Taschenkalender mit guten Vorsätzen für das neue Jahr (Symbolbild)
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Vorsätze
Gute Pläne und ihre Umsetzbarkeit

Die Tücken der guten Vorsätze: Kaum erdacht, schon sind sie wieder entfallen. Eine augenzwinkernde Suche nach der besten Ausrede.

Von Michael Suda 31.12.2022

In die Zeit zwischen den Jahren (entspricht gefühlsmäßig 52,8 Prozent der Jahreslebenszeit) packe ich alles, was ich in der restlichen Zeit nicht geschafft habe. Den Keller aufräumen, auch mal ein "gutes" Buch lesen oder einfach mal wieder für alle kochen. In der Regel klappt das aber dann doch nicht, und es stellt sich einmal mehr heraus, dass diese Zeit einfach nicht ausreicht.

Die Zeit zwischen den Jahren ist die Phase, in der Vorsätze Hochkonjunktur haben. Wären übereifrige Vorsätze börsennotiert, könnte in "Börse vor Acht" eine Gewinnwarnung ausgesprochen und vor übermäßiger Euphorie gewarnt werden.

Trifft das auch auf meine eigenen Ziele zu? Was hatte ich mir im letzten Jahr alles vorgenommen? In welchem Buch hatte ich den "Wunschzettel" versteckt? Ich erinnere mich: P.D. James – Vorsatz und Begierde – zumindest hat diese Eselsbrücke funktioniert. Doch bei der Lektüre meiner Aufzeichnungen (im Lesestuhl mit einem Glas gutem Roten) kommt mir der Gedanke, das nächste Mal lieber doch ein Versteck zu wählen, an das ich mich nicht mehr erinnern kann.

Als Wissenschaftler mit langjähriger Berufserfahrung hatte ich meine Vorsätze in vier Kategorien unterteilt: Lehre, Administration, Forschung und Privates.

Für jede Kategorie hatte ich mir vier Vorsätze notiert. Das alles ohne Fußnoten und Zitate. Es gab kleine und große Vorhaben. Ich nehme einen kräftigen Schluck und stelle mich meiner Selbstevaluation.

Was ich in der Lehre tun wollte

Einen Didaktikkurs besuchen

Gute Idee, ich erinnere mich noch daran, ich hatte mich sogar bereits angemeldet. Doch hielt ich es nach einem Blick auf die Teilnehmerliste für angemessen, meine Anmeldung zurückzuziehen, da eine Mitarbeiterin meiner Professur ebenfalls teilnehmen wollte. Überhaupt schien ich mit meinem Professorentitel recht deplatziert auf dieser Liste.

Die Vorlesung aktualisieren

Hier kann ich zumindest einen Teilerfolg verbuchen. Das Datum in der Powerpoint-Präsentation habe ich angepasst. Gut – zur echten Aktualisierung bin ich dann doch nicht gekommen, warum soll man auch Bewährtes ändern?

Neue Prüfungsaufgaben und Prüfungsformate entwickeln

Das wäre gegenüber den Studierenden ungerecht gewesen. Diese hätten sich nicht wie die vorhergehenden Jahrgänge mit Hilfe der Altklausuren vorbereiten können. Außerdem hätte sich der Aufwand für die Korrektur der Wiederholungsklausuren drastisch erhöht. Bei den neuen Formaten ist mir einfach nichts eingefallen, ganz zu schweigen von dem aufwändigen formalen Prozess, um so eine Prüfungsform zu ändern. Das wäre für dieses Semester nun wirklich nicht mehr umsetzbar gewesen.

Eine Vorlesung halten, von der die Studierenden noch Jahre später erzählen

Nun, mein Versuch, mit Handpuppen (Ernie und Bert) und einem Bilderbuch einen theoretischen Ansatz in der ersten Vorlesung vorzustellen, stieß leider auf verständnisloses Schweigen. Auch meine Anspielungen auf Loriot schienen den jungen Menschen von heute nicht viel zu sagen.

Meine Vorsätze für die Administration

Einmal alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Professur nach Hause einladen

Ich erinnerte mich an meine eigene Assistentenzeit und die Einladungen beim Chef – (kein falsches Wort) – und mir wurde klar, dass die heutigen Mitarbeitenden sicherlich keinen Wert auf einen derartigen "geselligen" Abend legen.

Für den Fachbereichsrat kandidieren

Ja, das hatte ich mir fest vorgenommen und auch einen Kollegen gewonnen, der mich für einen Listenplatz (eher weiter hinten) vorschlagen wollte. Allerdings wurde vor der Wahl der Fachbereichsrat und somit das Mitbestimmungsmodell abgeschafft. Also, hier kann ich wirklich nichts dafür. Ein Glück, denn seien wir mal ehrlich, so ein Amt bedeutet doch einiges an zusätzlicher Arbeit und viel Anerkennung gibt es dafür nicht.

