

Antisemitismus
Harvard berichtet über Diskriminierung auf dem Campus
Spannungen zwischen jüdischen und palästinensischen Angehörigen der Harvard University haben seit den 2010er und 2020er Jahren zugenommen. Mit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 polarisierte sich das Verhältnis weiter und es kam zu antisemitischen sowie antimuslimischen und antiarabischen Vorfällen auf dem Campus der Eliteuniversität. Sowohl muslimische als auch jüdische Studierende und Mitarbeitende haben sich ab Herbst 2023 verstärkt unwohl gefühlt. Das geht aus den Berichten zweier interner Arbeitsgruppen an der Universität hervor, die den Umgang der Hochschule mit antiisraelischen beziehungsweise antimuslimischen Vorfällen untersuchen. Harvard hat die Berichte am 29. April veröffentlicht, verschiedene nationaler und internationale Medien haben berichtet.
Jüdische, israelische und zionistische Studierende und Mitarbeitende der Harvard University haben demnach angegeben, sie hätten ihre Identitäten verheimlichen müssen, um Konfrontationen zu vermeiden. Einige seien von offiziellen und inoffiziellen Teilen des universitären Lebens ausgeschlossen worden. Auch muslimische, arabische, palästinensische sowie pro-palästinensische Studierende und Mitarbeitende berichteten sich missverstanden, ruhiggestellt und in ihren Belangen ignoriert zu fühlen. Sie seien Opfer von Doxing geworden: Trucks seien mit Aufschriften auf dem Campus abgestellt worden, die sie als angebliche Antisemiten mit Namen und persönlichen Kontaktdaten bloßgestellt hätten, woraufhin sie bedroht worden seien. Auch bei jüdischen und israelischen Studierenden habe es Doxing Fälle gegeben. Beide Gruppen gaben laut Berichten an, von der Hochschule in Folge von Beschwerden nicht ausreichend unterstützt worden zu sein.
Klage gegen Gelderblockade der US-Regierung
Parallel zur Veröffentlichung der Untersuchungsberichte klagt die Harvard University gegen die Regierung von Präsident Donald Trump. Dieser hält seit Anfang April Forschungsgelder, die für Harvard bestimmt waren, mit dem Vorwurf zurück, dass die Hochschule keine ausreichenden Maßnahmen gegen antisemitische Vorfälle ergriffen hätte.
Harvard-Präsident Professor Alan Garber kommentierte die Berichte in einem Brief an die Hochschul-Community anlässlich ihrer Veröffentlichung als "schmerzlich". Er entschuldigte sich, dass die Hochschule nicht den an sie gerichteten Erwartungen gerecht geworden wäre. Viele in den Berichten geäußerten Erlebnisse hätten allerdings im akademischen Jahr 2023-2024 stattgefunden. Seitdem seien Veränderungen umgesetzt worden. Harvard könne und werde keine Bigotterie ertragen.
Angst, ihre Meinung zu äußern
Die internen Arbeitsgruppen waren im Januar 2024 beauftragt worden, Antisemitismus und Islamophobie während der beginnenden Proteste gegen den Gaza-Krieg im Oktober 2023 zu untersuchen und Empfehlungen zu machen, wie der Umgang auf dem Campus verbessert werden könnte. Befragt wurden Betroffene persönlich im März und April 2024. Eine anschließende gemeinsame Umfrage beider Arbeitsgruppen wurde zwischen Mai und August 2024 von 2.300 Personen beantwortet.
61 Prozent der jüdischen Befragten hätten laut Bericht auf die Frage, ob sie sich wohl dabei fühlten, politische Ansichten oder Überzeugungen auszudrücken, eine ablehnende Antwort gegeben. Dies traf demnach auf 87 Prozent der muslimischen Befragten zu. Christliche und atheistische Studierende und Mitarbeitende gaben diese Einschätzung nur zu 44 und 37 Prozent ab. 92 Prozent der muslimischen Befragten hatten den Eindruck, dass es akademische oder professionelle Folgen haben könne, wenn sie ihre politischen Meinungen äußerten. 61 Prozent der jüdischen Befragten hatten den gleichen Eindruck. Bei den christlichen und atheistischen Befragten lag der Prozentsatz jeweils nur bei etwas über 50 Prozent.
Was Harvard verbessern soll
Neben den Umfrageergebnissen und Erfahrungsberichten von Betroffenen enthalten die Berichte auch Empfehlungen, wie Harvard die Situation verbessern könne: Diese beziehen sich auf Bereiche wie die Zulassungen, die Lehrinhalte, die Unterstützung von Studierenden und Mitarbeitenden und die Schulung ihrer Angestellten im Umgang mit Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. Die Hochschule müsse an der Schaffung einer pluralistischen Kultur arbeiten, die diverse Identitäten und Ideologien berücksichtige. Dazu gehöre etwa, dass Therapeutinnen und Therapeuten dazu ausgebildet seien, die besonderen Hintergründe und Herausforderungen der verschiedenen Gruppen und Identitäten aus dem Nahen Osten und Nordafrika zu berücksichtigen. Es müssten konkrete Hilfsangebote für Fälle von Doxing angeboten werden, Aufklärungsveranstaltungen und juristische Hilfe. Ebenfalls geben die Reports Empfehlungen ab, wie Studierende antisemitische und anti-muslimische, anti-palästinensische Vorkommnisse berichten können sollen. Garber kündigte an, dass die Hochschule weiterhin versuchen werde, Probleme anzugehen.
