Mann auf einer "Querdenker"-Demonstration, die Aufschrift auf seinem T-Shirt lautet "Impfpflicht nein danke".
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"Querdenker"
Hintergründe im Südwesten anders als in Ostdeutschland

Eine Studie zur "Querdenken"-Bewegung zeigt regionale Unterschiede auf. Die Forschenden haben dazu Mitglieder von einschlägigen Chatgruppen befragt.

22.11.2021

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen die Wurzeln der "Querdenken"-Bewegung in Baden-Württemberg im linksalternativen Milieu. Demnach ticken die sogenannten "Querdenker" im Südwesten ganz anders als im Osten der Republik. Der Anteil von AfD-Wählern ist dort in der Bewegung viel höher als in Westdeutschland, so die Studie. Dafür gibt es im Südwesten doppelt so viele ehemalige Grünen- und Linke-Wähler unter den Protestlern wie im Osten. In Sachsen seien die Proteste stärker von der extremen Rechten geprägt und trügen deutlich weniger esoterische Züge, heißt es in der Studie.

Soziologinnen und Soziologen der Universität Basel haben im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung die Verbindungen der "Querdenker" in ihrem Ursprungsland Baden-Württemberg zu früheren Protestbewegungen untersucht und die Rolle bestimmter sozio-kultureller Milieus bei ihrer Entstehung.

Die Forschenden bewegten 1.150 Mitglieder von Telegram-Gruppen zum Ausfüllen eines Fragebogens. Man habe eher Vernünftige erreicht und keine harten Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger, räumte Wissenschaftler Professor Oliver Nachtwey, der hinter der Studie steht, am Montag in Stuttgart ein. Es handle sich nicht um eine repräsentative Befragung, aber man habe dennoch zielgenaue Erkenntnisse über die Bewegung gewinnen können. Außerdem haben die Forschenden einzelne Anhängerinnen und Anhänger der Bewegung sowie Experten länger interviewt und Demonstrationen beobachtet.

Hintergründe der "Querdenker"

Rund 30 Prozent der Befragten gaben an, früher mal die Grünen gewählt zu haben, sagte Nachtwey. Viele Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer hätten angegeben, noch bei der Bundestagswahl 2017 für die Grünen gestimmt zu haben.

Nachtwey erklärte, dass das alternative und anthroposophische Milieu bei der Entstehung der Grünen eine Rolle gespielt habe. Aber viele Teilnehmer der Bewegung hätten sich nicht nur von den Grünen entfremdet, sondern allgemein von den Kerninstitutionen der liberalen Demokratie. Sie wählten heute die AfD oder gar nicht mehr.

Die "Querdenker" stellten sich als kritische Experten und heroische Widerstandskämpfer dar, erklärte die Soziologin Dr. Nadine Frei. Sie verstünden sich als wahre Verteidiger von Demokratie und Freiheit und als Teil eines "Kerns der Eingeweihten". Als Eingeweihte glaubten sie, über ein höheres Wissen zu verfügen und die wirklichen Beweggründe der staatlichen Maßnahmen zu kennen. Auch gegen Stigmatisierung und Repression hielten sie an ihrer vermeintlichen Expertise fest. Gleichzeitig komme die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Mittelschicht. Nachtwey zeichnete das Bild einer "Bewegung der qualifizierten Mitte". Der Altersdurchschnitt liege bei 47 Jahren, viele seien durchaus gebildet, in Vollzeit beschäftigt, teils sogar promoviert.

Die Forschenden sehen nur eine schwache Verbindung zum christlich-evangelikalen Milieu und noch weniger Zusammenhang zum Milieu rund um die Protestbewegung gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Stattdessen führt die Studie die Corona-Proteste vor allem auf das anthroposophische Milieu zurück. Individualität und Naturverbundenheit seien darin starke Bezugspunkte.

dpa/cpy