtig. Mittlerweile kippt das, weil man gemerkt hat, dass man das eine tun muss, ohne das andere zu lassen. Ohne wirklich überragende Individualspieler, die auch mit einer individuellen Aktion Dinge verändern können, geht es nicht. Es gilt nach wie vor: "Große Spiele werden von großen Spielern entschieden", auch wenn das nicht ohne die Mannschaftsleistung funktioniert. Es gibt immer wieder Spielsituationen, in denen der individuell überragende Spieler gebraucht wird. Nach dem wird jetzt wieder gesucht. Die Spieler sollen derzeit mehr in diese Richtung ausgebildet werden.

F&L: Kann man individuelle Klasse überhaupt antrainieren?

Marcel Reif: Das Individuelle wurde lange Zeit abtrainiert, mit dem Argument, sonst kein Mannschaftsspieler sein zu können. Heute gilt es eher, das Individuelle im Jugendalter zu trainieren und den Spieler dann mit seinen individuellen Fähigkeiten mit der Mannschaft kompatibel zu machen.

F&L: Wo sehen Sie den Profifußball in zehn Jahren?

Marcel Reif: Die ganz großen Mannschaften werden irgendwann in ihrer eigenen Liga spielen und dadrunter wird sich eine andere Art Fußball ausbilden mit mehr Fannähe, und zwar mit richtigen Fans, die am Wochenende zu den Spielen ihrer Clubs ins Stadion gehen. In der Spitze werden die Spiele ein Unterhaltungspublikum haben, das sich die Spiele im Fernsehen anschaut.