Allerdings werde die Hochschule nicht die Forderungen der Trump-Regierung umsetzen, die vorsehen, dass Harvard bei der Zulassung alle Berücksichtigungen von Rasse, Hautfarbe und Herkunft ignoriere und Studierende ausschließlich auf Basis von Leistung auswählt, bemerkt die BBC in ihrem Bericht. Die Harvard University hatte sich geweigert, die Anforderungen der Regierung umzusetzen, die über ein Bemühen gegen Antisemitismus hinausgehen und auf die Abschaffung von Maßnahmen zur Förderung von Diversität, Gleichheit und Inklusion (Diversity, Equity, Inclusion; DEI) abzielen. Diese Forderungen kämen einem Eingriff in die konstitutionellen Rechte der Hochschule gleich und seien ein Versuch, die Entscheidungen der Hochschule zu kontrollieren.
Weitere Fördergelder blockiert
Einige Tage nach der Veröffentlichung der Diskriminierungsberichte setzt sich der Streit zwischen der Harvard University und der US-Regierung unter Trump fort. Die Regierung werde der Hochschule keine neuen Fördermittel mehr gewähren, es sei denn, sie setze ihre Forderungen um. Dies berichten verschiedene US-amerikanische und internationale Medien. Bildungsministerin Linda McMahon habe Harvard-Präsident Alan Garber in einem Schreiben am 5. Mai darüber informiert, das sie auch auf der Plattform X veröffentlichte. Die Hochschule solle keine weiteren Bundeszuschüsse erhalten, solange sie keine "verantwortungsvolle Führung" nachweise, hatte zuvor ein hochrangiger Vertreter ihres Ministeriums erklärt. Betroffen seien zunächst Forschungsgelder. Laut CNN handele es sich bei der erneuten Blockade um Gelder in Höhe von einer Milliarde US-Dollar pro Jahr.
Zur Begründung hieß es, die Hochschule profitiere massiv von staatlicher Unterstützung, halte sich aber nicht an föderale Vorgaben – bei gleichzeitig nahezu unversteuertem Milliardenvermögen. Unter anderem im Umgang mit Antisemitismus habe Harvard versagt. Kritische Stimmen werfen Trump vor, den Antisemitismus-Vorwurf gezielt zu nutzen, um politischen Druck auf unliebsame Institutionen auszuüben.
Die Harvard University hat am 6. Mai mit einem neuen Statement auf der ihrer Webseite reagiert, indem sie die Forderungen als beispiellosen und unsachgemäßen Kontrollversuch darstellt. Harvard werde sich weiterhin an die Gesetze halten, Respekt für unterschiedliche Perspektiven fördern und gegen Antisemitismus auf ihrem Campus vorgehen. Darüber hinaus werde sich die Hochschule auch weiterhin gegen Übergriffe durch die Regierung wehren, die Forschung und Innovation hinderten.
Acht Bundesbehörden kündigten am 13. Mai an, der Harvard University weitere Fördergelder in Höhe von etwa 450 Millionen US-Dollar (etwa 403 Millionen Euro) zu streichen. Dies teilte die Task Force zur Bekämpfung von Antisemitismus der US-Regierung mit. Die Kürzungen seien zusätzlich zu den bereits blockierten 2,2 Milliarden US-Dollar an Bundeszuschüssen zu betrachten.
Die Elitehochschule sei wiederholt gescheitert, "allgegenwärtige rassistische Diskriminierung" und "antisemitische Belästigung", die auf ihrem Campus herrschten, zu beenden. Diese Situation habe sich weiter fortgesetzt, obwohl der Bericht der internen Arbeitsgruppe den Antisemitismus bestätigt hätte. Die Führung der Hochschule habe den Anspruch der Universität auf das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verwirkt.
Harvard-Präsident verzichtet auf Teil seines Gehalts
Schon am 12. Mai hatte Harvard-Präsident Garber auf McMahons Brief vom 5. Mai öffentlich geantwortet und betont, dass das Ziel, gegen Antisemitismus auf dem Campus vorzugehen, ein gemeinsames sei. Harvard University bemühe sich um Wissenschaftsfreiheit und akademische Exzellenz. Diese Bemühungen würden aber durch den Eingriff der US-Regierung in die konstitutionell festgelegten Freiheiten privater Hochschulen gestört.
Zudem ignoriere die Regierung bei Ihrer Entscheidung wichtige Schritte, die Harvard unternommen hätte: Die Leitung der Hochschule sei 2024 gewechselt und eine neue Strategie gegen Antisemitismus auf dem Campus eingeführt worden. Harvards Bemühen, den Gesetzen zu folgen, sei unerschütterlich.
Als Reaktion auf die neuerlichen Kürzungen hat Harvard-Präsident Garber angekündigt, auf 25 Prozent seines Gehaltes verzichten zu wollen, um Teile der finanziellen Konsequenzen aufzufangen. Das berichten US-amerikanische Medien unter Berufung auf einen Sprecher der Hochschule am Mittwoch. Die Gehaltskürzung werde für den Zeitraum 1. Juli 2025 bis 30. Juni 2026 gelten. Die Höhe von Garbers aktuellem Gehalt sei nicht bekannt, allerdings hätten Präsidentinnen und Präsidenten der Elitehochschule in der Vergangenheit ein Jahresgehalt von bis zu einer Million US-Dollar erhalten.
zuletzt aktualisiert am 15.05.2025 um 12.88 Uhr [Absätze nach der Zwischenüberschrift "Weitere Fördergelder blockiert"], zuerst veröffentlicht am 05.06.2025
cpy/dpa