Meetings effektiv abhalten

Schnell habe ich erkannt, dass viele Treffen von einem starken Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Begegnung und Austausch geprägt sind. Gerade nach Corona war dies doch besonders wichtig. Es geht also gar nicht so sehr um durchgetaktete Treffen, das eigentliche Problem liegt woanders: Ich bekomme immer wieder zufällig mit, dass Dinge, die wir bereits besprochen haben, nach mehreren Wochen immer noch nicht erledigt sind.

E-Mails sofort beantworten

Diesem Vorsatz bin ich genau zwei Tage gefolgt. Was ist passiert? Die Anzahl der Mails hat sich in kürzester Zeit vervierfacht, und wenn ich nicht unmittelbar geantwortet habe, klingelte das Telefon. Es hat zwei lange Wochen gedauert, bis ich wieder den Normallevel erreicht habe und meine gestresste Teamassistenz genügend Ausreden gesammelt hatte, warum ich gerade nicht zu sprechen sei.

Meine Ziele in der Forschung

Mehr Drittmittelprojekte einwerben

Ich gebe offen zu, ich befinde mich im hinteren Drittmitteldrittel. Alles wird evaluiert, und die Ergebnisse werden in Gremien und Präsentationen vorgestellt. Wir waren fleißig und durchaus erfolgreich, aber Corona und zu guter Letzt der Gaspreis haben unsere Bemühungen etwas ausgebremst.

Endlich einen Überblicksartikel schreiben

Zu diesem Zweck habe ich mir ein paar neue Bergschuhe gekauft und bin tatsächlich einmal unter der Woche bei wechselhaftem Wetter auf unseren Hausberg gestiegen, um über dieses Vorhaben nachzudenken. Die Forschungslandschaft lag unter mir, Berge und Seen, Wälder und Wiesen. Die Sonne kam heraus, und alles erschien plötzlich in einem anderen Licht. Es wurde früh dunkel, und im Lichtkegel meiner Kopflampe sah alles wieder ganz anders aus. Ich ließ von dem Vorhaben ab, doch der Tag war wunderschön.

Das "Neue" entdecken

Das ist wohl der Traum jedes Wissenschaftlers, aber wie sagte mein Mentor immer: "Es ist alles schon geschrieben, nur noch nicht von dir". Ich habe dann tatsächlich mal eine Seite entworfen und mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diskutiert. Schnell wurde ich darauf hingewiesen, dass sich diese Idee schon da und dort findet und sich folgendermaßen entwickelt hätte. Inzwischen wäre diese Idee in der Sackgasse der Erkenntnistheorie gelandet. Schade, die Idee war wirklich gut.

In den Expertenrat der Bundesregierung berufen werden

Für das Scheitern dieses Vorsatzes kann ich tatsächlich nichts. Alles war gut vorbereitet, sogar die Pressemitteilung war zumindest im Entwurf schon fertig. Und dann wechselt einfach der zuständige Minister, ich fliege von der Liste und der X aus Y wird berufen, obwohl der doch keine Ahnung hat… Aber was soll’s – in diese Gremien werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler doch häufig nur berufen, weil sich das symbolisch gut macht.

Meine Vorsätze im Privaten

Mehr Zeit mit den Kindern verbringen

Den Vorsatz habe ich noch, aber ich kann mich auf meine Partnerin verlassen: Sie macht das ausgezeichnet, und ich möchte mich doch nicht zu sehr in ihren Bereich einmischen. Das hat schon vor Jahren mit dem Putzen, Einkaufen und Kochen nicht funktioniert.

Mehr Sport treiben

Im Sportgeschäft meines Vertrauens habe ich mich kurz nach Silvester ausgestattet: Laufklamotten vom Feinsten, eine Laufuhr und drei Paar Laufschuhe hat mir die Verkäuferin empfohlen. Erst war es mir viel zu kalt, und dann war im Büro die Dusche kaputt. Vielleicht kann ich ja im nächsten Jahr meinen Traum verwirklichen und einen Marathon laufen – zumindest habe ich mir das Buch zu Weihnachten gewünscht, aber wieder nicht bekommen.

Einen Tanzkurs besuchen

Schon im Januar hatte ich uns zu einem Tanzkurs angemeldet. Ich muss sagen, die erste halbe Stunde war sehr schön. Dann sollten wir uns anfassen und festlegen, wer führt und wer geführt werden will. Das ist unser Problem seit Jahrzehnten und vor der zweiten Stunde habe ich mir leider den Fuß verstaucht. Die Heilung hat sich ewig hingezogen.

Weniger Alkohol trinken

Ich nippe am Rotweinglas, rieche einmal intensiv, und da sind sie die Noten "erdig, Johannisbeere, grüner Apfel" – darauf wollte ich nicht verzichten – man gönnt sich ja sonst nichts.

Da liegen sie, alle meine "guten" Vorsätze des letzten Jahres. Ich habe ein schlechtes Gewissen, auch Nebenwirkungen von der ständigen Verdrängung und Rechtfertigung. Ich ziehe Bilanz und reduziere alles auf einen Vorsatz – keine Vorsätze für das nächste Jahr. Das sollte doch zu schaffen sein.